© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/23 / 08. September 2023

Solidarität bei Brezn, Bier und Blasmusik
Bayern: Beim „größten politischen Stammtisch“ fliegen dem Ministerpräsidenten und seinem Stellvertreter die Herzen zu
Hinrich Rohbohm

Wenn Menschen zu Tausenden herbeiströmen, sich lange Schlangen vor Festzelten bilden, nur um Politiker reden zu hören, dann kann das nur eines bedeuten: Der Gillamoos steht an. Deutschlands größter politischer Stammtisch, wo bei Jahrmarkt-Atmosphäre mit Karussells und Zuckerwatte Spitzenpolitiker aller Couleur in den beschaulichen Ort Abensberg kommen, um in Festzelten deftige Reden zu halten und den politischen Gegner zu hänseln.

Frauen im Dirndl kämpfen sich mit einem halben Dutzend Bier in den Händen durch überfüllte Festzelte und Menschenmassen, um jedem die Maß an seinen Tisch zu bringen. In Tracht gekleidete Kellner schreien „Obacht“, wenn sie sich wieder einmal mit ihren Riesentabletts den Weg durch die Menge bahnen.

Die Stimmung: heiter und ausgelassen. Die Sprüche der Politiker: derb und deftig, aber stets bürgerlich. Antifa- oder Neonazi-Gegröle haben hier ebenso keine Chance wie die drei Klima-Extremisten, die versuchen, im CSU-Festzelt mit Störungen und Provokationen auf sich aufmerksam zu machen und höflich, aber konsequent nach draußen komplimentiert werden.

Kaum einer nimmt Notiz davon. Denn im mit mehreren tausend Zuhörern prall gefüllten Hofbräu-Zelt läuft gerade die große Markus-Söder-Show. Der bayerische Ministerpräsident brennt ein Feuerwerk an Pointen ab, baut die Störer dankbar mit in sein Repertoire ein. „Die sollten mal lieber in die Parks gehen, Müll einsammeln, die Kanalisation ausmisten, da könnten sie einen größeren Beitrag mit leisten. Arbeiten statt kleben.“ Deutschland  brauche „Klimaschutz mit Hirn und nicht mit Pattex oder Uhu.“ Und: „In Bayern gilt der Grundsatz ‘Leben und leben lassen.’ Da würde ich sagen: Kleben und kleben lassen.“ Gejohle im Zelt. Dem mit Abstand größten unter den Parteien. SPD, Grüne und FDP nehmen mit deutlich kleineren Lokalitäten vorlieb. Besonders bitter für die SPD: Im hinteren Drittel ihres Zeltes, in dem Lars Klingbeil spricht, herrscht Leere. Offenbar konnten die Genossen nicht wie erhofft von der Affäre um den Vize-Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger profitieren. 

Unterdessen teilt Söder im CSU-Zelt weiter gegen die Klimakleber aus. „Wenn dann Straßen blockiert werden und Sicherheitskräfte nicht mehr durchkommen, dann ändert sich die Lage schon gewaltig. Jeder müsse sich an Recht und Gesetz halten, keiner könne für sich in Anspruch nehmen, er habe höhere Ziele. Überhaupt stehen die Grünen und ihr Umfeld im Zentrum der Attacken des CSU-Chefs. Noch vor fünf Jahren sei er am Gillamoos von den anderen Parteien dafür ausgelacht worden, daß er die Raumfahrt fördern wolle. „Das boomt heute ohne Ende in Bayern“, versichert Söder. Ihm sei spöttisch vorgeworfen worden, daß er eigentlich zum Mond wolle. „Ich will nicht zum Mond, ich wollte nie zum Mond, aber wenn wir einige Grüne dort hinschicken können, bin ich jederzeit bereit, ein Shuttle auf den Weg zu bringen.“

Und damit nicht genug der Grünen-Dresche. „Ich habe gehört, die Außenministerin ist in die Mongolei gefahren, um dort für feministische Außenpolitik zu werben.“ Söder unterdrückt ein Lachen, sagt dann: „Ich stelle mir es vor: In der Steppe der Mongolei, eine Jurte, da kommt Frau Baerbock und Claudia Roth, zerren an dem Zelt und sagen, wir sind jetzt der Feminismus. Ich stelle mir so eine fleißige mongolische Familienfrau vor und frage mich, was die dann denkt. Ihr kennt ja den Satz von Asterix: ‘Die spinnen, die Römer.’“

„Wir stehen hinter dir, auch wenn mit Dreck geworfen wird“

Auch zur Migrationskrise bekommen sie als größter Fürsprecher der Zuwanderung ihr Fett weg. Die EU wolle die Grenzen durchaus schützen. Vielmehr sei es die Ampel-Koalition in Deutschland, die einen besseren Grenzschutz verhindere. Klare Absage ans Gendern in Bayern ebenso wie eine Absage an eine Koalition mit den Grünen. „Die Grünen passen mit ihrem Weltbild nicht zu Bayern, und deshalb wird es keine Grünen in der bayerischen Staatsregierung geben, auf gar keinen Fall.“ Jubelschreie, starker Beifall. „Richtig so“, rufen einige Gäste, unter denen sich auch CDU-Chef Friedrich Merz befindet.

