© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/23 / 08. September 2023

Chaos ohne Ende
Die ARD kommt nicht zur Ruhe: Doch Veränderungsforderungen treffen auf Widerstand
Gil Barkei

Es brodelt überall beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR). Die ARD-Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK), die die leitenden Kontrolleure aller Landesanstalten vereint, bemängelt eine zu große Homogenität bei den ARD-Talkformaten. „Talkshows müssen sich in ihrer Machart, ihrem Profil und Inhalt deutlich voneinander unterscheiden, um nicht zuletzt unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen. Es genügt nicht, sich nur durch unterschiedliche Moderatoren-Persönlichkeiten zu unterscheiden“, heißt es in einem internen Papier, über das die Süddeutsche Zeitung Ende August unter der Überschrift „Überall dieselben Nasen“ berichtete. 

Langweiliger doppeltgemoppelter Einheitsbrei: endlich fällt es einigen im ÖRR mal selbst auf. „Hinsichtlich einer künftigen crossmedialen Gesamtkonzeption“ bitten die Prüfer „mit Blick auf die Ende 2023 auslaufenden Verträge der Polit-Talks im Ersten um zeitnahe Information und beratende Einbeziehung“ – und die „Übermittlung geeigneter Infos zu Kosten(-strukturen) der Talks im Ersten und den Dritten“. Mitte September ist nun ein erstes Treffen der GVK mit den Programmverantwortlichen geplant. Doch auf Formatstreichungen wird es nicht hinauslaufen, sondern eher auf bessere Abstimmungen und jüngere Themen.

Nicht grundlos möchte die überparteiliche Denkfabrik Republik21 den ÖRR einer strengen Analyse unterwerfen und startete nun eine längerfristig angelegte Studie zum Thema „Framing im ÖRR“ sowie eine „Initiative für einen besseren ÖRR“. Tendenziöse Berichterstattung, handwerkliche Mängel, links-grüne Meinungsdominanz sowie Schwierigkeiten einiger Mitarbeiter, „eine Position abseits der Mehrheitsmeinung der Redaktion zu beziehen“: Viele Bürger zweifelten mittlerweile daran, ob sie solch ein Rundfunksystem „tatsächlich mit ihren Gebührengeldern weiterhin finanzieren müssen“. „Grundsätzlich halten wir den ÖRR für eine Errungenschaft, die wir wertschätzen und bewahren wollen. Aber es muß ein ÖRR sein, der das Ausgewogenheitsgebot seines Programmauftrags ernst nimmt, und keiner, der bei nahezu allen politischen Konfliktthemen, insbesondere bei Klima und Energie, Migration und Identitätspolitik einseitige Narrative verbreitet“, sagte der R21-Vorsitzende Andreas Rödder.

Auch an anderen Stellen steigt der Druck. Der nordrhein-westfälische Landesrechnungshof rügt die hohen Sanierungskosten für das WDR-Filmhaus in Köln und wirft der Rundfunkanstalt eine fehlende „langfristige Immobilienstrategie“ sowie Fehler schon zu Projektbeginn vor. Das Budget liegt laut WDR inzwischen bei 240 Millionen Euro, in den ersten Planungen 2007 waren noch 130 Millionen Euro veranschlagt. Der Sender weist die Vorwürfe zurück und nennt gestiegene Kosten für Material und Handwerker, so daß man „in wesentlichen Punkten“ zu „anderen Einschätzungen“ komme.

In der Hauptstadt sorgen ebenfalls Bauvorhaben für Verwirrung. Der Business Insider wirft dem RBB-Chefredakteur David Biesinger vor, die explodierenden Kosten für das mittlerweile eingestampfte digitale Medienhaus den Senderkontrollgremien verheimlicht zu haben, und spricht unter Berufung auf „eine mit dem Vorgang vertraute Person“ von „Anhaltspunkten für Pflichtverletzungen“. Biesinger war bei dem Projekt Co-Chef des Lenkungsausschusses. Eigentlich sollte nach dem Schlesinger-Skandal beim RBB aufgeräumt werden, doch Biesinger bekleidet weiter einen Spitzenposten. Er nennt die Vorwürfe „falsch“ und „rufschädigend“. RBB-Sprecher Justus Demmer betont zudem, Biesinger sei nie Teil der Geschäftsleitung gewesen. Doch genau dem widerspricht Business Insider: Biesinger sei unter Patricia Schlesinger Teil der Geschäftsleitung gewesen und habe Dokumenten zufolge an einer Finanzabstimmung teilgenommen. Selbst RBB-Sprecher Demmer gibt „erhebliche organisatorische Schwächen und schwerwiegende Fehler in der Handhabung von Geschäftsprozessen“ in der Vergangenheit zu. Chaos in der Anstalt. Oder besser in den Anstalten. 

