© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/23 / 08. September 2023

Versetzung stark gefährdet
Bildung: In Deutschlands Schulen sinkt das Niveau. Mitverantwortlich dafür: die steigende Zahl von Migranten
Sandro Serafin

Deutschland rutscht in allen Bereichen ab, ist Thorsten Alsleben überzeugt: „Ob bei der Digitalisierung, beim Wirtschaftswachstum, zuletzt sogar im Sport – und die letzte Ressource, die wir haben, Bildung, da rutschen wir leider auch ab.“ Alsleben ist Geschäftsführer der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), die am Mittwoch vergangener Woche ihren 20. „Bildungsmonitor“ veröffentlicht hat. Dieser beurteilt alljährlich das deutsche Bildungssystem „aus einer explizit ökonomischen Perspektive“. Erarbeitet wird er vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). 

Der Trend, den das Gutachten ausweist, ist verheerend: Seit 2013 hat sich das Bildungssystem demnach immer weiter verschlechtert. Zwar lassen sich in einigen der 13 Handlungsfelder, mit denen sich die Studie befaßt, auch Verbesserungen ausmachen: So kommen heute an Grundschulen weniger Schüler auf eine Lehrkraft als noch vor einigen Jahren. Vor allem in den wichtigen Feldern „Schulqualität“ und „Bildungsarmut“, die über die durchschnittlichen Kompetenzen der Schüler sowie deren Abschlüsse Auskunft geben, befindet sich Deutschland jedoch im steilen Abstieg: Schüler können etwa immer schlechter rechnen und lesen.

„Massive Zuwanderung  überfordert viele Schulen“

Gründe dafür gibt es viele. Bemerkenswert ist jedoch, wie sehr die Macher der Studie Integrationsprobleme als eine Ursache der Bildungsmisere betonen. Der im Handlungsfeld „Integration“ gemessene Wert hat den größten Absturz in den vergangenen zehn Jahren hingelegt. Er weist aus, wie eng Kompetenzen und Abschlüsse mit dem sozioökonomischen Hintergrund der Bildungsteilnehmer verknüpft sind. „Die Kitas und Schulen haben noch keine gute Antwort darauf gefunden, daß die Schülerschaft in den vergangenen Jahren deutlich heterogener wurde, ein steigender Anteil zu Hause nicht Deutsch spricht oder nur wenige Bücher im Haushalt besitzt“, beklagt IW-Studienautor Axel Plünnecke. Die Ergebnisse von Kindern aus Haushalten mit Migrationshintergrund oder von bildungsfernen Haushalten seien besonders stark gesunken. „Die Herausforderungen durch massive Zuwanderung haben leider auch viele Schulen überfordert“, unterstreicht INSM-Geschäftsführer Alsleben.

Der Bildungsmonitor vergleicht auch die 16 Bundesländer untereinander. Mit Sachsen und Thüringen landen auf den Plätzen 1 und 3 gleich zwei Ostbundesländer; dazwischen steht Bayern. Berlin und Bremen bilden die Schlußlichter: Sie haben vor allem mit einem niedrigen Bildungsniveau ihrer Schüler und Problemen im Handlungsfeld Integration zu kämpfen. Allerdings haben sich auch die Gesamtwerte Thüringens und Sachsens, das zum 18. Mal in Folge auf Platz 1 steht, in den vergangenen zehn Jahren verschlechtert. Am stärksten nachgelassen haben Baden-Württemberg und Berlin. Zulegen konnten lediglich Bayern, Hamburg, das Saarland, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. 

Die spürbaren Verschlechterungen schlagen auch auf die allgemeine Stimmung über das Bildungssystem durch, wie sich einer zweiten, vom Ifo-Institut herausgegebenen Studie entnehmen läßt. Das „Bildungsbarometer“ befragte zum zehnten Mal in einer repräsentativen Stichprobe 5.500 Erwachsene zu ihren Ansichten über das Bildungssystem. Ergebnis: Die Zufriedenheit befindet sich „auf einem Tiefstand“. Konkret bewerten nur 27 Prozent die Schulen mit der Note 1 oder 2 – 2014 waren es noch 38 Prozent gewesen. Was sind die Gründe für die Bildungsmisere? Acht von zehn Deutschen geben an, daß sich die Qualität der Schulbildung in Folge der Corona-Pandemie verschlechtert habe; sechs von zehn sehen Lernrückstände infolgedessen als ernsthaftes Problem. 77 Prozent sagen dasselbe über den Lehrkräftemangel. Immerhin jeder zweite macht zudem mangelnde Integration von Schülern mit Migrationshintergrund als Problem aus.

Das „Bildungsbarometer“ zeigt auch deutlich, dass die Deutschen in schulpolitischen Grundsatzfragen konservativ ticken. So erteilen fast drei von vier Befragten der Abschaffung von Schulnoten eine Absage. Sogar etwas mehr sprechen sich „sehr“ oder „eher“ dafür aus, daß Schüler mit schlechten Leistungen eine Klasse wiederholen sollen. Gleichzeitig sind nur 15 Prozent gegen eine Aufteilung von Kindern in verschiedene Schulzweige. Allerdings ist mehr als jeder zweite dafür, zu einem Ganztagsschulsystem zu wechseln, während sich nur gut jeder dritte dagegen ausspricht.

Die Studienmacher kommentieren, die Ergebnisse legten nahe, daß der Mehrheit der Deutschen „eine Leistungsorientierung der Schulen wichtig ist“. Experimente wie der von Baden-Württemberg in Modellversuchen praktizierte Verzicht auf Schulnoten oder die 2009 in Bremen durchgesetzte Abschaffung des Sitzenbleibens treffen also auf wenig Gegenliebe. 

Eine echte bildungspolitische Debatte haben die Studien nicht ausgelöst. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) jubelte, sein Land sei „erneut spitze im Bildungsmonitor“. Mürrische Töne kamen indes aus einigen jener Länder, die schlecht abschnitten: So ließ Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsministerin Simone Oldenburg (Linke) mit Blick auf die dem „Bildungsmonitor“ zugrundeliegende ökonomische Perspektive verlauten, das Gutachten sei nicht aussagekräftig und „nicht hilfreich“. 

Derweil sprach sich die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU), angesichts der vom „Bildungsmonitor“ angesprochenen Integrationsprobleme für eine Vorschulpflicht bei Kindern mit Sprachschwierigkeiten aus. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) – in der Schulpolitik weitgehend machtlos – erklärte nur allgemein, das Gutachten mache deutlich, „wie dringend wir eine bildungspolitische Trendwende benötigen“.