© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/23 / 01. September 2023

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Bildungsbericht in loser Folge: „Wir reformieren seit vielen Jahrzehnten vermeintlich ‘progressiv’ am Bildungswesen herum mit dem Ergebnis, daß immer mehr junge Menschen weder befähigt noch motiviert werden, ein Handwerk zu lernen; es hapert ja schon beim Lesen, Schreiben und Rechnen. Hätten wir den vielbeklagten Fachkräftemangel überhaupt, wenn unser Bildungssystem an dieser Stelle funktionieren würde? Hat die Tatsache, daß bildungsferne Schichten eher wachsen als abnehmen, nicht ebenso mit – weiterhin – zu viel Zuwanderung und einem dadurch fast unvermeidlichen Integrationsversagen zu tun wie mit falschen Wertungen in der Bildungspolitik (‘der Mensch fängt erst beim Abi an’).“ (Peter Voß, ehemaliger Intendant des Südwestfunks, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22. August 2023)

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Der Debatte über die Einseitigkeit der Berichterstattung in den öffentlich-rechtlichen Medien fehlt die historische Dimension. Sonst würde irgend jemand daran erinnern, daß schon die Schaffung des Zweiten Deutschen Fernsehens – des „Adenauer-Fernsehens“ – ein Versuch war, die Linkstendenz des „Ersten“, der ARD, zu konterkarieren.

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Was heutige Klischees von früheren unterscheidet, ist der Mangel an Wirklichkeitsbezug.

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Sonntagabendkrimi („Polizeiruf 110“, 27. August): Mutter 1 (alleinerziehend) entführt nach dem plötzlichen Kindstod ihres eigenen Säuglings einen fremden, dessen Mutter 2 (alleinerziehend) ihn unbeaufsichtigt gelassen hatte. Ermittelt wird in dem Fall von einer Kommissarin, die auch Mutter 3 (alleinerziehend) ist. Man kann dem Plot fehlende Wahrscheinlichkeit vorwerfen, aber das trifft nicht den Kern der Sache. Denn auch in diesem Fall geht es um einen „heimlichen Lehrplan“, darum die Frau – hier: die Mutter (alleinerziehend) – gleichermaßen als Heldin (Mutter 3) wie als Opfer ihrer erhöhten, da weiblichen, Sensibilität (Mutter 1) wie als Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse (Mutter 1/2/3) beziehungsweise der Verständnislosigkeit ihrer Umgebung (Mutter 2) darzustellen. Männer kommen natürlich nur als potentielle Gewalttäter oder als Idioten vor. 

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Von den deutschen Medien eher unbeachtet, wird in Frankreich ein Antisemitismusstreit ausgetragen, der seinen besonderen Akzent dadurch erhält, daß man ihn mit „verkehrter Front“ führt. Denn im Zentrum steht Jean-Luc Mélenchon, das Haupt der Linksextremisten, die sich unter der Bezeichnung La France insoumise, etwa: „Das unbeugsame Frankreich“, gesammelt haben. Der Auslöser war eine Twitternachricht, in der Mélenchon den Conseil représentatif des institutions juives de France (CRIF), eine Organisation vergleichbar dem Zentralrat der Juden in Deutschland, suggestiv als Teil der „extremen Rechten“ bezeichnete. Was selbstverständlich Empörung auslöste, aber auch daran erinnerte, daß Mélenchon schon während des letzten Präsidentschaftswahlkampfs mit der Behauptung angeeckt war, daß der Widerwille des Kandidaten Éric Zemmour gegen seinen Plan der „Mestizisierung“ der französischen Bevölkerung aus dem tiefen Affekt des Juden gegen jede Vermischung zu erklären sei. Nun ist bei Mélenchon nie auszuschließen, daß neben dem Kalkül – etwa dem Bedienen antisemitischer Sentiments in der umworbenen muslimischen Wählerschaft – auch die Lust an der Provokation eine Rolle spielt. Aber mancher Beobachter sieht hier auch eine linke Traditionslinie weiterwirken, die bis zu den Ausschreitungen der Jakobiner gegen wohlhabende jüdische Bürger zurückreicht, sich über die ganze Breite der „Rassesozialisten“ des 19. Jahrhunderts und den Flirt zwischen Pazifismus und Antisemitismus in der Zwischenkriegszeit, dann dem Kampf gegen den „imperialistischen“, „kolonialistischen“ Staat Israel fortsetzt und offenbar noch nicht bei Paul Rassinier endete. Der Erzvater des „Negationismus“ – also der Leugnung der Massenvernichtung der Juden durch das NS-Regime – war anfangs Kommunist, irrlichterte dann irgendwo zwischen Syndikalismus und Volksfront, schloß sich nach der Besetzung Frankreichs der Résistance an. Er wurde festgesetzt und jahrelang in Konzentrationslager gesperrt, was zu schwersten körperlichen Folgen führte. Nach der Befreiung gehörte Rassinier der Nationalversammlung der Vierten Republik an, und die Anarchistische Föderation benötigte immerhin zehn Jahre, um ihn aus ihren Reihen auszuschließen, nachdem er die Existenz der Gaskammern geleugnet hatte. Verglichen damit erscheint fast als Petitesse, daß Robert Faurissons Text „Le problème des chambres à gaz, ou la rumeur d’ Auschwitz“ – „Das Problem der Gaskammern oder das Gerücht von Auschwitz“ am 29. Dezember 1978 in der linken Tageszeitung Le Monde erschien.

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Nach einem Bericht des französischen Figaro Magazine beliefen sich die Kosten der jährlichen Einwanderung zuletzt auf 53,9 Milliarden Euro, die durch den Steuerzahler aufzubringen sind. Es handelt sich um das Vierfache des Budgets, das dem Justizministerium zur Verfügung steht. Der Migrationsforscher Jean-Paul Gurevitch, auf den die Berechnung zurückgeht, betont allerdings die „dunklen Aspekte“ der Daten, da die Verwaltung vielfach die Zahlen verschleiere oder zurückhalte. 

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 15. September in der JF-Ausgabe 38/23.