© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/23 / 08. September 2023

Ein 11. September für die Linke
Chile: 1973 putschte das Militär unter Augusto Pinochet gegen den Sozialisten Salvador Allende
Lothar Höbelt

Ein Militärputsch in Lateinamerika erregte vor fünfzig Jahren normalerweise kein besonderes Aufsehen. Bloß Chile machte da eine große Ausnahme. Der sozialistische Präsident Salvador Allende war 1970 mit einem minimalen Vorsprung von 36 zu 35 Prozent gewählt worden. Die Christdemokraten hatten ihm anfangs den Zuschlag erteilt, waren dafür aber nicht bedankt worden. Die Parlamentswahlen im März 1973 verlor Allende mit 43 Prozent gegen 55 Prozent für die vereinigte Opposition dann schon recht deutlich. Allende führte ein Volksfront-Bündnis an. Doch paradoxerweise waren es bald schon seine kommunistischen Juniorpartner, die als Stimme der Vernunft galten. 

Die Sowjets hatten das Interesse an Allende verloren

Der aus der Oberschicht kommende Allende war ein politischer Insider, der im Zweifelsfall romantischen Ideen den Vorrang gab vor wirtschaftlichen Realitäten. Berühmt wurde später seine Cousine Isabel als vielgelesene Autorin; damals stand mehr seine Tochter Beatriz („Tati“) im Rampenlicht, verheiratet mit einem Offizier des kubanischen Geheimdienstes, der ein Büro neben ihrem Vater bezog. Allende verstaatlichte den Kupferbergbau. Über tausend Landgüter wurden das Opfer wilder Besetzungen. Das Resultat war vorhersehbar: Die Exporte nahmen ab, die Importe an Nahrungsmitteln zu. Damit wurde die bekannte Abwärtsspirale von Zahlungsbilanzdefizit, Währungsverfall und Inflation in Gang gesetzt. Der Präsident vermochte sich von der militanten „Bewegung der revolutionären Linken“ am linken Flügel seiner Partei nie zu lösen, die „zu klein war, um Revolution zu machen, aber groß genug, um eine Konterrevolution zu provozieren“, wie es der britische Historiker Jonathan Haslam formuliert hat. „Revolutionsspielerei“ hieß es dazu in den DDR-Akten.

Das Parlament warf dem Präsidenten mit 81 zu 47 Stimmen Verfassungsbruch vor. In der Krise holte Allende die Chefs der Streitkräfte zu Hilfe, die ein paar Kabinettsposten übernahmen. Die Armee sollte gegen den Streik im Transportwesen vorgehen. Auf der anderen Seite hatten Heißsporne unter den Offizieren schon zwei dilettantische Umsturzversuche in Szene gesetzt. Das Militär wollte sich nicht auseinanderdividieren lassen. Auf eine komplette Machtübernahme drängten von Anfang an die Marine und die Luftwaffe. Das Heer und sein frischgebackener Chef Augusto Pinochet bremsten zunächst noch. Erst im August gab Pinochet grünes Licht. Am 11. September 1973 übernahm das Militär die Macht. Allende beging im Präsidentenpalast La Moneda Selbstmord. 

Die USA waren natürlich von Anfang an für den Sturz Allendes. Sie finanzierten die Oppositionsparteien und den Streik der Spediteure. Doch federführend waren nicht die üblichen Verdächtigen, der Botschafter oder die CIA. Chile avancierte zur Chefsache: Präsident Richard Nixon und sein Außenminister Henry Kissinger, am 27. Mai 2023 hundert Jahre als geworden, waren Realpolitiker. Sie bereiteten den Rückzug aus Vietnam vor – und den Ausgleich mit China. Um so mehr waren sie bemüht, aus dieser Frontbegradigung nicht den Eindruck eines globalen Rückzugs des Westens entstehen zu lassen. Nixon hatte mit der CIA schlechte Erfahrungen gemacht. Nur deren stellvertretender Chef Vernon Walters war deshalb in die Details eingeweiht. Kissinger ließ die Kontakte über das reguläre Militär laufen, vor allem die Marine. Die Sowjets wiederum hatten Allende längst abgeschrieben, der im Dezember 1972 mit leeren Händen aus Moskau zurückkam. Kuba kam für die Sowjets teuer genug. Am überschüssigen Kupfer der Chilenen bestand kein Bedarf. Nun war die Machtübernahme pro-westlicher Militärs in Brasilien 1964 und Indonesien 1965 in globalem Maßstab viel bedeutsamer. In Peru hatten die Militärs (dort allerdings linke!) 1968 das Ruder übernommen, in Bolivien 1971. 

Chile hatte sich immer schon viel auf seine Ausnahmeposition zugute gehalten: Das Land war von seinen Eckdaten her mit Südeuropa vergleichbar, nicht mit der Dritten Welt. Das war einer der Gründe, warum die europäische Linke so allergisch reagierte: Der 11. September des Augusto Pinochet reihte sich ein in die Gerüchte, Nixon habe mit Wohlgefallen das Husarenstück des Fürsten Valerio Borghese in Rom betrachtet, der als Warnschuß vor einer Regierungsbeteiligung der PCI 1970 das Innenministerium besetzt hatte. Den Euro-Kommunisten und ihren Sympathisanten war da nicht wohl zumute.

Pinochet konnte bis 1988 die Macht in Chile behaupten

Pinochet hat sich bald noch aus einem anderen Grund im Ranking der Buhmänner an die Spitze katapultiert. Denn er hatte Erfolg. Zwar übergab er die Geschäfte nicht, wie die Opposition gehofft hatte, umgehend an die Zivilisten. Patricio Aylwin, der als Führer der Christdemokraten schon in den Startlöchern scharte, mußte sich noch bis 1990 gedulden, bevor er in La Moneda einziehen konnte. Pinochet blieb an der Macht – er verlor erst 1988 ein Plebiszit über eine weitere Amtszeit. Er war nicht in die Geschäfte der Drogenmafia verwickelt wie die bolivianische Junta der achtziger Jahre; er versuchte keine nostalgischen Extratouren wie die Kameraden in Argentinien (im Gegenteil, er half den Briten 1982 im Falklandkrieg). Er setzte auf die österreichische Schule der Nationalökonomie, lud die „Chicago Boys“ ein und liberalisierte die Wirtschaft, die daraufhin erstaunliche Wachstumsraten verzeichnete. 

Zweifellos: Das Militärregime war nicht zimperlich im Umgang mit der Opposition. Es gab Folter, Verschleppungen und Morde. Doch damit unterschied sich Chile nicht grundsätzlich von den meisten Mitgliedstaaten der Uno. Der Unterschied war: Deren verwaschener nationaler Sozialismus diente bestenfalls als abschreckendes Beispiel, Pinochet hingegen als Alternative. Maggie Thatcher dürfte wie so oft recht gehabt haben: Das war es, was ihm die Linke nicht verzeihen konnte. 






Prof. Dr. Lothar Höbelt lehrt Neuere Geschichte an der Universität Wien