© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/23 / 08. September 2023

Ihr Stil ist heute noch präsent
Filmhistorie: Vor zwanzig Jahren starb die wegen ihrer Rolle in der NS-Zeit umstrittene Filmemacherin Leni Riefenstahl
Thomas Schäfer

Wenn sich das künstlerische Gewicht eines Kulturschaffenden danach bemißt, wie viele Zusätze oder Synonyme es zu seinem Namen gibt, dann war die am 8. September 2003 kurz nach ihrem 101. Geburtstag verstorbene Filmlegende Helene Bertha Amalie „Leni“ Riefenstahl ein ausgesprochenes Schwergewicht: Die einen betitelten sie beispielsweise als die „modernste Filmemacherin überhaupt“ (Hollywood-Regisseur George Lucas), und die anderen als „Reichsgletscherspalte“, „Führerbraut“, „Nazi Pin-up-Girl“, „Zerkratzte Schallplatte“, „Löwenhäuptige Domina“, „Schönheitsfanatikerin“, „Superverleugnerin“ oder „Lebende Provokation“.

Leni Riefenstahl stand derlei Zuschreibungen meist distanziert gegenüber. In einem großen Interview mit dieser Zeitung sagte sie im Februar 1994: „Wenn ich einen Film mache, wird mich das Urteil über meine Arbeit interessieren, aber was sonst geschrieben wird, läßt mich kalt. Das meiste ist ja Phantasie, die mit mir nichts zu tun hat. Entweder werde ich zu stark gelobt – oder ich werde zu stark verurteilt.“ Festzuhalten bleibt in jedem Fall, wie ihr Biograph Jürgen Trimborn 2002 notierte, daß keine andere Filmregisseurin „jemals so viel Beachtung gefunden“ und zugleich so viel Kritik auf sich gezogen hat wie diese Frau, „deren Popularität international ungebrochen ist“.

Adolf Hitler beauftragte sie mit Parteitagsfilmen 

Ursprünglich reüssierte die Tochter eines Berliner Klempnermeisters als Tänzerin, sie nahm Ballettunterricht, lernte Ausdruckstanz, ging als Solotänzerin auf Tournee, bis ihre Bühnenkarriere im Sommer 1924 verletzungsbedingt endete. Im Jahr darauf sah Riefenstahl den Streifen „Der Berg des Schicksals“ mit Luis Trenker und Erna Morena, worauf sie spontan beschloß, Filmschauspielerin zu werden. Und das gelang ihr tatsächlich auch: In „Der heilige Berg“ von 1926 mimte sie die Tänzerin Diotima, welche zwei Bergsteiger gleichzeitig umgarnt und am Ende für deren beider Tod verantwortlich zeichnet. Einige Kritiker wie der Begründer der Filmsoziologie Siegfried Kracauer bezeichneten das Werk zwar als „eine gigantische Komposition aus Körperkultur-Phantasien, Sonnentrottelei und kosmischem Geschwöge“, dafür bescheinigten andere Riefenstahl jedoch, „ein beinahe unwahrscheinlich zartes, von feinsten Rhythmen beseeltes Geschöpf“ zu sein, das „keineswegs nur als Tänzerin, sondern auch als Schauspielerin … viel natürliche Innerlichkeit mitbringt“.

Dadurch faßte sie im damals sehr beliebten Bergfilmgenre Fuß: Auf die Diotima in „Der heilige Berg“ folgten weitere Hauptrollen als Gita in „Der große Sprung“ (1927), Maria Maioni in „Die weiße Hölle vom Piz Palü“ (1929) und Hella Armstrong in „Stürme über dem Mont Blanc“ (1930). Dem schloß sich 1932 der mystisch-romantische Streifen „Das blaue Licht“ an, in dem Riefenstahl nicht nur die Rolle des Bergmädchens Junta spielte, sondern zugleich auch dem Regisseur Béla Balázs assistierte.

