© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/23 / 08. September 2023

Richtung unchristliche grüne Hegemonie?
Geschichte und Gegenwart des „Christlichen“ in der CDU
Jens Miethke

Ob nicht auch das C im Parteikürzel der Christlich Demokratischen Union einen geringen Anteil an der Niederlage bei der Bundestageswahl im Herbst 2021 gehabt habe? Diese Frage stellte Andreas Rödder, der „Vordenker“ unter den wenigen Partei-Intellektuellen, im Januar 2022 zur Diskussion. Das war zwar noch kein Plädoyer für eine Flurbereinigung in der Namensfrage, aber es wurde deutlich, daß der Mainzer Zeithistoriker mit der Abschaffung des nicht mehr „zeitgemäßen“ C liebäugelte. Bilde es doch für nichtchristliche potentielle Wähler eine Barriere, stehe für Exklusivität und nicht für das, was die CDU eigentlich sein wolle, eine für alle „offene“ Volkspartei. 

Rödders „Denkanstoß“ wurde prompt ausgerechnet vom Gummilöwen Friedrich Merz ungewöhnlich scharf gekontert, als der nicht eben für Prinzipientreue bekannte Parteivorsitzende tönte: „Unser christliches Menschenbild bleibt!“ Das C gebe der Partei weiter „Orientierung, Halt und Demut“. Was noch unter „christlich“ an diesem Menschenbild zu verstehen ist, darüber gibt die jüngste Mitgliederbefragung allerdings ernüchternde Auskunft. Sie war veranstaltet worden, um das Parteivolk in die Ausarbeitung des neuen Grundsatzprogramms einzubeziehen, das im Mai 2024 vorgelegt und beschlossen werden soll. Obwohl es drei Viertel der 66.000 (von 370.000) Mitglieder, die überhaupt auf die Umfrage antworteten, wichtig ist, an „christlichen Werten“ festzuhalten, kam die Fixierung dieser „Werte“ über Synonyme für Allgemeinplätze nicht hinaus: „Freiheit, Schutz der Menschenwürde, Respekt, Anstand und Fairneß“. Doch sehen die meisten Mitglieder gesellschaftpolitisch größere Probleme, deren Lösung sich die Partei annehmen sollte, an erster Stelle die Innere Sicherheit, dann die Energieversorgung, die Stärkung des Bildungssystems und der Demokratie sowie eine „Steuerung der Zuwanderung“, was für 72 Prozent der Antwortgeber konkret heißt, die Aufnahme von „Flüchtlingen“ sei zu begrenzen.

Auf dem Themenfeld hingegen, das die vielfältigsten Bezüge für eine dezidiert christliche Politik böte, Ehe und Familie, erkennen nur zehn Prozent der Befragten Handlungsbedarf und sprechen sich etwa gegen eine pauschale Familien- und für eine stärkere individuelle Förderung in Kindergärten und an Schulen aus. Im entchristlichten Umfeld einer multikulturellen Gesellschaft ist vom Christlichen also selbst in der Partei mit dem „hohen C“ allenfalls ein Minimum übrig. 

Für den Historiker Peter Hoeres (Würzburg), der in einem kurzen Abriß zur Geschichte der CDU den seit 1945 stetig gesunkenen Stellenwert des christlichen Menschenbildes beleuchtet, erreichte es nach jahrhundertelangen theologisch-philosophischen Kontroversen seinen End- und Tiefpunkt unter dem Parteivorsitzenden Wolfgang Schäuble und der Bundeskanzlerin Angela Merkel, die beide das Christliche als politisch irrelevante, strikte Privatsache ansahen (Die Neue Ordnung, 3/2023). Merkel, die ungeachtet ihrer Herkunft aus einem protestantischen Pfarrhaus, niemand mit Kultur und Bildung in Verbindung brächte, definierte mit der ihr eigenen „Ist mir egal“-Pampigkeit, den kleinsten und dümmsten gemeinsamen Nenner des Christlichen: „Jeder Mensch ist einzigartig, jeder unterscheidet sich von den anderen.“ Von diesem geistigen Armutszeugnis sei es dann nicht mehr weit gewesen bis zum CDU-Engagement für die „Ehe für alle“ und zur verdrucksten Interview-Aussage von Friedrich Merz, es gebe „mindestens“ zwei Geschlechter.

Wie die Gründungs- und Programmgeschichte der CDU zeige, war das Christliche seit 1945 aber immer nur eine „flexible Klammer“, kein elaborierter Programmteil, aus dem sich unmittelbare politische Handlungsanweisungen hätten ableiten lassen. Insoweit habe die CDU wie die katholische Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils akzeptiert, daß moderne Gesellschaften sich in Subsystemen wie Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Recht, Kunst, Kultur und Religion mit je eigenen Funktionslogiken ausdifferenzieren. Religion sei daher nicht übersetzbar in Politik, was der CDU-Führung während der „abendländisch“ inspirierten 1950er Jahre eines neuen Konfessionalismus durchaus bewußt gewesen sei. Konrad Adenauer wollte mit der CDU keinen „Bund zur religiösen Erneuerung“, keine „Kirchenpartei“ und erst recht keinen Katalysator zum Umbau der jungen Bundesrepublik zum „klerikalen Staat“ schaffen. Was aus der christlichen Weltanschauung praktikabel war, reichte ihm aus, sich vom atheistisch-kommunistischen Gesellschaftssystem des Ostblocks und, als ideologische Unterfütterung der sozialen Marktwirtschaft, vom anglo-amerikanischen Manchesterkapitalismus abzugrenzen.  

Wenig erstaune daher, wenn das erste Grundsatzprogramm, das 1978 unter Helmut Kohl entstand, auch Liberale und Nichtchristen ansprechen wollte und deshalb in bezug auf das Christentum „sehr allgemein gehalten“ war. Immerhin blieb aber aus der Grundwerte-Trias Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit die Freiheit dem christlichen Verständnis verpflichtet, wonach der Mensch als Schöpfung Gottes nicht das letzte Maß aller Dinge ist. Darum konnte ein CDU-Papier 1988 auch noch gegen gentechnische Manipulationen des menschlichen Erbmaterials und gegen eine Lockerung des Abtreibungsverbots Stellung beziehen.

Ob die seitdem forcierte Abkehr vom christlichen Verständnis menschlichen Zusammenlebens sich im neuen CDU-Grundsatzprogramm fortsetzt, ob es auf eine weitere Anpassung auf eine unchristliche wie unbürgerliche „grüne Hegemonie“ hinauslaufe, ist für Hoeres ungewiß. Gewiß ist ihm indes, daß es sich nicht zuletzt bei der Unterbindung der Masseneinwanderung auf sittliche Forderungen der Kirche stützen könne. Formuliert von keinem Geringeren als Papst Johannes Paul II., der 2003 ex cathedra verkündete, daß Staaten sittlich verantwortlich seien, eine Kontrolle der Zuwanderungsströme unter Berücksichtigung der Erfordernisse des Gemeinwohls durchzuführen und Mißbräuche auszuschalten.