© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/23 / 01. September 2023

Die Kraft des Bodens
Kino: „Das Zen-Tagebuch“ von Yuji Nakae erfordert Geduld
Claus-M. Wolfschlag

Schon der Titel von Yuji Nakaes Film deutet eindeutig darauf hin, daß sich die Zuschauer auf ein radikal entschleunigtes Kino einstellen können. Das bildet insofern den größtmöglichen Gegensatz zum modernen High-Speed-Action-Kino mit seinen extrem kurzen Schnittsequenzen. Der Streifen beruht auf einer autobiographischen Erzählung von Mizukami Tsutomu („Tschui wo Kurau Hibi – 12 Monate von der Erde essen“). „Das Zen-Tagebuch“ ist zum einen ein Film, der sich mit der richtigen Haltung zum Leben und zum Tod beschäftigt, ohne dabei ein explizit spirituelles Werk zu werden. Zum anderen ist es ein Kochfilm, ohne en detail Anleitungen für japanische Gerichte zu liefern. 

Zentrale Figur ist der Schriftsteller Tsutomu (Kenji Sawada), der ein bescheidenes, zurückgezogenes Leben in den japanischen Bergen führt. Nur der Hund „Pfeffer“ ist sein einziger dauerhafter Begleiter. Seit 13 Jahren ist er Witwer, hat es aber noch nicht geschafft, die Asche seiner Frau zu beerdigen. Gelegentlich wird seine Einsamkeit durch kurze Besuche von Nachbarn oder Verwandten, vor allem aber seiner Lektorin Machiko (Takako Matsu) durchbrochen. Besonders die Abende mit Machiko bereiten ihm große Freude, denn die junge Frau liebt gute Küche, und Tsutomu liebt es, zu kochen.

Der Jahreskreislauf im Spiegel von Nahrungsmitteln

Dabei sieht sich Tsutomu eigentlich als Autodidakt. Im Alter von neun Jahren wurde er von seinen weitgehend mittellosen Eltern in einem Zen-Kloster abgegeben, aus dem er mit 13 Jahren aber bereits wieder entflohen ist. Diese vier Jahre prägten Tsutomu dennoch tiefgreifend, brachte ihm damals sein Meister Dogen doch das Verständnis für die Kraft des Bodens und der Pflanzen nahe. Das damals erworbene Wissen versucht Tsutomu so gut es geht in einen achtsamen Lebensalltag zu überführen. Er baut Gemüse selbst an, geht regelmäßig in den nahen Wald zum Sammeln von Wildgemüse, Wurzeln und Pilzen. Dabei bestimmen die Jahreszeiten, welche – übrigens rein veganen – Speisen auf den Tisch kommen. Die Zubereitung der Speisen erfordert seine volle Aufmerksamkeit und hat fast meditativen Charakter.

So begleitet der Zuschauer Tsutomu fast durch einen Jahreskreislauf, der sich im steten Wandel des Landschaftsbildes widerspiegelt. Im März kommen Spinat und Wassersellerie auf den Tisch, im April Farne, Baumsprossen und Engelwurz, im Juni Bambussprossen. Besondere Aufmerksamkeit wird in die Zubereitung eingelegter Pflaumen gelegt, gelten diese doch als Grundnahrungsmittel des Zen-Buddhismus, dem medizinische Kräfte nachgesagt werden.

Die Kochsequenzen werden durch Ereignisse des Jahres durchbrochen, so den Tod der in einer einsamen Berghütte hausenden Schwiegermutter Chie (Tomoko Naraoka). Tsutomu wird dazu verpflichtet, die Trauerfeier zu organisieren und selbstverständlich auch für alle zu kochen. Es wird Myoga-Ingwer mit Reisbällchen serviert. Das Fest gerät zur Farce, denn kein Verwandter außer Tsutomu hatte Kontakt zu der schwierigen alten Dame gepflegt, kaum einer trauert wirklich um sie. Stattdessen stehen Schmaus und Tratsch im Mittelpunkt des Abends. 

Im September dann ereilt Tsutomu selbst ein Unfall, der ihn nahe ans eigene Ableben führt. Diese Erfahrung verändert ihn. Hatte er kurz zuvor noch Machiko angeboten, zu ihm ins Haus zu ziehen, so beginnt er sich nun zu verschließen. Die erlebte Todesangst führt ihn zur Beschäftigung mit der eigenen Endlichkeit und dem Versuch, den Tod zu akzeptieren, sogar als Freund zu betrachten. Er legt sich schließlich ins Bett und beschließt, zu sterben. Doch als er am nächsten Tag lebend vor sein Haus tritt, hat der Tod sein weißes Leintuch nur als Schneedecke über die Landschaft gelegt.

Hauptdarsteller Kenji Sawada spielte unter anderem 1985 in Paul Schraders „Mishima – Ein Leben in vier Kapiteln“ mit. In den vergangenen Jahren stand der heute 75jährige jedoch nur noch selten vor der Kamera. „Das Zen-Tagebuch“ wurde von Yoshiharu Doi, Vertreter des Delicious Food Research Institute, als kulinarischem Berater betreut. Doi hatte „Französische Küche“ in der Schweiz und in Frankreich sowie „Japanische Küche“ in Osaka studiert. Seit 1992 sucht er nach Möglichkeiten, die traditionelle japanische Küchenkultur wieder in das moderne Leben in Japan zu integrieren. 

Kinostart ist am 31. August 2023