© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/23 / 08. September 2023

Prophet im Lande
Oberbürgermeisterwahl: In Nordhausen stellt die AfD einen eigenen Kandidaten auf. Ganz chancenlos ist er nicht
Lorenz Bien

Wieder eilt sie los, zwei, drei Broschüren in der Hand, die passend bedruckten Kugelschreiber dazu. Obwohl es noch warm ist und sie nur eine dünne Bluse trägt, ist das Licht an diesem Montagmorgen verräterisch. Blasser, frischer und kühler fällt es in die Einkaufspassage im thüringischen Nordhausen, am südlichen Rand des Harzes. Es ist Anfang September.

Die Frau, auf die sie zuläuft, trägt ein schwarzes Sommerkleid. Sie hebt abwehrend die Hände. „Ich habe schon gewählt. Ich habe Herrn Prophet gewählt.“ Die Frau mit den Broschüren, nennen wir sie Sabine, schüttelt ihr begeistert die Hand. „Bravo!“ Und bevor sie noch mehr sagen kann, fällt ihr die Schwarzgekleidete ins Wort. „Jemand anderes kommt für mich auch nicht mehr in Frage.“

Es ist Wahlkampf in Nordhausen. In einem Sechsjahresrhythmus wählt sich die Stadt einen neuen Oberbürgermeister. Sechs Jahre ist die vorige Wahl her, eine normale Wahl ist dies dennoch nicht. Gerade einmal wenige Wochen ist der amtierende Oberbürgermeister Kai Buchmann (parteilos) wieder im Amt, auf Beschluß des Thüringer Oberverwaltungsgerichts. Zuvor hatte ihn der Landrat Matthias Jendricke (SPD) wegen angeblicher Dienstvergehen suspendiert. Es habe zahlreiche kommunale Pflichtenverstöße, darunter „Mobbing“ des Ersten Beigeordneten der Stadt, Michael Kramer (CDU), gegeben, betonte der Landrat. Dabei handele es sich zwar um ein Dienstvergehen, urteilte das Verwaltungsgericht Meiningen, Buchmanns Entfernung aus dem Beamtendienst rechtfertige dies aber nicht.

Kramer, das angebliche Mobbingopfer reichte derweil eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Landrat ein und beantragte ein Disziplinarverfahren beim Landesverwaltungsamt Weimar. Es sei eine „Drohkulisse“ von Jendricke aufgebaut, dienstliche Post und E-Mails seien an seine Privatadresse geschickt worden, sagte Kramer. Dem vorangegangen war ein Streit um zwei Büroräume, die von der Stellvertreterin und kurzzeitigen Nachfolgerin Buchmanns, Alexandra Rieger (SPD), versperrt worden waren. So lange bis Kramer sie wieder öffnete. Die Öffnung sei notwendig gewesen, da wichtige Akten aus dem Rechtsamtsbereich sonst nicht weiter bearbeitet werden konnten, rechtfertigte er sich. Landrat Jendricke sah das anders und drohte mit disziplinarischen Schritten.

„Man wird Ihnen doch Knüppel zwischen die Beine werfen“

Was sich anhört wie die Handlung einer Fernsehserie, beherrscht seit dem Frühjahr die Schlagzeilen der kleinen Stadt. „Die Bürger haben genug von diesem Chaos“, betont der Oberbürgermeisterkandidat der AfD, Jörg Prophet. Auch er steht an diesem Montagmorgen in Nordhausens Fußgängerzone und spricht mit den Bürgern. „Aber vor allem spüren die Bürger, daß die großen Probleme des Landes langsam bei ihnen ankommen.“ Es ist das erste Mal, daß die AfD einen Kandidaten ins Rennen um das Amt schickt.  In einer Umfrage der Neuen Nordhäuser Zeitung im Juli landete die AfD mit 51,7 Prozent deutlich auf dem ersten Platz. 

„Zum einen macht sich die verfehlte Migrationspolitik der Bundesregierung nun auch bei uns bemerkbar. Es kommen mehr und die meisten sind leider nicht gut ausgebildet“, sagt Prophet. Zum anderen sei die wirtschaftliche Lage vor Ort schlecht. „Wir haben hier ein Gewerbegebiet, die Goldene Aue, die mittlerweile beinahe völlig leersteht. Trotz einer sehr guten Lage, direkt an der Autobahn.“ 

Bevor er neue Unternehmen in die Stadt hole, gelte es allerdings erst einmal, die jetzigen zu halten. Prophet zeigt auf den weißen Lieferwagen einer Pizzeria, der gerade am Bordstein hält. „Der hier ist etwa darauf angewiesen, überall frei parken zu können. Ähnlich wie der Firmenwagen einer Handwerksfirma. Sonst können die ihre Arbeit nicht machen.“ Dazukommen sollen Steuererleichterungen für mittelständische Firmen. „Man könnte dafür Gelder streichen, die für eher wenig effektive Bereiche ausgegeben werden. Etwa für den ‘Kampf gegen Rechts’.“

Eine junge Frau schlendert vorbei und fragt nach Info-Broschüren. Sie arbeite als Pflegerin im Krankenhaus, erzählt die 22jährige. In ihrem Betrieb herrsche Personalmangel, seit zwei Jahren nun schon, nachdem damals jeder entlassen worden sei, der sich nicht habe impfen lassen. Es seien viele gute Kollegen gewesen. „Mit dem Personal, das wir jetzt haben, gibt es hingegen ein Problem: viele von denen sprechen kaum Deutsch.“ Kurz darauf ist Herr Prophet mit einer weiteren Frau im Gespräch. Auch sie macht sich Sorgen – um ihn. „Man wird Ihnen doch Knüppel zwischen die Beine werfen. Und uns wird man wie Verrückte darstellen.“ Gewählt habe sie die AfD trotzdem. „So wie es jetzt ist, geht es doch auch nicht weiter.“ Anfeindungen kennt Prophet auch jetzt bereits. „Klar, dann heißt es, wir seien Ausländerfeinde. Dabei sage ich klipp und klar: Jeder, der sich hier integriert und seine Steuern zahlt, der ist herzlich willkommen.“ Es seien gerade seine rumänischen Geschäftspartner  oder der türkische Dönerverkäufer, die ihn auf die derzeitige Politik ansprechen würden. „Die fragen mich immer: ‘Was macht ihr Deutschen hier für einen Quatsch?’“

Vor dem Stand bildet sich eine kleine Menschentraube. Nicht um Jörg Prophet, sondern um einen Immobilienmakler namens Axel Heck. Ihm gehört etwa das Hotel Fürstenhof, direkt am Bahnhof. „Als Einzelunternehmer trägt er viel Risiko, daher ist er ein wirtschaftlicher Motor“, sagt Prophet. Man scheint froh, den wirtschaftlichen Motor bei der AfD stehen zu haben. Heck selbst gibt an, in erster Linie etwas für die Stadt tun zu wollen. „Die jetzige Wirtschaftskrise ist ganz anders als die von 2008. Damals spürte man es in den Städten, hier kamen nur ein paar langsame Nachwirkungen an. Jetzt spüren wir die Probleme als allererstes.“