Vielleicht lag es daran, daß sich die deutsche Presse noch am Fall Aiwanger abarbeitete. Es dauerte jedenfalls ein paar Tage, bis die Dimension einer Klage, die vor dem Kölner Verwaltungsgericht eingereicht worden war, jedem klar wurde. Arne Schönbohm habe seine Dienstherrin, Innenministerin Nancy Faeser, verklagt. Eingegangen am 30. Juli. Schönbohm fordere 5.000 Euro Schadensersatz. Mitten im Wahlkampf holt die hessische SPD-Spitzenkandidatin ein selbstverschuldeter Skandal ein.
Rückblick: Am 8. Dezember 2021 wird Faeser von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ins Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) berufen. Sie ist die erste Frau auf dieser Position. Sie gehört zum linken Flügel der SPD. Ohne zu zögern beginnt sie mit dem Umbau des Hauses. In kürzester Zeit wechselt sie Schlüsselpositionen aus. Sie durchsetzt den gesamten Sicherheitsapparat mit Partei-Strukturen. Im Februar 2022 kommt heraus, daß Faeser als Mieterin in der Wohnung des Leiters der Zentralabteilung ihres Ministeriums wohnt. Sein Name: Martin von Simson, ebenfalls SPD. Zu seinem Amtsantritt soll er laut Bild eine Sprungbeförderung bekommen haben. Sein Gehalt stieg um 3.505 Euro auf 12.425 Euro monatlich. Anfang März 2022 widmet sich die Welt in einem Artikel unter der Überschrift „Ehemaliger Hip-Hop-Künstler leitet Stab von Faeser“ der Personalpolitik im BMI. Die Ministerin sei noch keine 100 Tage im Amt, sie wechsele aber „auffällig viel Personal aus“. Zwei verbeamtete Staatssekretäre und sechs von 13 Abteilungsleitern mußten bis dahin gehen. Der erfahrene Pressesprecher Steve Alter, ein früherer Bundespolizist, räumte seinen Posten nach nur zwei Monaten. Der Grund soll ein Streit im Zusammenhang eines Gastbeitrags gewesen sein. Faeser dagegen hatte 2021, als Vorsitzende der hessischen SPD, einen Artikel über die Gefahren des Rechtsextremismus in der Zeitschrift antifa veröffentlicht. Die Zeitschrift gehört zur vom Verfassungsschutz beobachteten Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA).
Im Oktober 2022 trifft es dann den damaligen Präsidenten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Arne Schönbohm. Faeser will ihn loswerden. Die Behörde, der er vorsteht, ist für die Cybersicherheit verantwortlich. Sie soll nicht nur den privaten E-Mail-Verkehr schützen, sondern auch kritische Infrastruktur wie die Bahn und die gesamte Energieversorgung. Doch da scheinen Schönbohm und Faeser entgegengesetzte Vorstellungen gehabt zu haben.
Es geht um die Veröffentlichung von sogenannten Sicherheitslücken. Dabei wird jedem Hersteller von Software die Möglichkeit gegeben, diese Lücken nach Bekanntwerden zu schließen. Bleiben die Lücken offen, können Kriminelle aber auch Geheimdienste sie nutzen, um Unternehmen wie auch private Nutzer auszuspähen. Schönbohm setzte sich für ein sogenanntes Schwachstellenmanagement ein, Faeser hingegen wollte das Gegenteil. „Wenn es nach der SPD-Ministerin geht, soll das Bundesamt für Sicherheit in der IT zusammen mit Polizei und Geheimdiensten bei jeder Sicherheitslücke neu entscheiden, ob die Behörden die Schwachstelle offenlassen und ausnutzen oder melden und schließen.“ Das schreibt Netzpolitik.org noch am 6. Oktober 2022.
Faeser stuft Besoldung von Schönbohms Ersatzstelle hoch
Einen Tag später, am 7. Oktober, flimmert das „ZDF Magazin Royale“ über die Mattscheibe. Moderator Jan Böhmermann erhebt schwerwiegende Vorwürfe gegen den BSI-Präsidenten. Schönbohm habe angeblich über russische IT-Firmen mittelbare Kontakte zum russischen Geheimdienst – und das mitten im Krieg zwischen Rußland und der EU-unterstützen Ukraine. Böhmermann fabuliert in der noch abrufbaren Sendung von einem Leck in der kritischen Infrastruktur und von dem größten Sicherheitsrisiko. „Menschen, die auf Posten sitzen, wo sie nicht hingehören“.
