© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/23 / 01. September 2023

Die Mogelpackung der Ampel-Koalition
Sozialpolitik: Von der versprochenen Kindergrundsicherung werden vor allem kinderreiche Migrantenfamilien profitieren
Paul Leonhard

In Sachen Kindergrundsicherung haben sich Finanzminister Christian Lindner (FDP) und die grüne Familienministerin Lisa Paus unter Aufsicht von Kanzler Olaf Scholz (SPD) Sonntag nacht geeinigt. Es gibt ab 2025 zwar nur zusätzlich 2,4 Milliarden Euro für das Ampel-Projekt, doch beim angestrebten „Systemwechsel“ hat sich Paus durchgesetzt: Zusammen mit dem neuen Staatsbürgerschaftsrecht werden zusätzliche Anreize für Menschen aus aller Welt geschaffen, ins deutsche Sozialsystem einzuwandern, ohne zuvor jemals dazu beigetragen zu haben. Die Kindergrundsicherung soll aus „Kindergarantiebetrag“ (bisher „Kindergeld“) und dem „Kinderzusatzbetrag“ bestehen.

Ebenso wie die Ampel mit Milliarden-Subventionen Weltkonzerne nach Deutschland lockt, um wenige hundert Arbeitsplätze zu schaffen, so richtet sie auch ihre Sozialleistungen global aus. Im Jahr 2021 wurden schon 459 Millionen Euro an Kindergeldberechtigte im Ausland überwiesen, im Jahr zuvor waren es knapp 430 Millionen. Das räumte die Bundesagentur für Arbeit auf eine Anfrage des AfD-Bundestagsabgeordneten René Springer ein. Die Zahl der im Ausland lebenden Kinder, die Kindergeld aus Deutschland beziehen, ist zwischen 2010 und 2021 um rund 345 Prozent gestiegen.

Ein Wirrwarr an Leistungen, die nicht bei allen Kindern ankommen

EU-Gesetze verlangen, daß Ausländer in Deutschland nicht nur dann Anspruch auf Leistungen haben, wenn sie hier arbeiten, sondern wenn sie hier wohnen: „Erweisen sich die Familienleistungen des „primär“ zuständigen Landes als niedriger als jene, auf die sie im „sekundär“ zuständigen Land Anspruch hätten, erbringt das sekundär zuständige Land eine Ergänzungsleistung, die der Differenz zwischen den beiden Leistungen entspricht“, erläutert die EU-Kommission.

Der Anspruch mißt sich also an dem Land, das die höchsten Leistungen zahlt und hängt nicht vom Paß, sondern vom Wohnort und wirtschaftlichen Status ab. Ausländer, die unsicher sind, ob sie „die höchstmöglichen Leistungen erhalten, auf die Sie Anspruch haben“, können kostenlos Rat und Hilfe von spezialisierten Hilfsdiensten erhalten. Zudem gibt es einen Leitfaden durch das Gestrüpp an Sozialleistungen für Familien, also Kinderzuschlag und Kinderfreibeträge, Elternzeit mit Elterngeld, Entlastungsbeiträge für Alleinerziehende.

Am bekanntesten dürfte das Kindergeld sein, das alle Eltern erhalten. Auch Ukraine-Flüchtlinge, die eine Aufenthaltserlaubnis mit Erlaubnis der Erwerbstätigkeit erhalten haben, ebenso anerkannte Asylbewerber. Es gibt monatlich 250 Euro pro Kind bis zu dessen 19. Geburtstag beziehungsweise bis zum 22. bei arbeitslosen und bis zum 26. bei Kindern in Ausbildung. Dazu kommt der Kinderzuschlag (KiZ), den alle erhalten, deren Einkommen für den eigenen Lebensunterhalt ausreicht, aber nicht für den Bedarf der ganzen Familie.