Im Mai 1932 traf Riefenstahl ihren Memoiren zufolge in Horumersiel bei Wilhelmshaven erstmals mit Adolf Hitler zusammen, der als Bewunderer ihrer Arbeit auftrat und sagte: „Wenn wir einmal an die Macht kommen, dann müssen Sie meine Filme machen.“ Ein Jahr später löst der „Führer“ dieses Versprechen ein und beauftragte die Nachwuchsregisseurin mit dem ersten Teil der sogenannten Reichsparteitagstrilogie. Unter dem Titel „Der Sieg des Glaubens“ dokumentierte Riefenstahl den Nürnberger NSDAP-Parteitag im August/September 1933. Dem folgten der später nachgerade legendär gewordene Propagandafilm „Triumph des Willens“ über den Parteitag vom 4. bis 10. September 1934 und der kürzere Streifen „Tag der Freiheit! – Unsere Wehrmacht“, der vom 10. bis zum 16. September 1935 gedreht wurde.

Mit diesen drei Arbeiten hatte sich Riefenstahl, die nie Mitglied der NSDAP war, in den Augen der Nationalsozialisten hinreichend dafür qualifiziert, das nächste Großprojekt in Angriff zu nehmen, für das das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda 1,8 Millionen Mark zur Verfügung stellte. Hierbei handelte es sich um den wiederum vielfach äußerst enthusiastisch aufgenommenen Zweitteiler über die Olympischen Spiele von 1936 in Berlin mit den Titeln „Fest der Völker“ und „Fest der Schönheit“, der Riefenstahl sogar eine nachträglich verliehene olympische Goldmedaille und weitere Auszeichnungen eintrug.

Was diese fünf Streifen eint, ist neben ihrer unzweifelhaften propagandistischen Intention eine charakteristische Ästhetik, welche auf optischer Harmonie, starker symbolischer Überhöhung, streng durchchoreographierten Szenen mit wohlkalkulierten dramaturgischen Höhepunkten und suggestiver musikalischer Untermalung beruht. Außerdem entwickelte Riefenstahl spezielle Schnitttechniken, um dem Ganzen mehr Dynamik zu verleihen. Dazu kamen innovative Aufnahmemethoden wie der konsequente Einsatz von Farbfiltern, starken Teleobjektiven sowie Katapult-, Ballon-, Unterwasser- und Schienenkameras. Typisch für die Reichsparteitagstrilogie war des weiteren noch der stark betonte Kontrast zwischen der quasi gesichtslosen Masse und der Person Hitlers.

Anfang 1939 plante Riefenstahl den Bau eines 225.000 Quadratmeter großen und speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Filmstudios, dessen Kosten vollständig von der NSDAP getragen werden sollten. Das Projekt scheiterte jedoch aufgrund des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges. 

Vorbildwirkung für die Popkultur, Sportberichte und Werbung

Am 5. September 1939 befahl Hitler die Aufstellung des „Sonderfilmtrupps Riefenstahl“. Dieser hielt am 5. Oktober 1939 die Siegesparade der deutschen Truppen in Warschau fest, wobei aber Fritz Hippler Regie führte. Anschließend begann Riefenstahl am 1. August 1940 mit den Dreharbeiten zu dem Epos „Tiefland“, bei dem sie die weibliche Hauptrolle übernahm und zugleich als Regisseurin, Co-Produzentin und Drehbuchautorin fungierte. Die Verfilmung der gleichnamigen Oper von Eugen d’Albert erfolgte unter Mitwirkung von 68 zwangsweise rekrutierten Komparsen mit „südländischem“ Aussehen, die später in das „Zigeunerlager Auschwitz“ gebracht und dort zum größten Teil ermordet wurden. Aufgrund der Kriegsereignisse konnte Riefenstahl „Tiefland“ erst 1953 fertigstellen. Kurz zuvor klagte sie erfolgreich gegen die Münchner Revue, welche die Behauptung verbreitet hatte, die Regisseurin sei über die Deportation und Tötung der Kleindarsteller informiert gewesen.

