© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/23 / 01. September 2023

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Erwartete gute Nachricht: Die Staatsanwaltschaft Berlin hat ein gegen Till Lindemann, den Sänger der Band Rammstein, geführtes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Begehung von Sexualdelikten wie auch Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz eingestellt. Das teilte die Behörde an diesem Dienstag mit. Lindemann vor sechs Wochen im Berliner Olympiastadion zum Abschied von seinen Fans: „Bösen Zungen glaubt man nicht, die Wahrheit kommt doch eh ans Licht.“

Lesefundstück: „Mit dem Killerargument der Hetze kann man jede Diskussion verhindern, die einem politisch nicht paßt. Mit einem Kritiker setzt man sich auseinander. Mit einem Hetzer hingegen redet man nicht. Jeder Kritiker, mit dem man nicht über seine Argumente reden will, wird darum als Hetzer stigmatisiert. Damit wird der Hetzer aus der öffentlichen Debatte ausgesperrt. Der Vorwurf der Hetze ist darum ideal, um Themen zu tabuiseren, zu denen die Medien keine Diskussion wünschen. Sie wünschen keine Diskussion über jene Positionen, welche ihr progressives und multikulturelles Weltbild in Frage stellen.“ (Kurz W. Zimmermann, Kolumnist, in der Schweizer Weltwoche vom 24. August 2023)

Schopenhauer: „Die Leute, nehmen es schon übel, wenn man nicht ihrer Meinung ist.“

Zu diesem aktuellen Lesefundstück paßt ein älteres, über das ich unlängst beim Umräumen und Sortieren von Büchern in der heimischen Bibliothek gestolpert bin. Es stammt aus Arthur Schopenhauers Schrift „Die Kunst, Recht zu behalten“, verfaßt vermutlich um 1830, das nicht ganz vollendete Manuskript fand sich in seinem Nachlaß, erstmals veröffentlicht wurde es 1864. In 38 sogenannten Kunstgriffen erläutert der Philosoph darin die Tricks und Kniffe einer Gesprächsführung beim Disputieren. Zu seiner Enstehungsgeschichte schreibt Schopenhauer an anderer Stelle („Parerga und Paralipomena“, § 26): „Die Leute, wie sie in der Regel sind, nehmen es schon übel, wenn man nicht ihrer Meinung ist (…) Nun aber gar an einer Kontroverse mit ihnen wird man (…) meistens nur Verdruß erleben; indem man dabei es nicht allein mit ihrer intellektuellen Unfähigkeit, sondern gar bald auch mit ihrer moralischen Schlechtigkeit zu tun haben wird.“ Nebenbei: Wer jetzt bei „Leute“ an Politiker denkt, ist selbst schuld. Jedenfalls schrieb er in seinem Rechthaben-Büchlein, daß zur „natürlichen Schlechtigkeit“ die Eitelkeit gehöre, zu der sich wiederum bei den meisten Geschwätzigkeit und angeborene Unredlichkeit geselle. Schopenhauer: „Sie reden, ehe sie gedacht haben, und wenn sie auch hinterher merken, daß ihre Behauptung falsch ist und sie Unrecht haben; so soll es doch scheinen, als wäre es umgekehrt.“ Weil nun aber nicht sein kann, was nicht sein darf, daß nämlich der Kritiker im Recht ist, gibt es eine Reihe von rhetorischen Techniken, die unverbesserliche Rechthaber gern nutzen, um Richtiges als falsch und Falsches als richtig erscheinen zu lassen sowie ihre gefühlte Inferiorität zu kompensieren. Der letzte Kunstgriff geht laut Schopenhauer dann so: „Wenn man merkt, daß der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird, so werde man persönlich, beleidigend, grob.“ Beispielsweise indem man ihn, siehe oben, als „Hetzer“ denunziert.