Dazu kommen für Bedürftige die Leistungen des Programms Bildung und Teilhabe, das die Kosten eintägiger Ausflüge oder mehrtägige Klassenfahrten von Schule, Kita oder Tagespflege anteilig oder komplett übernimmt. Bereitgestellt werden vom Staat auch 174 Euro für die Ausstattung mit Schulbedarf pro Schuljahr, Kostenübernahme für ÖPNV-Tickets für Schüler, auch wenn die Fahrkarten für andere Fahrten nutzbar sind, für angemessene Lernförderung für Schulkinder, kostenlose gemeinschaftliche Mittagsverpflegung in Schule, Kindertagesstätte oder Hort oder in der Tagespflege, ein monatlicher Betrag für soziale und kulturelle Aktivitäten wie etwa im Sportverein oder an der Musikschule in Höhe von pauschal 15 Euro.

Wer dagegen tatsächlich seinen Lebensunterhalt und den für seine Kinder durch Arbeit selbst verdient, dem steht in diesem Jahr ein steuerlicher Kinderfreibetrag von 6.024 Euro sowie ein zusätzlicher Freibetrag für Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf von 2.928 Euro zu. Das Kindergeld wird aber von diesem Freibetrag abgezogen. Der Kinderzuschlag, so Lindner, wird allerdings nur von 35 Prozent der Berechtigten beantragt. Offenbar fällt vielen das Ausfüllen einfachster Formulare schwer oder sie sind einfach desinteressiert. Zudem gibt ein ganzes Netzwerk von Kindersozialeinrichtungen, die in den Gemeinden kostenlose Betreuung in Kinderclubs inklusive Hausaufgabenbetreuung, Badespaß, Klettern, Museums-, Tierpark- und Theaterbesuch und gut ausgestattete Spielzimmer anbieten.

Voraussetzung ist natürlich, daß Eltern genügend Energie aufbringen, ihre Kinder wenigstens auf diese Angebote aufmerksam zu machen. Trotzdem sind 2,2 Millionen Kinder in Deutschland laut Statistik von Armut bedroht, also fast jedes sechste Kind. Dem bisherigen System werden grundlegende Probleme unterstellt: ein Wirrwarr an Leistungen, die zu bürokratisch und unübersichtlich sind und nicht bei allen Kindern ankommen. Viele Anspruchsberechtigte wissen gar nicht, welche Leistungen ihnen zustehen. Zum anderen werden Familien mit sehr hohem Einkommen oft stärker steuerlich entlastet als Familien mit kleinerem/ mittlerem Einkommen unterstützt werden.

So kommt das Geld nicht zielgenau dort an, wo es am meisten gebraucht wird. Sozialverbände weisen außerdem in Studien und Expertisen darauf hin, daß das Geld nicht ausreiche, um Kindern in der Grundsicherung ein gesundes Aufwachsen und eine angemessene Teilhabe zu ermöglichen. Die Grundsicherung soll Kinder aus der Armut holen und gleiche Chancen für alle Kinder und Jugendlichen schaffen oder wie Lisa Paus formuliert: „Wir haben seit Jahren eine strukturell verfestigte Kinderarmut in Deutschland. Dahinter stehen Millionen von Kindern und Jugendlichen, deren Alltag es ist, nicht mitmachen und nicht dabeisein zu können.“ Aus der „bisherigen Holschuld der Bedürftigen soll eine Bringschuld des Staates“ werden.

Um das zu ändern, soll das bestehende System vereinfacht werden. Leistungen will man bündeln und neu ausrichten. Ämter sollen enger zusammenarbeiten. Die künftige Kindergrundsicherung setzt sich aus einem Garantiebetrag für alle Kinder, analog dem bisherigen Kindergeld, und einem einkommensabhängigen Zusatzbetrag zusammen. Der Betrag steigt, um so geringer das Einkommen ist.

Kommunen warnen vor einem kostspieligen Verwaltungsumbau

Das Existenzminimum soll neu bestimmt werden. Kinderarmut ist nach Angaben Finanzminister Lindners vor allem unter den seit 2015 eingewanderten Migranten- und Flüchtlingsfamilien weit verbreitet. Jedes dritte Kind sei hier betroffen. Laut Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) waren 2021 etwa 53 Prozent der ausländischen Kinder einem Armutsrisiko ausgesetzt. Seit 2015 wurden mehr als 580.000 Kinder von Migranten in das System aufgenommen.

