© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/23 / 15. September 2023

„Andere bekommen dafür weniger Strafe“
USA: Die harten Urteile gegen Erstürmer des Kapitols überraschen deren Anwälte/ Gouverneur DeSantis: Das waren keine Terrorakte
Josef Hämmerling

Soll mit den Strafen gegen die Proud Boys wegen ihrer Rolle bei der Stürmung des Kapitols ein Exempel statuiert werden? Bitte nicht, erklärte der konservative Gouverneur von Florida, Ron DeSantis und betonte zugleich, daß die Strafen gegen Mitglieder dieser Organisation „übertrieben hoch“ ausgefallen seien. Zudem bezeichnete er die Verurteilten als „Opfer eines unfairen Justizsystems“. Einige der Leute, die das Kapitol gestürmt hätten, mögen zwar „gewalttätig und damit schuldig gewesen sein“, aber es handelte sich keineswegs um einen „terroristischen Akt“. Vielmehr habe es sich um einen „Protest gehandelt, der in einen Aufruhr ausartete“. Entsprechend seien die Strafen unverhältnismäßig, vor allem „wenn andere Leute, die gleiche Dinge getan haben, sechs Monate“ bekommen haben. Von daher erwäge er eine Begnadigung, sollte er zum neuen US-Präsidenten gewählt werden. 

Der Gruppierung wird vorgeworfen, am 6. Januar 2021 in der vordersten Front bei der Stürmung des Kapitols gegen die Ernennung Joe Bidens zum Präsidenten gestanden zu haben. Die Strafen gegen die Führungspersonen der Proud Boys lagen dann auch weit über denen anderer Angeklagter: 22 Jahre für Enrique Tarrio, 15 und 17 Jahre für Zachary Rehl und Joseph Biggs sowie zehn und 18 Jahre für Dominic Pezzola und Ethan Nordean. 

Dagegen wurde Patrick Alonzo Stedman aus New Jersey am vergangenen Freitag zu vier Jahren Gefängnis und anschließender dreijähriger Aufsicht sowie zur Zahlung von 2.000 Dollar Restitution und einer Geldstrafe von 20.000 Dollar verurteilt. Das Interessante hieran ist, daß Patrick Stedman als „Teil eines ungeordneten Mobs, der die Polizeiketten in der Krypta überrannte“, verurteilt wurde, also nach Ansicht des Gerichts eine Führungsrolle beim Sturm des Kapitols innehatte. Stedman hatte sich dem Urteil zufolge 40 Minuten im Kapitol aufgehalten, darunter auch in den Räumen der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, und in mehreren anderen Regierungsräumen. Auch habe er Drohungen gegen Sicherheitsbeamte ausgestoßen. Die Staatsanwaltschaft hatte 70 bis 87 Monate Haft gefordert.

Tarrios Anwalt Nayib Hassan erklärte dann auch, sein Team sei von dem Urteil „etwas überrumpelt“ worden und man werde umgehend Berufung einlegen. Hassan wies auch darauf hin, daß sein Mandant der aufrührerischen Verschwörung für schuldig befunden wurde, der gleichen Anklage wie der Anführer der Oath Keepers, Stewart Rhodes. Der sei jedoch zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt worden, obwohl er keine Reue vor Gericht gezeigt hatte, während Tarrio sich sogar für sein Tun entschuldigt habe. Die Oath Keepers werden ebenfalls als rechtsextreme Organisation eingestuft, haben aber deutlich weniger Mitglieder als die Proud Boys. Hassan ist der Meinung, daß der Richter Tarrio zu einer höheren Strafe verurteilt habe, weil mehr Proud Boys vor dem Kapitol waren als jede andere Gruppe. Dazu passe auch die Aussage von Staatsanwalt Matthew Graves, die Proud Boys hätten bei der Stürmung an vorderster Stelle gestanden und diese geleitet. Hassan zufolge müsse aber die Einzelschuld jedes Verurteilten festgestellt und die Strafe darauf basieren.

Das US-Justizministerium gab Anfang September bekannt, daß in den 32 Monaten seit dem 6. Januar 2021 in fast allen 50 Bundesstaaten mehr als 1.100 Personen wegen Straftaten im Zusammenhang mit der Stürmung des Kapitols angeklagt wurden. Darunter mehr als 396 Personen wegen Angriffs oder Behinderung von Strafverfolgungsbehörden, das in den USA als Schwerverbrechen gilt. Die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen, so das Ministerium.