Ein Mann, der sein ganzes Leben auf einem Ozeandampfer zugebracht hat, das gab es schon mal im Film – in Giuseppe Tornatores „Legende vom Ozeanpianisten“ (1998). Und es ist klar, daß die ungewöhnlichen Lebensumstände des Protagonisten für die Filmhandlung eine nicht ganz unerhebliche Rolle gespielt haben. So ist es auch in „Voll ins Leben“, dem neuen Film von und mit Dany Boon. Statt eines Ozeandampfers ist es hier der Club Méditerranée, der den Filmhelden fürs normale Leben untauglich macht.
Boon wurde zu einer Art Louis-de-Funès-Ersatz, als er mit „Willkommen bei den Sch’tis“ (2008) auf urkomische Weise regionale sprachliche Besonderheiten zum Thema einer gut geschriebenen Komödie machte. Die Kinoproduktion wurde bei unseren französischen Nachbarn der erfolgreichste Film Marke Eigenbau aller Zeiten und machte den Komiker aus Nordfrankreich auch bei uns rasant bekannt. Es folgte mit „Nichts zu verzollen“ (2011) ein eher mauer Versuch, noch einmal genauso lustig zu sein.
Schon bei den beiden „Sch’tis“-Filmen sowie bei Dany Boons dazwischen entstandenem „Super-Hypochonder“ (2014) mit von der Partie war der gebürtige Algerier Kad Merad, der sich übrigens, Ironie am Rande, früher als Unterhalter in einem Club Med seine Brötchen verdiente. Die beiden Komödianten, die beide einen algerischen Vater haben, sind folglich bestens eingespielt.
Immer wieder neue Wendungen und witzige Einfälle
In „Voll ins Leben“ verkörpert Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller Dany Boon den Einfaltspinsel Tridan Lagache, der in einem Club Med in Mexiko aufgewachsen ist und daher mit den Alltagsverrichtungen eines gewöhnlichen Franzosen nicht besser vertraut ist als ein Linksautonomer mit sozialversicherungspflichtiger Arbeit. Daraus erwächst die für eine Komödie konstitutive Komik, als das Drehbuch den so behütet im immerwährenden Ferienparadies Aufgewachsenen ins moderne Frankreich verfrachtet. Hier möchte Tridan, inzwischen fünfzig Jahre alt und auf der Suche nach tieferem Lebenssinn, endlich seine Jugendliebe wiedertreffen und am besten mit ihr gleich eine Familie gründen. Denn, so versichert er seiner skeptischen Mutter: „Die erste Liebe bleibt für immer im Herzen eingraviert.“
In Paris hat sein verstorbener Vater ihm eine bescheidene Ein-Zimmer-Wohnung hinterlassen. Doch als Tridan dort einziehen möchte, findet er die Bleibe besetzt vor. Hier wohnt nämlich seit Jahr und Tag Tridans Halbbruder Louis (Kad Merad), Ergebnis einer Romanze aus dem Jahr 1971, also kurz bevor Tridans Vater mit seiner Mutter das Glück fand.
Louis ist das genaue Gegenteil von Tridan: Während Ferienlaune und Blauer-Himmel-Optimismus dessen Blick auf die Welt um sich herum prägen, ist sein Halbbruder ein mürrischer Miesepeter, der aussieht „wie ein verlassener Cockerspaniel“. Von seiner Frau ist er geschieden und vor seinem Sohn, einem Boxer, hat er Angst verdroschen zu werden, weil er ständig den Unterhalt schuldig geblieben ist. Und nun droht er auch noch seinen letzten Trumpf zu verlieren: die Wohnung, die er bislang für sein Eigentum hielt, zu der es jedoch keinen Grundbucheintrag gibt, der diesen Anspruch bestätigt. Der tatsächliche Eigentümer ist der wie Kai aus der Kiste aufgetauchte Mann aus Mexiko.
Da kommt dem vom Schicksal Gebeutelten eine Idee: Wenn er seinem arglos-naiven Halbbruder bei der Suche nach Violetta, seiner ewigen Liebe, behilflich ist, wird der ihm womöglich vor lauter Freude und Dankbarkeit das umstrittene Domizil überlassen. Während Tridan seine erste Arbeitsstelle als Kellner vergeigt, weil er dauernd das Kassieren vergißt (im Club Med war immer alles inklusive), sucht Louis heimlich nach Violetta. Nicht ganz leicht, denn Tridan sah sie zuletzt im zarten Alter von acht Jahren.
Louis findet heraus, daß Violetta bereits verstorben ist, und überredet seine Gelegenheitsgeliebte Roxane (Charlotte Gainsbourg), sich als Violetta auszugeben. Trotz gewaltiger Gegensätze – Roxane ist eine zudringliche Nymphomanin, Tridan ein eher unbedarfter Liebhaber – kommen die beiden einander näher, als Louis lieb sein kann. Denn eigentlich lautete der Plan, daß Roxane den von ihr beim ersten Anblick als unattraktiv eingestuften Lockenkopf so schnell wie möglich wieder abserviert, sobald das Ziel des Ränkespiels, die Übertragung der Wohnung, erreicht ist.
Dany Boon hat mit „Voll ins Leben“ („La Vie pour de vrai“) wieder einen sehr vergnüglichen Film vorgelegt und mit der kreativen Idee von dem Mann aus dem Club Med auch diesmal eine Handlungskomponente gefunden, die der französisch-belgischen Gemeinschaftsproduktion einen eigenen Pfiff gibt. Nicht jeder Witz ist gelungen – Roxanes nymphomanisches Appetenzverhalten ist ein klarer Fall von Weniger-ist-manchmal-mehr –, aber Boon verleiht seinem Skript durch immer wieder neue Wendungen und witzige Einfälle die nötige Spannkraft, um durchgehend gut zu unterhalten. Die Dialoge sind spritzig. Dany Boon und Kad Merad sind als Komiker-Gespann dermaßen eingespielt, daß bei Pointen, die auf ihren gegensätzlichen Charakteren basieren, die Gefahr von Fehlzündungen kaum besteht. An der Figur des Tridan gefällt vor allem deren unerschütterlicher Sonnenschein-Optimismus. In Zeiten, in denen der ganz reale Wahnsinn selbst in den höchsten Kreisen grassiert, eine Eigenschaft, die man gar nicht genügend wertschätzen kann.