Die Kindergrundsicherung steht allen in Deutschland lebenden Kindern gleichermaßen zu, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, ihrer Staatsangehörigkeit und der Familienform, in der sie leben. Unklar ist noch immer, wie hoch der Kindergrundsicherungsbetrag ausfallen wird. Im Eckpunktepapier des Ministeriums heißt es: Der maximale Zusatzbetrag der Kindergrundsicherung wird so festgesetzt, daß er in der Summe mit dem Garantiebetrag das pauschale, gestaffelte Existenzminimum des Kindes abdeckt.

Der einkommensabhängige Zusatzbetrag enthält dann neben der Pauschale für Bildung und Teilhabe von derzeit 15 Euro eine Kinderwohnkostenpauschale von 150 Euro. Geplant ist weiterhin, daß der Grundbetrag nicht mit anderen Sozialleistungen verrechnet wird und alle zwei Jahre neu angepaßt werden soll.

Als sicher gilt, daß der Betrag nicht unter den gegenwärtig gezahlten 250 Euro liegen wird. Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert beispielsweise eine Grundsicherung von 695 Euro für jedes der 16,8 Millionen Kinder, für die aktuell Kindergeld gezahlt wird. Um die Kindergrundsicherung sozial gerecht und entsprechend der finanziellen Leistungsfähigkeit der Eltern auszugestalten, soll sie langsam mit steigendem Einkommen abgeschmolzen werden. Danach erhalten Eltern einen Mindestbetrag von 330 Euro pro Kind, der der maximalen Entlastung durch die derzeitigen Kinderfreibeträge entspricht.

Da unklar ist, wie hoch die für die Kindergrundsicherung insgesamt bereitgestellte Summe sein wird, bedeutet das ganze Vorhaben im Zweifel eine Umverteilung auf Kosten jener Familien, in denen die Eltern arbeiten gehen. Der Deutsche Landkreistag warnt eindringlich vor dem geplanten kostspieligen Verwaltungsumbau, nur damit bedürftige Kinder im Monat ungefähr 40 Euro mehr vom Staat erhalten, die sie auch jetzt schon beantragen könnten. Statt den halben Sozialstaat umzubauen, sollte der Bund das Bürgergeld für Kinder erhöhen, so Präsident Reinhard Sager (CDU) gegenüber der Funke-Mediengruppe.

Im Kanzleramt einigten sich Paus und Lindner nun auf 2,4 Milliarden Euro, die für die Kindergrundsicherung bereitstehen sollen. Familienministerin Paus wollte zwölf Milliarden einplanen, Finanzminister Lindner hatte mit maximal zwei Milliarden Euro gerechnet.

 www.bmfsfj.de





Existenzminimum wurde für 2024 leicht erhöht

Seit 1995 legt die Bundesregierung alle zwei Jahre einen prognostischen Bericht über die Höhe des von der Einkommensteuer freizustellenden Existenzminimums vor. Der 14. „Existenzminimumbericht“ stammt vom November 2022. Danach liegt das „sächliche Existenzminimum“ (Regelsatz, Miete/Heizkosten, Bildung/Teilhabe) pro Erwachsenen 2023 bei 10.908 Euro jährlich und 2024 bei 11.472 Euro. Bei Kindern sind es 6.024 Euro bzw. 6.384 Euro. Wegen der hohen Inflation wurde der für 2024 geplante monatliche Bürgergeld-Regelsatz für Erwachsene von 537 Euro von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) allerdings auf 563 Euro erhöht. Dementsprechend steigt auch das „sächliche Existenzminimum“ um jährlich 312 Euro auf 11.782 Euro. Auch für Kinder steigt der Regelsatz je nach Alter um einige Euro. Im Einkommensteuerrecht kann der Grundfreibetrag hingegen wegen unterschiedlicher Berechnungsmethoden leicht abweichen. (fis)

 www.bundesfinanzministerium.de