Der Angriff ging so rasch vorbei, wie er begonnen hatte: In einer Blitzaktion attackierten Mitglieder der Islamistenorganisation „Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime“ (JNIM) im Morgengrauen des 30. August den Militärflughafen von Timbuktu im westafrikanischen Staat Mali, feuerten mehrere Mörsergranaten ab und lieferten sich kurze Gefechte mit dort ansässigen Sicherheitskräften. Verluste, so berichtete der französische Rundfunksender Radio France Internationale, habe es auf beiden Seiten zwar keine gegeben. Doch daß der Angriff als Schuß vor den Bug explizit „dem Zufluchtsort der Söldner von Wagner und der Soldaten des Verräters Goïta“, des derzeitigen Präsidenten Malis, diente, beschied die JNIM noch am selben Tag auf ihrem Telegram-Kanal.
In der Welterbestadt Timbuktu kündigt sich dieser Tage eine weitere humanitäre Notlage an. Am 8. August hatte die JNIM eine Blockade über die Stadt verhängt. Lebensmitteltransporte erreichen seitdem die Einwohner nicht mehr, aufgestöberte Tanklaster wurden von den Extremisten an der Stadtgrenze in Brand gesetzt, Boote, die auf dem etwas südlich gelegenen Niger eintreffen, ins Kreuzfeuer genommen.
Als Beweis seiner Treue blockierte Rußland Sanktionen gegen Mali
Aufgrund der Weite des Terrains gelingt es der malischen Armee nur mühsam, in der Gegend um Timbuktu erneut Fuß zu fassen. Ihre hauptsächliche Unterstützung ist dabei die russische paramilitärische Gruppe Wagner, die nicht nur einen eigenen Stützpunkt in der sechzig Kilometer entfernten Siedlung Ber besitzt, sondern sich obendrein noch gut bestückt mit schweren Waffen präsentieren kann. Bis zu eintausend russische Söldner sollen sich derzeit in Mali aufhalten. Seit der Machtübernahme Assimi Goïtas in Mali, des ersten einer bis heute andauernden ganzen Reihe von Militärputschen in der Sahelzone, gilt dieser Einsatzort als wichtigster, da lukrativster Baustein im Afrikanetzwerk der Gruppe Wagner.
Unsicherheiten über die Zukunft dieses Netzwerkes erwuchsen bei zahlreichen internationalen Beobachtern der Gruppe bereits nach dem versuchten bewaffneten Aufstand des Wagner-Führers Jewgeni Prigoschin gegen Rußlands Verteidigungsminister Sergei Schoigu im Juni dieses Jahres. Das plötzliche Machtvakuum, welches Prigoschin hinterließ, sorgte erneut für hektische Kommunikation auf dem russisch-afrikanischen diplomatischen Parkett. Nur eine Woche vor seinem Tod hatte Prigoschin noch aus einem nicht näher benannten afrikanischen Land über eine Videobotschaft verkündet, die Gruppe Wagner mache „Rußland auf allen Kontinenten noch größer und Afrika noch freier“, und versprach „Gerechtigkeit und Glück für die Völker Afrikas“.
„Rußland wird seinerseits Mali und anderen interessierten afrikanischen Partnern weiterhin umfassende Unterstützung auf bilateraler, gleichberechtigter und gegenseitig respektvoller Basis gewähren“, versicherte Rußlands Vize-Vertreter bei den Vereinten Nationen, Dmitry Polyanskiy, umgehend nach dem Tod Prigoschins. Zum Beweis seiner Treue blockierte Rußland zwei Tage darauf eine Fortführung der internationalen Sanktionen gegen das malische Militärregime Assimi Goïtas mit einem Veto im UN-Sicherheitsrat. Ende vergangener Woche entsandte Moskau gar den russischen Vize-Verteidigungsminister Junus-bek Jewkurow zu einer persönlichen Stippvisite nach Mali, Burkina Faso und in die Zentralafrikanische Republik.
