© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/23 / 15. September 2023

Schaulaufen auf der rechten Seite
Frankreich: Jordan Bardella, Kronprinz Marine Le Pens, wird Spitzenkandidat der Rechtspartei RN. Deren Nichte Marion Maréchal tritt für die Konkurrenz an
Julian Schneider

Die französische Rechte läuft sich warm für die anstehende Wahl zum Europaparlament 2024 und hat Aussicht auf großen Erfolg – allerdings ziehen sie wieder nicht geeint in das Rennen. Vergangene Woche erklärte sich zunächst Jordan Bardella zum Spitzenkandidaten seiner Partei, des Rassemblement National (RN). Der junge Europaabgeordnete, der in dieser Woche erst 28 Jahre alt wurde, ist seit knapp einem Jahr RN-Vorsitzender als Nachfolger von Marine Le Pen. Er gilt als ihr Kronprinz, ist zudem mit einer Nichte Le Pens liiert. Gegenüber der Zeitung Le Figaro bezeichnete Bardella die Europawahl im Juni 2024 als Möglichkeit für eine Abrechnung mit der Politik von Präsident Macron. Es sei „eine einmalige Gelegenheit für die Franzosen, die Regierung abzustrafen und die Zeit nach Emmanuel Macron vorzubereiten“.

Nur wenige Tage später war klar, daß Bardella auf der Rechten namhafte Konkurrenz bekommt. Le Pens Nichte Marion Maréchal geht für die Partei Reconquête (Wiedereroberung) als Spitzenkandidatin ins Rennen. Sowohl Bardella als auch Maréchal gelten ihren Anhängern als politische Wunderkinder. Die 33jährige Enkelin des Parteigründers Jean-Marie Le Pen, die sich mit ihrer Tante überworfen hat, dockt nun beim rechtsorientierten Journalisten, Einwanderungs- und Islamkritiker Éric Zemmour an. Der verursachte schon bei der Präsidentschaftswahl vergangenes Jahr viel Wirbel, schied aber letztlich erfolglos nach der ersten Runde aus. 

Wie auch Bardella fordert Maréchal, die EU-Wahl 2024 zu einem Referendum über die Einwanderungspolitik zu machen. Sie sprach von einer „historischen und zivilisatorischen Schlacht“ zur „Verteidigung unserer Identität, unserer Kultur und unserer Werte, die durch die Islamisierung und Überschwemmung mit Migranten bedroht sind“. Während Bardella nationale Grenz- und Einwanderungskontrollen hervorhebt, setzt sie aber auf europäische Antworten.

Durch die Stärke der Rechten gerät das französische Parteiensystem in Bewegung. Bardellas und Le Pens Rassemblement National erlebt seit vielen Monaten einen Höhenflug. Nach den neuesten Umfragezahlen von Ifop liegt der RN mit 25 Prozent vor Macrons sozialliberaler Renaissance-Partei mit 23 Prozent. Die Unzufriedenheit der Franzosen über die wirtschaftliche Lage und die Inflation, aber auch die Einwanderung und die Sicherheitslage nach den abermaligen Krawallen in den von schwarzen und arabischen Einwanderern bewohnten Vororten macht Macrons Präsidentenbewegung zu schaffen. Weit abgeschlagen liegen in der Ifop-Umfrage zur Europawahl die linke Bewegung „Unbeugsames Frankreich“ (10 Prozent), die rechtsbürgerlichen Republikaner (8 Prozent) und die Grünen-Liste (8 Prozent).

Zemmours Partei Reconquête mit Maréchal als Spitzenkandidatin käme laut Ifop auf 7,5 Prozent. Sie kann Marine Le Pen nicht die Führungsposition auf der Rechten streitig machen. Eine neue Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Viavoice für die linke Zeitung Libération zeigte, wie sehr die Sympathien und das Vertrauen der Franzosen in den RN gestiegen sind. Das Image der Partei und Le Pens hat sich stark verbessert. Le Pen versucht erfolgreich, durch rhetorische Mäßigung und staatsmännisches Auftreten auch Wähler in der Mitte zu erreichen. Wurde sie früher von den etablierten Parteien als rechtsextremer Teufel an die Wand gemalt, scheint ihre Strategie der „Entdiabolisierung“ jetzt aufzugehen. Die Partei ist unter Bardella moderner und seriöser geworden. Für Le Pen sei „der Kampf um die Seriosität gewonnen, und der Kampf um die Glaubwürdigkeit scheint in vollem Gange zu sein“, erklärte Adrien Broche, Leiter der politischen Forschung bei Viavoice. Nicht wenige Beobachter halten es für möglich, daß Le Pen bei der Präsidentschaftswahl 2027 gewinnt – was ein finales politisches Erdbeben für die 5. Republik auslösen würde.

Die Spannung vor der Europawahl Anfang Juni 2024 wächst

Geschadet hatte Le Pen bei der Präsidentenwahl 2022 die frühere Nähe ihrer Partei zu Putins Rußland. Sie ist nach Beginn des Ukrainekriegs hastig auf Distanz gegangen. Bardella hat als Parteivorsitzender gesagt, der RN sei früher kollektiv naiv gewesen gegenüber den Absichten Putins. Sowohl Le Pen als auch Zemmour haben der Ukraine ihre Solidarität erklärt. Waffenlieferungen sehen sie indes kritisch.

Sollte Marion Maréchal die Fünfprozenthürde überwinden und ins Europaparlament einziehen, dürfte sie in die Gruppe EKR (Europäische Konservative und Reformer) streben, wird in Paris spekuliert. Sie ist seit September 2021 verheiratet mit dem EU-Parlamentarier und früheren engen Vertrauten von Matteo Salvini (Lega) Vincenzo Sofo, der im Februar 2021 von der Lega zur Partei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) wechselte. Deren Chefin, Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, amtiert auch als Vorsitzende der EKR-Parteienfamilie. Maréchal hat ein Institut zur Ausbildung patriotischer Nachwuchskader mit einer Zweigstelle in Madrid gegründet und unterhält daher auch gute Kontakte zur spanischen Rechtspartei Vox.

Die kommenden Europawahlen dürften für Rechtsparteien zu einem Triumphzug werden. Umfragen von Politico sagen ihnen mehr als 23 Prozent Stimmenanteil voraus, fast so viel wie den Mitgliedsparteien der Europäischen Volkspartei (EVP), zu der CDU/CSU gehören. Allerdings sind die Rechten in zwei Fraktionen, die EKR und die ID (Identität und Demokratie), gespalten. Bardellas Rassemblement sitzt in der ID-Fraktion, ebenso die AfD, die FPÖ und die italienische Lega.