Ungewiß ist heute auch die Zukunft von Böhmermann. Der selbsternannte Satiriker wird von seinen ZDF-Kollegen Richard David Precht und Markus Lanz in einem Podcast hart kritisiert. „Für Böhmermann ist jeder, der rechts von der SPD steht, schnell unter Nazi-Verdacht“, sagt Precht. Der Anwalt Joachim Steinhöfel hat am 8. September eine förmliche Programmbeschwerde an den ZDF-Fernsehrat gerichtet. Jeder mache Fehler. Es sei aber „etwas anderes, wenn man sich, mutmaßlich in konspirativem Zusammenwirken mit politischen Entscheidungsträgern im Bundesinnenministerium, von diesem dienstfertig korrumpieren und instrumentalisieren läßt, um den Ruf und die berufliche Existenz eines unbescholtenen Amtsleiters zu zerstören.“ Böhmermann sei ein Clown, schließt er ab.
Kontakte haben heißt nicht sich beeinflussen lassen. Soweit dachten weder Böhmermann noch Faeser. Sie ließ nach Ausstrahlung der Sendung am 12. Oktober Schönbohm verbieten, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Am 17. Oktober beantragt er deshalb selbst die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen sich. Am 18. Oktober untersagt ihm die Ministerin die Führung der Dienstgeschäfte.
Doch Faeser hat ein Problem: Wohin mit ihm? Schönbohm ist kein politischer Beamter, den man aus mangelndem Vertrauen einfach in den Ruhestand versetzen könnte. Sie muß eine adäquate Anschlußverwendung für den Spitzenbeamten finden. Ab 1. Januar 2023 wird er Leiter der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung (BAköV). Das BSI ist aber eine Behörde mit 1.440 Mitarbeitern, das BaköV hat gerade einmal 55 Mitarbeiter. Die Leitungsposition mußte auf Kosten des Steuerzahlers auf Schönbohms Besoldungsstufe B 8 hochgestuft werden.
Doch damit ist der Fall nicht erledigt. Im Frühjahr berichtete das Internetportal Business Insider, daß die Voruntersuchungen gegen Schönbohm keine Hinweise erbracht hätten, die ein Disziplinarverfahren gerechtfertigt hätten. Die Vorwürfe wären also haltlos, und damit war die Entfernung aus dem Amt vorschnell.
In dem Vermerk aus dem Ministerium vom 2. März 2023 über eine Unterredung des Abteilungsleiters Z des Innenministeriums mit Bundesinnenministerin Faeser geht hervor, daß die Ministerin die Vorlage derzeit nicht unterzeichne. Sie „war sichtlich unzufrieden. Sie fand die Dinge, die wir ihr zugeliefert haben, zu ‘dünn’ – wir sollten nochmals (das) Bundesamt für Verfassungsschutz abfragen und alle Geheimunterlagen zusammentragen.“ Aus dem Vermerk kann man auch herauslesen, daß der Abteilungsleiter die Ministerin darauf aufmerksam gemacht hat, daß die Mitarbeiter ihres Hauses nichts unversucht ließen, „alle relevanten Behörden und Abteilungen bereits beteiligt hätten und es schlicht nicht mehr gebe“. Er habe ihr auch gesagt, daß es sich bei dem ihr vorliegenden Schriftstück nur um ein Substrat handele und daß der größere Vermerk überzeugender sei.
Faeser ist entweder zu krank oder zu sehr unter Zeitdruck
„Sie möchte sich diese größere Unterlage selbst ansehen. Ich habe zugesagt, ihr diese Unterlage außerhalb des Dienstweges zukommen zu lassen.“ Das Referat ZI2 soll den Langvermerk als Ausdruck schicken. Der Abteilungsleiter gebe ihn dann als Papierversion nach oben. Außerdem bitte die Ministerin um folgende Nacherhebungen im Vereinsregister, ob Schönbohm nicht mehr registriert sei, und im Handelsregister, ob er tatsächlich seine Firma verkauft habe. „Zu letzterem meine ich, daß Schönbohm mir die entsprechenden Nachweise über den Verkauf übersandt hatte – diese bitte dem Ausdruck beifügen.“ Aus diesem Vermerk geht ein Belastungseifer hervor. Faeser scheint durch ausufernde Ermittlungen die Versetzung Schönbohms nachträglich rechtfertigen zu wollen. Erst nach sieben Monaten, am 24. April 2023, werden die Vorermittlungen gegen Schönbohm eingestellt. Schönbohm ist zu der Zeit schon vier Monate auf seinem neuen Posten.
Die Opposition, und hier die AfD, hatte schon früh Zweifel am korrekten Umgang des Ministeriums mit der Personalie Schönbohm und fragte nach. So kam heraus, daß Faesers Staatssekretärin Juliane Seifert am 6. April und 23. März 2022 zweimal mit ZDF-Moderator Jan Böhmermann telefonierte. Zwar gab das Ministerium die Telefonate zu, behauptete jedoch, es habe sich bei den Gesprächen um die Kampagne „Haß im Netz“ gehandelt. Deren Federführung liegt im Familienministerium. Hatte das Innenministerium womöglich Böhmermann schon vorab mit konstruierten Vorwürfen gegen Schönbohm gefüttert?
