Hannah Arendt, die er als Heidelberger Studentin kannte, sei eine ungewöhnlich intelligente Frau gewesen, erinnerte sich der als Meister-Eckhart-Forscher berühmte deutsch-jüdische Philosophiehistoriker Raymond Klibansky (1905–2005). Aber dennoch schien ihm „der Ruf, den sie heute genießt, ein wenig überzogen“. Sie fand zwar gute Formulierungen, aber schaue man genauer hin, gehe ihr Denken nicht sehr in die Tiefe. Sie sei wohl eher Schriftstellerin als Philosophin gewesen. Wie Henning Ottmann, bis 2009 Inhaber eines Lehrstuhls für Politische Philosophie an der Uni München, jetzt enthüllt, trifft Klibanskys Urteil aber nicht einmal auf Arendts zum geflügelten Wort avancierte „gute Formulierung“ von der „Banalität des Bösen“ zu, die sie als Untertitel für ihr Buch über „Eichmann in Jerusalem“ (1963) wählte. Stünde doch das Urheberrecht an dieser Wendung, die mit Adolf Eichmann den Organisator der Massendeportation von Juden in die Vernichtungslager als durchschnittlichen Bürokraten charakterisiert, ihrem Lehrer, dem Philosophen Karl Jaspers zu. Der habe in einem mit ihr auch über die „Schuldfrage“ geführten Briefwechsel in einer „Schlüsselstelle“ bereits im Oktober 1946 Arendts ursprüngliche Einschätzung des Völkermords als eine strafrechtliche Kategorien sprengende „Ungeheuerlichkeit“ kritisiert, weil sie Massenmördern einen Zug „satanischer Größe“ verleihe. Angemessener wäre es, „die Dinge in ihrer ganzen Banalität, in ihrer ganzen nüchternen Nichtigkeit“ aufzufassen. Weil doch auch Bakterien, die völkervernichtende Seuchen verursachen, nur Bakterien seien (Die Neue Ordnung, 3/2023).