Insgesamt führte Riefenstahl nach 1945 etwa 50 Prozesse, in denen sie sich gegen Falschbehauptungen über ihre Rolle während der Zeit des Dritten Reiches zur Wehr setzte und zumeist gewann. Desgleichen verlief die Entnazifizierung Riefenstahls wenig dramatisch: In den ersten beiden Verfahren 1948/49 wurde sie als „Nicht betroffen“ eingestuft, und in den folgenden zwei zur „Mitläuferin“ erklärt. Deshalb kam es auch zu keinem Berufsverbot.

Allerdings scheiterten Riefenstahls folgende Filmprojekte. „Eine vollkommen neue Erfahrung, die Leni Riefenstahl nun machen mußte, war, daß sie mit einem Mal fallengelassen wurde, daß sich die Empörung und Entrüstung eines ganzen Volkes, das sie zuvor auf Händen getragen, bewundert oder auch beneidet hatte, gegen sie richtete“, schreibt ihr Biograph Trimborn. Er berichtet von dreizehn Spielfilm- und Dokumentarfilmprojekten, die zwischen 1953 und 1963 nicht zustande gekommen seien, darunter eine Neuverfilmung von „Das blaue Licht“.

Ein neuer künstlerischer Durchbruch gelang ihr erst ab 1964 mit mehreren spektakulären Fotoserien in Illustrierten und Bildbänden über die sudanesische Volksgruppe der Nuba, welche wiederum eine unverwechselbare Ästhetik atmeten. Zwei eigenständige Nuba-Bildbände von ihr erschienen 1973 und 1976. 

1972 erlernte sie im Alter von 70 Jahren das Gerätetauchen und unternahm anschließend zahlreiche Expeditionen in tropische Meere, um dort die Unterwasserwelt im Bild festzuhalten. Im Nachgang zu rund 2.000 Tauchgängen entstanden die Bücher „Korallengärten“ und „Wunder unter Wasser“ sowie der 2002 fertiggestellte Dokumentarfilm „Impressionen unter Wasser“. Mit diesem 41 Minuten langen Streifen wollte Riefenstahl, die nach eigenen Angaben seit Anfang der 1990er Jahre aktives Mitglied der Umweltschutzorganisation Greenpeace gewesen war, noch als Hundertjährige den Menschen „ins Bewußtsein … rufen, was die Welt verliert, wenn nichts gegen die Zerstörung der Meere unternommen wird“.

Nach Leni Riefenstahls Tod im oberbayerischen Pöcking ging der 700 Kartons umfassende Nachlaß zunächst an ihren 40 Jahre jüngeren Ehe- und Kameramann Horst Kettner und danach 2018 an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin, wo er nun der Aufarbeitung harrt. Eine erste Sichtung ergab jedoch keine spektakulären Funde. Dennoch wurde es nicht still um die angeblich „begabteste Propagandistin des Herrenmenschentums“, wie die Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich Riefenstahl nannte. Das resultiert aus ihrer immer noch ungebrochenen Vorbildwirkung für die Popkultur, Sportberichterstattung und Werbewirtschaft. So kam es schon 1998 zu einem medialen Aufschrei, als die Band Rammstein in ihrem Video zu dem Lied „Stripped“ Szenen aus Leni Riefenstahls Olympia-Film verwendete.

Wenn heute ein neues Parfüm in Reklamespots angepriesen wird, geschieht dies nicht selten im typischen Stil Riefenstahls. Und auch bei Fernsehübertragungen von Sportveranstaltungen kommen ständig die Darstellungsmittel von Hitlers Lieblingsregisseurin zum Einsatz. Ebenso haben manche US-amerikanische Filmemacher keine Probleme damit, sich von Riefenstahl inspirieren zu lassen oder sie gar ganz direkt bildlich zu zitieren. So stellte George Lucas eine ikonische Einstellung aus „Triumph des Willens“ in der Schlußszene seines Science-fiction-Epos’ „Krieg der Sterne“ nach.