© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/23 / 08. September 2023

So hat sich Karin das nicht vorgestellt
Kino: Die Komödie „Enkel für Fortgeschrittene“ von Wolfgang Groos ist ein typisches Zeitgeiststück – viel zu zahm, um witzig zu sein
Dietmar Mehrens

Wie man in Zeiten, in denen einem die Früchte der Achtundsechziger-Verirrungen wie Kokosnüsse auf den Kopf knallen, trotzdem gute Miene zum bösen Schauspiel machen kann, dafür ist „Enkel für Fortgeschrittene“ ideales Anschauungsmaterial. Es handelt sich bei der Komödie von Wolfgang Groos um die Fortsetzung von „Enkel für Anfänger“ (2020) desselben Regisseurs.

Maren Kroymann, Heiner Lauterbach und Barbara Sukowa spielten darin dasselbe Senioren-Trio wie auch jetzt in der Nachziehnummer: Maren Kroymann ist die umtriebige Karin, die zu Beginn des Films von einer einjährigen Reise ins Ich zurückkehrt, die sie außer ins Innere der eigenen Seele auch nach Neuseeland geführt hat. Barbara Sukowa verkörpert Philippa, die Inkarnation des hedonistischen Achtundsechziger-Geistes inklusive Hippie-Frisur, Batik-Kleidung und der Neigung, Rauschgift als Lösungsmittel zu verwenden. Die Rolle des Quoten-Homos fällt Heiner Lauterbach zu, der mit großer Sorgfalt den Volkserziehungsauftrag wahrnimmt, denjenigen unter den Zuschauern, die Küsse zwischen Männern immer noch widerlich und unnatürlich finden, klarzumachen, daß das nun nicht mehr geht. Wie beim Kinder-Überraschungsei werden diesmal gleich zwei Wünsche auf einmal erfüllt: Der neue Mann, den Gerhard findet, ist nicht nur homosexuell, er ist auch Türke. Da tanzen die Regenbogenfarben Samba!

„Mein Mann freut sich bestimmt darauf, daß ich zu Hause wieder das Steuer übernehme“, ist sich Karin noch im Flieger aus Neuseeland sicher. Weil bei ihr aber die Freude offensichtlich noch größer ist als bei ihrem Gemahl Harald (Günther Maria Halmer), hat sie ihren Rückflug – Überraschung! – drei Wochen vorverlegt. So ertappt sie ihn dabei, wie er sich von Nachbarin Sigrid (Imogen Kogge) die Wäsche, das Essen und auch sonst allerlei machen läßt. Warum sollte das Ausprobieren einer Veränderung allein ihr, Karin, vorbehalten sein, argumentiert Harald. „So hab ich mir die Veränderung nicht vorgestellt“, erwidert die und verläßt empört das gemeinsame Anwesen.

Das Drehbuch wiegelt Irrtümer und Lebenslügen der 68er ab  

Die rüstige Dame quartiert sich bei ihrem homosexuellen Freund Gerhard ein, der ihr schon in „Enkel für Anfänger“ zur Seite stand. Der Ärmste hat einen schweren Verlust zu verarbeiten und ist von dem neuen Leben in der Bude gar nicht begeistert. Noch mehr Leben in der Bude ist bei der dritten Protagonistin, Philippa, die für ihre hochschwangere Tochter Annika (Marie Burchard)

deren Schülerladen, eine Art Hausaufgabenbetreuung plus, übernehmen möchte. Da hilft die beschäftigungslose Karin natürlich gern aus. Im Kreise der vorlauten Pennäler warten auf die Heldinnen des Alltags weitere Herausforderungen. Es wird turbulent.

Was hätte man aus dieser Konstellation für eine wunderbare Abrechnung mit den Irrtümern, Lebenslügen und Spätschäden der Achtundsechziger machen können; zum Beispiel mit der Pädophilie-Verherrlichung, für die die berüchtigten Kinderläden aus den sündhaften Siebzigern stehen. Sie sind das historische Vorbild für den Schülerladen, dem das Drehbuch von Robert Löhr lieber das Prädikat „besonders wertvoll“ anheftet. Der Achtundsechziger-Apologet, der in „Das Erlkönig-Manöver“ bereits Alexander von Humboldt für LGBT-Propaganda vereinnahmt hatte, spinnt brav systemkonforme linke Mythen: Gerhard konnte mit seinem Lebenspartner natürlich keine eigene Familie gründen und ist nach dessen Tod völlig vereinsamt – aber Löhrs Drehbuch findet eine Lösung. Der Irrtum von der freien Liebe und dem Ende der traditionellen Familie hätte am Beispiel der Beziehung Philippas zu ihrer Tochter Annika gezeigt werden können, die als Kind einer Hippie-Tussi jede Menge Erziehungsdefizite wegzustecken hatte – in Löhrs Drehbuch alles halb so wild. Und die Chance zur tabulosen Verspottung eines der typischen Rauschgiftexzesse, in denen die Generation der heute Siebzigjährigen einst die Seligkeit zu finden trachtete, nur um eine brutale Bauchlandung zu machen, vergibt die von Robert Löhr ersonnene Geschichte ebenfalls: Die Handlung gipfelt in einer aus dem Ruder gelaufenen Party. Doch Löhr und Groos klauen lieber bei der US-Komödie „Hangover“ (2009), als dem Zuschauer einen optischen und emotionalen Höhepunkt zu liefern. Die schlimmsten Peinlichkeiten werden dem Zuschauer nämlich vorenthalten und sind lediglich als Fotoparade im Abspann zu sehen.

So reiht sich „Enkel für Fortgeschrittene“ ein in die endlose Riege von Zeitgeistaffirmationen auf Fernsehfilm-Niveau. Für einen wirklich witzigen Film ist die ARD-Degeto-Koproduktion viel zu zahm und zahnlos. Wer selbst für das, was er zu ironisieren glaubt, jede Menge Sympathie hat – und die ist dem Duo Löhr/Groos klar abzuspüren –, eignet sich ganz einfach nicht für einen respektlosen Spaß.

Kinostart ist am 7. September