Solide Finanzpolitik ist ein Markenzeichen der Bundesrepublik. Nur zehn weitere Länder der Welt, darunter Australien, Norwegen, Singapur und die Schweiz, bekommen im Kreditranking noch auf ein AAA. Das erlaubt eine relativ billige Verschuldung – aber wie lange noch? Finanzminister Christian Lindner hat versichert, mit dem Haushaltsentwurf 2024 zur „finanzpolitischen Normalität“ zurückzukehren: Die Ausgaben sollen von 476,3 auf 445,7 Milliarden Euro (-6,5 Prozent) sinken. Die Nettokreditaufnahme sinke von 45,6 auf 16,6 Milliarden Euro.
Nicht nur von der Opposition, auch vom Bundesrechnungshof (BHR) muß sich der FDP-Chef den Vorwurf des Schummelns gefallen lassen. Schon 2020 habe die Ausgabenverschleierung eine „nicht bekannte Ausweitung und Dynamik erlangt“, heißt es im BRH-Bericht „über Sondervermögen des Bundes und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Haushaltstransparenz sowie die Funktionsfähigkeit der Schuldenregeln“. Die „budgetflüchtigen“ Ausgaben und Kreditfinanzierung würden das parlamentarische Budgetrecht und die Wirksamkeit der Schuldenbremse gefährden.
Das Parlament und die Öffentlichkeit drohten den „Überblick und damit auch die Kontrolle zu verlieren“. Allerdings setzt die Ampel mit dem, was der BRH als „rechtlich problematisch und politisch fragwürdig“ bezeichnet, nur das fort, was unter Angela Merkel bereits Usus war: Der Haushalt wurde jahrelang entkernt. Die Regierung trickst bei der Verschuldung, und das Zauberwort heißt dabei Sondervermögen. Doch die 2022 beschlossenen 100 Milliarden Euro „Sondervermögen Bundeswehr“ sind nur die Spitze eines Eisbergs. Alles, was richtig Geld kostet, hat die Regierung so aus dem abstimmungspflichtigen Kernhaushalt entfernt.
Weiteres Verschuldungspotential von bis zu 522 Milliarden Euro?
Das schwarz-gelbe Sondervermögen Klima- und Transformationsfonds (KTF) von 2011 ist derzeit sogar von einem Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) betroffen. Zutreffender wäre es, „diese Sondervermögen als Sonderschulden zu bezeichnen“, so der BRH. Der Öffentlichkeit würden wissentlich falsche Tatsachen vorgespielt, was die Ausgaben des Bundes betrifft. Insgesamt 29 Sondervermögen gibt es – 14 davon stammen aus den 16 Merkel-Jahren. Die 29 großen und kleinen Sondervermögen summieren sich auf 869,1 Milliarden Euro, davon zu 780,2 Milliarden Euro kreditfinanziert. Das Ende 2022 noch vorhandene Verschuldungspotential liege mit 522 Milliarden Euro etwa beim Fünffachen der im Finanzplanungszeitraum 2023 bis 2027 ausgewiesenen Kreditaufnahme.
Die um das Sondervermögen bereinigte Nettokreditaufnahme lag 2022 um mehr als zwei Drittel höher, als sie im Bundeshaushalt ausgewiesen war. Ein Jahr später beträgt sie bereits mehr als das Vierfache des als Soll ausgewiesenen Betrags – was aus dem Bundeshaushalt nicht ohne weiteres ablesbar ist. Die tatsächliche Verschuldung liegt nicht bei den von der Bundesregierung angegebenen 16,6 Milliarden, sondern bei 85,7 Milliarden Euro. Der Löwenanteil der Sondervermögen im Umfang von 555 Milliarden Euro wurde in nur drei Jahren installiert: KTF (2011), Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF-Corona 2020) sowie Bundeswehr und WSF-Corona (2022). Das zweite Nachtragshaushaltsgesetz von 2021 habe dazu geführt, daß die „Schuldenregeln nach Artikel 115 Absatz 2 Grundgesetz ausgehebelt werden“, moniert der BRH. Folgt das BVerfG dieser Auffassung und verwirft die verschleierte Verschuldung, werde „dies erhebliche Auswirkungen auf die bisherige Haushalts- und Finanzplanung haben“. Der Bundesregierung bescheinigen die Rechnungsprüfer, „mit der Änderung der Buchungspraxis ein hohes finanzwirtschaftliches Risiko eingegangen“ zu sein.
Lindner sei zwar gewillt, „die Zahl und den finanziellen Umfang von Sondervermögen zu reduzieren“, aber die geplanten Abwicklungen – Aufbauhilfe (2021), Digitale Infrastruktur (2018), Kommunalinvestitionsförderung (2015), Kinderbetreuungsausbau (2007), Mauergrundstücksgesetz (1996) – würden bei weitem nicht ausreichen, „um den aus den Fugen geratenen Bundeshaushalt wieder zum wahren Ausweis der Bundesfinanzen zu machen“. Staatsausgaben müßten aus dem Kernhaushalt finanziert und bestehende Sondervermögen regelmäßig evaluiert werden.
Lindner und seine Finanzexperten streiten die Schummel-Vorwürfe ab. Dem BRH teilte das Bundesfinanzministerium mit, daß es „den Darstellungen, Bewertungen und dem daraus resultierenden Gesamteindruck des Berichts ausdrücklich nicht folgen“ könne. Allerdings sah es sich jedoch außerstande, so schreiben die Rechnungsprüfer spitz, die Sachverhaltsfeststellungen ihres aktuellen Beratungsberichts zu widerlegen.
Sondervermögen des Bundes und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Haushaltstransparenz: www.bundesrechnungshof.de