Amüsiert, manchmal nachdenklich den Kopf in eine Hand vergraben, verfolgt er die Söder-Show, sich offenbar selbst fragend, was er von dem Auftritt halten soll. Bemerkenswert: Auch der Sauerländer schließt eine Koalition mit der Öko-Partei aus. „Die Grünen können kein Koalitionspartner für die Union sein.“ Unter anderem wirft der 67jährige den Grünen „schwere Fehler in der Asylpolitik“ vor. Gleichzeitig lobt er Söder für dessen Aufarbeitung in der Flugblatt-Affäre rund um den Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger. Es sei eine „verdammt schwierige Aufgabe“ gewesen, die der Ministerpräsident „bravourös gelöst“ habe.

Unterdessen redet Hubert Aiwanger parallel zu Merz nur hundert Meter weiter in der Weißbierstadl-Scheune. Das Interesse ist enorm, 80 Journalisten sind erschienen. Schon eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn sind alle Tische besetzt, während draußen vor dem Eingang noch immer eine 50 Meter lange Menschenschlange steht. Viele müssen draußen bleiben, lauschen an Tischen vor der Scheune der Rede Aiwangers, die per Lautsprecher ins Freie übertragen wird.

Die Stimmung: Noch einmal besser als im CSU-Zelt. Denn die Freien Wähler sind nach der Flugblatt-Affäre (siehe Seite 7) im Umfragehoch. Zudem habe das Ganze eine regelrechte Eintrittswelle ausgelöst, berichtet FW-Generalsekretärin Susann Enders zu Beginn der Veranstaltung.

Biergläser klirren aneinander, Brezel- und Weißwurst steht auf den Tischen. Mit Marschmusik zieht Hubert Aiwanger in die Scheune ein und bringt die Menge zum Kochen. Immer wieder branden „Hubert, Hubert“-Rufe auf. Spätestens da wird klar: „Wir stehen alle hinter ihm“, wie es einige seiner Anhänger im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT auf den Punkt bringen. „Das Flugblatt finde ich ganz und gar nicht gut“, sagt einer von ihnen. Aber: „Das ist 35 Jahre her, und dann muß so etwas dann auch mal verjährt sein.“ Viele hier sehen das ähnlich.

„Wir stehen hinter dir, auch wenn von vorne und von hinten mit Dreck auf dich geworfen wird“, stärkt der parlamentarische Geschäftsführer der FW-Landtagsfraktion in Bayern, Fabian Mehring Aiwanger demonstrativ den Rücken.

Und auch Umweltminister Thorsten Glauber verteidigt seinen Parteichef. „Schule ist geschützter Raum und ich erwarte, daß gegen dieses Denunziantentum vorgegangen wird“, ruft er unter dem Beifall seiner Anhänger.

Aiwanger selbst hält sich bei dem Thema zurück, geht auf den Wirbel um seine Person nicht weiter ein. „Ich danke euch für diesen Vertrauensbeweis und diese Rückenstärkung“, sagt er nur und widmet sich dann der politischen Konkurrenz.

Gleich zu Beginn seiner Rede kritisiert er deren „Wokeness“, die dazu führe, daß man „nicht mal mehr Cowboy und Indianer spielen“ dürfe, ohne sich den Vorwurf der kulturellen Aneignung einzuhandeln. Es werde immer mehr vorgegeben, „was man nicht mehr tun, denken und sagen“ dürfe. „Deshalb haben wir uns hinter Winnetou gestellt, und deshalb haben wir uns auch hinter das Thema Papa und Mama gestellt.“

Als er zu Weihnachten eine Grußkarte „mit Papa, Mama, Sohn und Tochter drauf“ verschickt habe, sei ihm „angekreidet“ worden, „daß ich hier eine Klischee-Familie verbreiten würde. Und ganz Böse: Der Kachelofen im Hintergrund und das Märchenbuch auf den Knien, das würde nicht mehr in die Zeit passen.“ Großes Gelächter aus der Menge. Es sollte nicht die letzte erheiternde Anekdote ihrer Galionsfigur gewesen sein. Gillamoos eben.





Gillamoos

Die Wurzeln dieses Volksfestes samt größtem politischen Stammtisch reichen weit zurück: Zahlreiche Leute pilgerten anläßlich des Kirchweihtags der Kapelle „St. Gilgen in dem Moos“ zu Ehren des Heiligen Ägidius ins niederbayerische Abensberg. Erstmals urkundlich erwähnt wird das Kirchlein 1313. Im Laufe der Jahre ergänzen Markt und (Vieh-)Messe die Wallfahrt. Heutzutage strömen laut offiziellen Angaben jedes Jahr 300.000 Besucher in das 14.000-Einwohner-Städtchen, um 

„deftige Schmankerl, urige Atmosphäre und bayerische Gemütlichkeit zu genießen“. Traditionell kommt zum Abschluß die Politprominenz, um „ihr Können im Fachbereich ‘Bierzelt’“ unter Beweis zu stellen. Ein Zelt steht der AfD nicht zur Verfügung, ihr Gillamoos findet unter freiem Himmel statt.

www.abensberg.de