In sämtlichen drei Staaten hatte sich die Gruppe Wagner bereits militärisch engagiert, beginnend mit ihrem Einsatz in Zentralafrika im Januar 2018. Um den seit Dezember 2012 andauernden Bürgerkrieg unter Kontrolle zu bekommen, hatte der autokratisch regierende Präsident Faustin-Archange Touadéra unter Vermittlung Moskaus etwa 1.400 Wagner-Söldner zur Ausbildung seiner Truppen sowie für aktive Kampfhandlungen angeheuert, die bis heute dort agieren.
Ihr militärisches Engagement verstand die Gruppe Wagner erfolgreich für erfolgreiche Beteiligungen an zentralafrikanischen Diamantenunternehmen zu nutzen. Ein Geschäftsmodell, welches Prigoschin in der Folge auf weitere afrikanische Staaten ausweitete: Darunter in Libyen, wo die Wagnerianer gemeinsam mit dem libyschen Warlord Chalifa Haftar im April 2019 vergeblich um die Einnahme der Hauptstadt Tripolis fochten. Auch im Sudan, welches die Gruppe Wagner 2017 ursprünglich zum Schutz von Gold- und Diamantenminen rekrutiert hatte, besitzt die Söldnerorganisation mittlerweile umfangreiche Schürfrechte – und mit der „Meroe Gold“ sogar ein eigenes Unternehmen zur Ausbeutung von Bodenschätzen.
Im Juni dieses Jahres hatte die Washington Post in einem fundiert recherchierten Beitrag von mindestes 13 afrikanischen Staaten berichtet, in denen bislang Wagner-Aktivitäten nachgewiesen werden konnten. Ende August revidierte die US-Tageszeitung ihre Erkenntnisse auf 18 afrikanische Nationen. Darunter befanden sich Staaten wir Algerien, Eritrea, Kamerun und Simbabwe. In Madagaskar gelang den Söldnern mit einem Kontrakt zum Schutz eines der Kandidaten zur Präsidentschaftswahl von 2018 der Einstieg in den dortigen Chromithandel. Und in Mosambik diente die Gruppe Wagner dem Kreml gar als politischer Türöffner: Als Gegenleistung des Kampfeinsatzes der Wagnierianer gegen aufständische Islamisten im Norden des Landes öffnete das ostafrikanische Land noch 2018 seine Häfen für russische Kriegsschiffe. Daß der Kreml vom Wagner-Netzwerk in Afrika auch nach Prigoschins Tod noch weiter gern profitieren möchte, liegt auf der Hand.
In der Sahelzone und in Gabun nutzt Moskau den Franzosenhaß
„In Ländern wie Mali und der Zentralafrikanischen Republik wird sich nicht viel ändern, da dort bereits Beziehungen und Verträge bestanden“, erklärt Cameron Hudson vom Washingtoner Center for Strategic and International Studies (CSIS) im Interview mit dem katarischen Nachrichtensender Al Jazeera. „Und die Russen sagten, sie würden diese Verträge einhalten. Die eigentliche Frage ist, was in den Ländern passiert, in denen Wagner seine Präsenz ausbauen wollte, beispielsweise in Burkina Faso und Niger. Wird diese Expansion unter der russischen Regierung weitergehen?“
Gemessen an den derzeitigen diplomatischen Bemühungen Moskaus auf dem Schwarzen Kontinent – der Aufhebung von Sanktionen, Kontaktaufnahmen mit Militärregimes und Entsendung hochrangiger Vertreter – ist diese Frage eindeutig positiv zu beantworten. Und mit den jüngsten Militärputschen in Niger und Gabun, deren beider Bevölkerung einen strikten Bruch mit dem bestehenden Abhängigkeitsverhältnis zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich nicht abgeneigt scheint, dürften sich zwei weitere profitable Betätigungsorte für Söldnerunternehmen wie die Gruppe Wagner erschließen lassen. Nur künftig wahrscheinlich unter der direkten Anleitung des Kreml anstelle des Privatiers Prigoschin und unter einem anderen Namen.