© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/23 / 08. September 2023

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Einmaliger Vorgang
Paul Rosen

Qualität und Zustand eines parlamentarischen Regierungssystems sind vor allem am Umgang mit der Opposition zu erkennen. Und da sieht es nicht gut aus in Deutschland, nachdem die Ampel-Mehrheit im Bundestag einen von der Union angestrebten Untersuchungsausschuß zum Verhalten von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Cum-Ex-Steueraffäre verweigerte (JF 2/23). Die Koalition nahm damit der Opposition das schärfste Schwert, das diese hat. Der Antrag wurde abgelehnt, obwohl die verfassungsrechtlichen Vorgaben – ein Viertel der Abgeordneten muß die Einsetzung verlangen – erfüllt sind. Der Vorgang ist in der Parlamentsgeschichte einmalig. 

Jetzt kommt wieder Bewegung in die Sache. Die Union hat den Verfassungsrechtler Christian Waldhoff von der Berliner Humboldt-Universität mit der Einreichung einer Klage beim Bundesverfassungsgericht beauftragt. Waldhoff war bereits als Sachverständiger in einer Anhörung des Geschäftsordnungsausschusses aufgetreten. Er hatte dort Kritik der Regierungsmehrheit zurückgewiesen, die Opposition wolle nur Vorfälle aus Scholz’ Bürgermeisterzeiten in Hamburg untersuchen. Es gehe auch darum, wie er in seinem jetzigen Amt als Bundeskanzler mit diesen Vorkommnissen umgehe. Waldhoff spielte damit auf die Erinnerungslücken des Kanzlers bei dessen Befragungen durch den Finanzausschuß des Bundestages an. Erinnerungslücken hatte Scholz auch vor dem Cum-Ex-Untersuchungsausschuß der Hamburger Bürgerschaft, der untersucht, warum die Hamburger Finanzbehörden beim Eintreiben von Steuerschulden – gelinde gesagt – etwas zurückhaltend waren.  

Doch ob und wann Scholz vor einem Bundestagsuntersuchungsausschuß aussagen muß, ist ungewiß. Das Bundesverfassungsgericht hat eine ganze Reihe von Klagen der Opposition zu behandeln. Es liegen Klagen gegen die Haushaltspolitik vor und gegen das neue Wahlrecht zum Bundestag. In der Union wird eine Entscheidung in Karlsruhe daher kaum vor dem nächsten Frühjahr erwartet. Und ein Erfolg dort würde nicht eine automatische Einsetzung des Untersuchungsausschusses bedeuten. Der ganze Beschlußvorgang müßte im Bundestag wiederholt werden und böte der Regierungskoalition Möglichkeiten zur Verzögerung. Damit würde aber die Zeit knapp, denn ein Untersuchungsausschuß braucht erfahrungsgemäß mindestens eineinhalb Jahre. Da kommt der Wahltermin 2025 schon in Sicht. 

Verlassen kann sich der Kanzler indes nicht darauf, daß ihn der Zeitablauf vor unbequemen Fragen rettet. Schon seit längerem sitzt ihm der ehemalige Linken-Abgeordnete Fabio de Masi im Nacken. De Masi glaubt, Scholz der Lüge in bezug auf seine Treffen mit dem Hamburger Warburg-Bankier Christian Olearius überführen zu können, und hat Anzeige gegen den Bundeskanzler erstattet. De Masi hatte sich schon im Finanzausschuß wegen seiner Hartnäckigkeit in Sachen Cum-Ex einen Namen gemacht. Scholz dürfte ihn noch viel häufiger hören, als ihm lieb ist.