© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/23 / 15. September 2023

Die nächste kühne Heilsidee
Baupolitik: Nachverdichtung von Einfamilienhausgebieten als Ausweg in der Wohnungskrise
Stefan Kofner

Die Münchner Professoren Andreas Hild und Thomas Auer – der eine lehrt Entwerfen, Umbau und Denkmalpflege, der andere Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen – hatten ein Heureka-Erlebnis: „Einfamilienhäuser sind unsere Rettung!“ erklärten sie letzte Woche in einem ausführlichen Spiegel-Interview. Das klingt zu schön um wahr zu sein. Ausgerechnet die von den grünen Weltklimaschützern wegen ihrer Flächen- und Ressourcenverschwendung gescholtenen Einfamilienhäuser (EFH) sollen der Schlüssel für die gleichzeitige Lösung der Wohnungs- und der Klimakrise sein.

Die beiden Bauexperten glauben, daß in den Vororten und auf dem Land Millionen neuer Wohnungen entstehen könnten – „klimafreundlich und ohne großen Flächenverbrauch“. Das Problem der Flächenverschwendung durch die EFH läßt die Forscher nicht ruhen: „Diese Siedlungen bedeuten pro Person einen unglaublichen, geradezu verschwenderischen Verbrauch an Fläche, Energie, Material und Infrastruktur inklusive Straße“ (Andreas Hild). Das Eigenheim auf dem Land ist dabei besonders verpönt, weil hier Flächenverschwendung und erhöhter Mobilitätsbedarf zusammentreffen.

In ein Mikroapartment oder eine betreute Wohnanlage umziehen?

Das EFH wird so zum multiplen Sündenbock: Wer darin wohnt, soll sich schuldig fühlen, zumal wenn es ein freistehendes Eigenheim ist. Und wenn es sich zudem noch um einen Ein- oder Zwei-Personen-Haushalt handelt – das leere Nest nach dem Auszug der Kinder, der hinterbliebene Partner – dann dürfen die oft schon betagten Bewohner der nun viel zu großen Häusern nicht etwa ihren Lebensabend genießen, sondern sie müssen etwas Entscheidendes für die Rettung des Klimas und die Entspannung des Wohnungsmarktes tun: Wer nicht gleich sein Haus und die gewohnte Umgebung aufgeben will, um in ein Mikroapartment oder eine betreute Wohnanlage zu ziehen, der muß eben investieren: in die energetische Sanierung und – das ist die neue Idee der beiden Münchner Professoren – gleichzeitig in die Schaffung zusätzlicher Wohnungen auf seinem Grundstück. Mit Hilfe von Um- oder Anbauten soll Platz für zusätzliche Haushalte geschaffen werden. Mit den Einnahmen aus der Vermietung sollen die Hausbesitzer die politisch – durch das Gebäudeenergiegesetz (GEG) und andere Vorschriften – erzwungene, aufwendige energetische Sanierung ihrer Häuser finanzieren.

Für die nachträgliche Verdichtung gibt es verschiedene konkrete Möglichkeiten: Vorhandene Garagen können umgebaut oder aufgestockt werden – obwohl sie oft direkt an der Grundstücksgrenze stehen – oder man reißt sie gleich ab und ersetzt sie durch putzige „Tiny houses“. Wo die Fahrzeuge dann bleiben, ist eine offene Frage. Abgesehen davon kann sich die nachträgliche Schaffung von Einliegerwohnungen mit separaten Eingängen anbieten. Ein großes Potential wird schließlich in der Überführung offener in geschlossene Bauweisen gesehen. Die unnötigen Lücken zwischen den freistehenden Einfamilienhäusern sollen einfach durch Bebauung geschlossen werden.

Das Verdichtungspotential sei enorm, denn von den 19,5 Millionen Wohngebäuden in Deutschland sind sage und schreibe 16,2 Millionen Ein- oder Zweifamilienhäuser. Wenn man nur jedes zehnte davon mit einer zusätzlichen Wohneinheit versehen könnte, hätte man 1,6 Millionen neue Wohnungen gewonnen. Das entspräche dem – längst aufgegebenen – Wohnungsbauziel der Ampel für die gesamte Legislaturperiode.

Was ist von diesen Ideen zu halten? Finanziell gesehen funktionieren sie nicht, denn es stehen ja nur die Cash flows nach Kapitalkosten aus den teuer zu schaffenden neuen Mietwohnungen für die energetische Sanierung zur Verfügung und nicht die gesamten Mieteinnahmen daraus. Und wer den neuen Wohnraum mit Eigenkapital finanziert, dem fehlen diese Mittel für die energetische Sanierung der Altsubstanz.

Außerdem nimmt durch die Verbindung von energetischer Sanierung und Verdichtung die rechtliche, technische, steuerliche und förderseitige Komplexität derartiger Baumaßnahmen im Bestand beängstigende Dimensionen an. Man kann dabei nicht einfach ignorieren, daß es sich bei den Bauherren dieser grün-roten Visionen meistens um ältere Menschen handelt, die schwer an Kredite kommen, die man irgendwie mit Subventionen und sanftem Zwang aus ihrem ersehnten Altersfrieden herausreißen müßte. Selbst wenn das gelänge, wäre eine tiefgreifende Reform des Baurechts erforderlich, um überhaupt erst die rechtlichen Voraussetzungen für diese ausgreifenden Pläne zu schaffen.

Unberechenbares bürokratisches und finanzielles Abenteuer

Die Vorstellung, einfach die Lücken zwischen den bislang freistehenden Einfamilienhäusern zu schließen, kommt vom grünen Tisch der Sozialingenieure. Nach einer Befragung des Instituts der deutschen Wirtschaft ist das freistehende EFH die beliebteste Wohnform der Deutschen. Diesen Luxus, um ihr eigenes Haus herumgehen zu können, müßten sie sich abgewöhnen – ebenso wie die Vorstellung von Fenstern an allen Gebäudeseiten. Im übrigen ist nicht bekannt, wie viele freistehende Eigenheime es in Deutschland überhaupt gibt. In der kompakten Reihenhaussiedlung sind Verdichtungen kaum möglich. In den Städten findet man die freistehenden Objekte meistens in den Villenvierteln, wo sich die Villenbesitzer sicher schon auf die neuen hineingequetschten Verbindungsgebäude und die neuen Nachbarn freuen.

Alles in allem ist der Ansatz der energiesparenden Verdichtung nicht mehr als ein Baustein für die Lösung der akuten schweren Wohnungskrise, der zudem schwer zu aktivieren ist und viel Zeit benötigt, um Wirkungen zu entfalten. In vielen Bebauungssituationen ist die Verdichtung nicht oder nur mit schweren städtebaulichen und architektonischen Nebenwirkungen realisierbar.

Die Hauseigentümer fühlen sich allmählich wie im Schraubstock: Zu den Zwangsinvestitionen soll jetzt noch der Verdichtungsdruck kommen. Wer sich verweigert, muß sich rechtfertigen. Der CO2-Preis und die Zwangssanierungen nach der EU-Gebäuderichtlinie drohen im Hintergrund. Das Institut des privaten Grundeigentums wird immer mehr ausgehöhlt. Kaum noch gefördert, wird es immer mehr zur Last, zum unberechenbaren bürokratischen und finanziellen Abenteuer. Diese eigentumsfeindliche Politik zerstört die Vorstellung der Menschen vom Eigenheim als Hort der Freiheit und des selbstbestimmten Wohnens.

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