© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/23 / 08. September 2023

Frisch gepreßt

Ideen von 1914. Im Schlepptau des „Postkolonialismus“ streben derzeit viele geisteswissenschaftliche Disziplinen danach, ihre als moralisch anrüchig empfundenen allzu „weißen“ und „eurozentrischen“ Standpunkte zu verlassen. So ist es nun auch Ziel der Philosophiegeschichte, eine „globale Perspektive“ zu erzählen, so wie es das jüngste, auf Afrika konzentrierte Erzeugnis dieses staatlich großzügig geförderten Forschungszweigs dokumentiert (JF 34/23). Mit der Untersuchung von Traditionen des Denkens in anderen Kulturen soll es aber nicht sein Bewenden haben. Auch der deutschen Philosophiegeschichte steht die Überwindung ihrer „germanozentrischen“ (Ernst Nolte) Position bevor, indem sie, wie die übrigen europäischen, seit dem 19. Jahrhundert national verengten Philosophiegeschichten, auf eine „transnationale Ebene“ gehoben wird. Wie das aussehen könnte, will eine Aufsatzsammlung mit dem irreführenden Titel – denn verhandelt wird nicht die Historiographie dazu, sondern der politische „Einsatz“ von Philosophen – „Die Philosophiegeschichtsschreibung im Ersten Weltkrieg“ demonstrieren. Dazu hätte man vergleichende Studien erwartet, über die Kriegspublizistik von Philosophen der Mittelmächte einerseits, der Ententemächte andererseits. Stattdessen bewegen sich die Beiträge zu den deutschen „Kriegsprofessoren“ und deren der geistigen Mobilmachung dienenden „Ideen von 1914“ in vertrauten „germanozentrischen“ Bahnen. Abermals werden Rudolf Eucken, Ernst Troeltsch, Georg Simmel, Max Scheler & Co. als preußisch-deutsche Dunkelmänner präsentiert, während man zu wenige ihrer natürlich nur für Demokratie und Moderne fechtenden Kontrahenten als Lichtgestalten porträtiert – was einen wirklichen Vergleich verhindert. (ob)

Gerald Hartung, Caterina Zanfi (Hrsg.): Die Philosophiegeschichtsschreibung im Ersten Weltkrieg. Verlag Karl Alber, Freiburg 2022, gebunden, 174 Seiten, 39 Euro





CDU. Laut aktueller Umfragen ist die Union im Bund und in zehn von 16 Bundesländern derzeit stärkste Partei. Warum gerade die CDU dennoch nirgends die Meinungsführerschaft beanspruchen kann, analysiert der Volkswirt Ulfried Weißer in seiner interessanten Studie über jene Volkspartei, die „alle im Volk vorhandenen Regungen widerspiegelt“. Doch „everybody’s Darling is everybody’s Depp“ (Franz Josef Strauß), denn spätestens seit der Wiedervereinigung ist die Partei „ohne erkennbare leitende Idee“ auf Stimmenfang. Um dabei trotzdem erfolgreich zu sein, mußte sie die gesetzten Themen anderer Parteien adaptieren. Ein Mangel an innerparteilicher Demokratie half dabei, so daß man selbst die politische Agenda der Grünen ohne größere Widerstände der Basis in die politische Praxis überführen konnte. (bä)

Ulfried Weißer: Die CDU – eine Mehrheitspartei ohne Mehrheit. Verlag Frank & Timme, Berlin 2023, broschiert, 323 Seiten, 49,80 Euro