© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/23 / 01. September 2023

Der Verdacht als Kampagne
Der „Süddeutschen“ fliegt ihre Berichterstattung über Hubert Aiwanger um die Ohren
Martina Meckelein

Am 26. August 2023 veröffentlicht die Süddeutsche Zeitung (SZ) unter der Überschrift „Das Auschwitz-Pamphlet“ einen Artikel über den stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger (Freie Wähler). Der Artikel behauptet, daß Aiwanger als 17jähriger Gymnasiast ein rechtsextremistisches Flugblatt verfaßt habe. Die Zeitung stützt sich dabei auf Aussagen von „rund zwei Dutzend Personen“. Die Geschichte schlägt ein wie eine Bombe. Denn am 8. Oktober, in knapp sechs Wochen, wählen 9,4 Millionen Bürger den 19. Bayerischen Landtag. Und der konservative Aiwanger ist beliebt. Soll damit in die Wählerentscheidung eingegriffen werden? Die Berichterstattung hat allerdings einen Kardinalfehler: Der Kernvorwurf ist, wie sich herausstellte, falsch. 

„Das Papier ist im Schuljahr 1987/88 am Burk­hart-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg aufgetaucht, Niederbayern“, berichtet die SZ. „Hier ist Hubert Aiwanger zur Schule gegangen, hier in der Nähe ist er groß geworden, hier hat die SS jüdische KZ-Häftlinge auf Todesmärsche getrieben.“ Im Schuljahr 1987/88 habe das Gymnasium an einem Erinnerungswettbewerb „Deutsche Geschichte“ teilgenommen. „Hubert Aiwanger, der Elftkläßler, strafmündig, bald volljährig, soll sein eigenes Preisausschreiben erfunden haben, antisemitische Phantasien. Das Flugblatt, ein Papier aus der Vergangenheit, das womöglich eine Linie ins Heute zieht.“

Mehrere Mängel bei der Beachtung der Sorgfaltspflicht

Bei dem Text handelt es sich um eine sogenannte Verdachtsberichterstattung. Der Gesetzgeber koppelt diese an sehr strenge Anforderungen: Der Inhalt der beschriebenen Gerüchte und Indizien muß so brisant sein, daß die Öffentlichkeit ein berechtigtes Informationsinteresse hat. Die Krux liegt allerdings darin, daß der Betroffene durch die Berichterstattung vorverurteilt werden könnte. In der Recherche muß der Journalist deshalb seinen Sorgfaltspflichten nachkommen und klar benennen, daß es sich ausschließlich um einen Verdacht handelt. Mehrere Quellen müssen Grundlage der Vorwürfe sein. Zwingend muß eine Stellungnahme des Betroffenen eingeholt und veröffentlicht werden. Im Text selbst darf nicht vorverurteilt werden. Wer sich den hinter einer Bezahlschranke liegenden Artikel, seine Aufmachung und die Formulierungen anschaut, stellt sich allerdings die Frage nach der Einhaltung der Sorgfaltspflichten durch die SZ. Das Layout wirkt düster. Die Fotos zeigen Aiwanger mit verkniffenem Mund oder Bierhumpen in der Hand. Die Beschreibung seiner Persönlichkeit ist animalisch bis brutal: „Er krempelt die Ärmel hoch, wie ein Metzger, der gleich die Sau zerlegt.“ Ist das vorverurteilend? Eine die Anschuldigungen zurückweisende Stellungnahme wurde zwar eingeholt, allerdings hinter die Bezahlschranke verbannt. Medienrechtler wie Carsten Brennecke (auf X) oder Joachim Steinhöfel (bei Bild)kritisierten das scharf. Die verschiedenen Quellen, sprich Mitschüler und Lehrer wollten nicht mit Namen zitiert werden. Damit ist die Beweislage dünn. 

Als Aiwangers Bruder einen Tag später zugibt, das Flugblatt verfaßt zu haben, bricht der Vorwurf der SZ zusammen. Und es gibt weitere Kritik an der SZ-Berichterstattung. Der Historiker Michael Wolffsohn beurteilt den Text des Flugblattes in einem Bild-Kommentar als „menschenverachtend“, aber eben nicht, wie die SZ behauptet, als „antisemitisch“. Als Jude, schreibt Wolfssohn, wehre er sich dagegen, daß Denunzianten Juden für ihre tagespolitischen Zwecke mißbrauchten. „Kurz vor den Wahlen in Bayern wollen sie den konservativen Aiwanger und seine Freien Wähler als Nazis und, daraus abgeleitet, Antisemiten abstempeln. Wer konservativ mit ‘Nazi’ und ‘Antisemit’ gleichsetzt, ist ahnungslos und verleumderisch.“

Der nicht als konservativer Sympathisant bekannte Medienjournalist Stefan Niggemeier weist auf Übermedien auf folgendes hin: „Der SZ-Artikel hatte zweifellos die Wirkung, daß der zentrale Verdacht, Aiwanger habe ein antisemitisches Pamphlet verfaßt, trotz diverser Fragezeichen im Text von vielen als Tatsache verbreitet wurde.“ Niggemeier führt als Beispiel die SPD-Politikerin Sawsan Chebli an. Diese hatte getwittert: „Als Schüler verfaßte Aiwanger ein antisemitisches Flugblatt, das alles überschreitet, was man für möglich gehalten hat.“ Den Tweet löschte sie später. Niggemeier macht auf einen weiteren presserechtlichen Aspekt aufmerksam: Durfte die Zeitung „angesichts der Beweislage und der Tatsache, daß der umstrittene Vorfall Jahrzehnte zurückliegt“, überhaupt über den Verdacht berichten?

Das alles ficht die SZ nicht an. In einem Kommentar schreibt Chefredakteur Wolfgang Krach: „Aiwanger hat die Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit selbst gestiftet und Vertrauen zerstört – ob er das Flugblatt nun verfaßt hat oder nicht. Auf die Urheberschaft kommt es nicht mehr an, der Rest ist schon schrecklich genug.“