Denn dies ist nur ein kleiner Auszug aus der ÖRR-Mängelliste der vergangenen vier Wochen, die sich fortführen ließe. Dem NDR kreidet der Business Insider überflüssige Mehrausgaben im IT-Bereich an. „Zahlreiche hochrangige NDR-Mitarbeiter“ beschwerten sich demnach über illegale Arbeitnehmerüberlassung, weil das von der ARD gegründete Informations-Verarbeitungs-Zentrum (IVZ) Beschäftigte sende, die zwar teurer als haus-eigene Mitarbeiter seien, aber trotzdem teilweise Jahre beim NDR blieben.

Gerichte schützen den Status quo

Gleichzeitig wiederholen private Medien ihren Vorwurf, die ARD umgehe mit ihren Werbetöchtern das Werbeverbot für öffentlich-rechtliche Sender im Internet. „Aktuell dringt die ARD verstärkt in die digitalen Medienmärkte ein, die sich die privaten Anbieter mit Investitionen in Podcasts, Streamingangebote und neue Technik teuer erschlossen haben“, betont Kai Fischer, Vorsitzender der Geschäftsführung der Audiotainment Südwest, einer der größten deutschen Radiogruppen, gegenüber der FAZ. „Bereits die schiere Anzahl der Podcast-Angebote der ARD-Anstalten tangiert die privaten Hörfunkanbieter massiv, weil sie Reichweitenverluste für unsere eigenen Angebote bedeuten.“ Die Geschäftsführerin des Verbands Privater Medien (Vaunet), Daniela Beaujean, springt ihm bei: „Uns geht es um das Gesamtangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. So wie die Anzahl der UKW- und DAB-Radios begrenzt ist, fordern wir auch eine Begrenzung des Telemedienangebots, also zum Beispiel der diversen Online-Channels und Podcasts.“ Im Fokus: Insbesondere die Werbevermarkter RBB Media und ARD Media bestücken Podcasts auf privaten Plattformen mit selbst akquirierten Reklamespots.

Der Unmut hat längst die Politik im Griff. Ende August wiederholte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) seine Position, daß eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags „in der Bevölkerung und sicher auch in vielen Landtagen nicht vermittelbar“ sei. „Wir brauchen die Öffentlich-Rechtlichen. Aber ARD und ZDF brauchen auch endlich klare Reformen“, sagte er der Bild-Zeitung. Damit haben sich inzwischen sieben von 16 Ministerpräsidenten gegen eine Teuerung der Zwangsabgabe ausgesprochen: An Haseloffs Seite stehen die Regierungschefs von Berlin, Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Weit entfernt von einer eigentlich notwendigen Einstimmigkeit bei der Gestaltung der nächsten Beitragsperiode 2025 bis 2028. „Es droht ein medienpolitisches Desaster“, faßte es medienpolitik.de-Chefredakteur Helmut Hartung zusammen.

Doch noch schützen Gerichte den Status quo. So entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof Ende letzten Monats, der Rundfunkbeitrag sei in jedem Fall zu entrichten, auch wenn man mit dem Angebot von ARD und ZDF unzufrieden sei und es daher nicht konsumiere. Die momentan 18,36 Euro würden „ausschließlich als Gegenleistung für die Möglichkeit des Rundfunkempfangs erhoben“. Die Richter wiesen damit die Berufung einer Frau zurück, die wegen „mangelnder Programmvielfalt“ und eines „generellen strukturellen Versagens des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ – also genau wegen der oben genannten Punkte – den Beitrag nicht zahlen wollte. 

Und auch Journalisten machen mobil gegen die Forderungen nach Veränderung. Die Festlegung der sieben Länderchefs nennt der Deutsche Journalisten-Verband „nicht hilfreich“ und „einen Affront gegen die unabhängige Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten (KEF)“, deren Empfehlung  abzuwarten sei.

Erste vorsichtige Einschnitte sind politisch jedoch kaum umgänglich. So peilen Berlin und Brandenburg einen neuen Staatsvertrag für den RBB an. Die Intendantin, neben der zwei eingeplante Direktorenposten für mehr Kontrolle sorgen sollen, bekommt künftig „nur“ noch 220.00.000 Euro Grundgehalt, unter Schlesinger waren es noch über 300.000 Euro. „Die Zeit der Sonnenkönigin beim RBB ist vorbei“, sagt der brandenburgische Staatssekretär Benjamin Grimm (SPD). Das TV-Programm soll pro Tag eine Stunde statt bisher 30 Minuten Landesberichterstattung liefern. Kommendes Jahr könnte das neue Regelwerk in Kraft treten – bis dahin läuft noch viel Wasser die Spree hinunter. Wo wir wieder beim Chaos wären. Bis kurz vor ihrem Antritt Anfang September hatte die neue RBB-Intendantin Ulrike Demmer aufgrund der Gehaltsfrage noch keinen Arbeitsvertrag – und der senderinterne Personalrat fordert weiterhin eine externe Aufarbeitung ihrer umstrittenen Wahl.