Ein Verdacht, dem nun endlich das Parlament nachgehen will. Zweimal wird Faeser vor den Innenausschuß gebeten. Die Innenexperten wollen sie zum „Fall Schönbohm“ befragen. Die CDU will wissen, ob die Ministerin den Verfassungsschutz benutzte, um den Spitzenbeamten abzusägen. Doch Faeser schwänzt die Termine. Zweimal schickt sie ihre Staatssekretärin. Am 5. September gibt sie medizinische Gründe für ihr Fehlen an, läßt sich am selben Tag aber in Wiesbaden von der dpa interviewen. Am 7. September gibt sie an, aus zeitlichen Gründen nicht zu können – sie wolle sich auf die Haushaltsrede vorbereiten, die sie am selben Tag im Bundestag hält. Der Innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Alexander Throm (CDU), kommentiert dieses Verhalten: „Das ist bei einem so ernstzunehmenden Verdacht, nämlich den Verfassungsschutz für bestimmte Zwecke zu instrumentalisieren, schlicht nicht akzeptabel.“
Ebenfalls am 7. September gibt Faeser der Bild ein Interview. Auf die Frage der Reporter, ob Faeser Schönbohm aufgrund von Vorwürfen eines TV-Satirikers (gemeint ist Böhmermann, Anmerkung der Redaktion) entlassen habe, sagt sie: „Nein, es ging um Vertrauen. Die Cybersicherheit ist so wichtig, daß hier keine Zweifel bestehen dürfen. Im übrigen: Er wurde ja nicht entlassen, sondern ist seit Beginn des Jahres Präsident der Bundesakademie für die öffentliche Verwaltung, also in einer gleichwertigen Position an anderer Stelle. Die Prüfung meines Ministeriums war sehr gründlich.“ Einen Tag später legt das Blatt nach und enthüllt einen weiteren Vermerk vom 23. November 2022. Darin schreibt eine Juristin des Ministeriums, daß es nur „schwache fachliche Vorwürfe“ gegen Schönbohm gebe. Noch schlimmer: Im Zuge des Disziplinarverfahrens gegen Schönbohm schreibt eine Beamtin, so das Blatt, „daß das BMI in disziplinarrechtlicher Hinsicht nicht nach Lege artis vorgegangen ist“, also nach allen Regeln der Kunst. Am 12. September veröffentlicht die Bild-Zeitung wieder einen Vermerk des Ministeriums. In der Disziplinarakte Schönbohm schreibt ein Beamter: „Das Ziel der Abberufung des Herrn Schönbohm als Präsident des BSI wurde erreicht.“
Faeser steht im hessischen Wahlkampf. Am 8. Oktober können 4,3 Millionen Wähler ihr Kreuzchen abgeben. Ihre Chancen scheinen fast aussichtslos. Eigentlich kein Problem, schließlich hatte sie ein sicheres Rückfahrtticket nach Berlin.
Exklusiv: Das sagt der Ex-Verfassungsschutz-Chef der JF zum Faeser-Skandal
„Grundsätzlich hat der Verfassungsschutz die Befugnis, Behördenpersonal mit Zugang zu Verschlußsachen zu überprüfen. Unterstellt man nun den Anfangsverdacht, daß ein Beamter mit russischen Geheimdiensten zusammenarbeitet, ist es Aufgabe des Verfassungsschutzes, ihn und sein Umfeld zu beobachten. Liegen allerdings keine tatsächlichen Anhaltspunkte vor, und damit meine ich Tatsachen, darf der Verfassungsschutz nichts machen. Die Bundesinnenministerin hatte allerdings gar nichts in der Hand, sie wollte Belastungsmaterial herbeischaffen, und genau das ist Mißbrauch des Verfassungsschutzes. Ihr Staatssekretär und ihr Zentralabteilungsleiter hätten sie davor warnen müssen.
Es ist aber bisher überhaupt nicht klar, ob der Verfassungsschutz loslegte. Das ist jetzt Aufgabe des Parlaments und der Gerichte, dies aufzuarbeiten. Ich kann jedenfalls sagen, daß ein solches Ansinnen in all den Jahren an mich nicht herangetragen worden ist. Wobei wir auch in diesem Fall davon ausgehen können, daß die Ministerin mit ihrem Zentralabteilungsleiter sprach, der mit dem Unterabteilungsleiter, von dem ja wohl auch die Vorlage stammen soll. Dieser instruiert den Referatsleiter, und der schreibt wiederum den Verfassungsschutz an. Ich gehe also nicht davon aus, daß die Bundesinnenministerin Haldenwang direkt beauftragt hat.
Sie ist als Verfassungsministerin für das Grundgesetz und die Wahrung des Rechtsstaats verantwortlich, da kann ich nur zum Schluß kommen: Eine Innenministerin, die so mit dem Recht umgeht, muß abgesetzt werden. Herr Scholz muß begreifen, daß Faeser sein Problem ist, sonst geht irgendwann Scholz mit dem Problem nach Hause.“