© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/23 / 01. September 2023

Niedrigere Mehrwertsteuersätze für zeitgeistige Pflanzendrinks
Gefährliche Lobbyisten
Jörg Fischer

Ob Tim Klüssendorf erneut das SPD-Direktmandat in Lübeck gewinnt, ist angesichts der Umfragewerte der Kanzlerpartei unsicher. Immerhin ist der 32jährige Juso erstmals bundesweit in die Schlagzeilen geraten – allerdings mit einer eigenwilligen Interpretation seines angeblichen Steckenpferds „Gerechtigkeit“: Er könne sich „sehr gut vorstellen, die Mehrwertsteuer auf Milchersatzprodukte bereits kurzfristig im Rahmen der anstehenden Verhandlungen zum Jahressteuergesetz zum 1. Januar 2024 auf sieben Prozent zu reduzieren“, erklärte der BWLer in der Welt am Sonntag.

Billigere „vegane“ Chemiecocktails aus Hafer, Kokos oder Soja – das findet auch der 27jährige Lübecker Grünen-Abgeordnete Bruno Hönel gut: „Pflanzenmilch“ sei eine „Alternative zu Kuhmilch“ und zudem sei sie angeblich „klimafreundlicher“. Neu ist die Idee der holsteinischen Hinterbänkler nicht. Das Umweltbundesamt (UBA) fordert seit Jahren, die Mehrwertsteuer für alle pflanzlichen Lebensmittel ganz abzuschaffen. Und das ist seit 2022 auch prinzipiell möglich: Die EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie erlaubt seither sogar eine komplette Befreiung der Lebensmittel von der Mehrwertsteuer. Und angesichts der hohen Inflation wäre das für Deutschland ein „Gerechtigkeitsprogramm“, das echte Sozialdemokraten für ihre Wähler längst fordern könnten. Doch Klüssendorf und Hönel geht es um etwas anderes: Sie machen Klientelpolitik für ihre „woke“ Blase, und sie wollen wie das UBA mit Steuern „steuern“ – sprich: erziehen.

Denn der Staat braucht die dreistelligen Milliardeneinnahmen durch die Mehrwertsteuer: „Die jährliche steuerliche Begünstigung durch den ermäßigten Umsatzsteuersatz beträgt fast 35 Milliarden Euro“, rechnete der Bundesrechnungshof (BRH) im Januar vor. Zur „Gegenfinanzierung“ der billigen Sojamilch könnte dann à la Penny-Markt (JF 33/23) der Preis für Milch, Käse und Fleisch steigen. Dies hat das UBA wegen des „Klimaschutzes“ längst vorgeschlagen. Der BRH drückt es etwas bürokratischer aus: Steuerliche Mehreinnahmen lassen sich „unmittelbar durch die Einschränkung des Katalogs der ermäßigt besteuerten Leistungen erzielen“. Die Mehrwertsteuer auf Speisen in Hotels und Gasthöfen soll schon ab 2024 auf 19 Prozent steigen. Am Ende heißt es immer: Der Bürger soll unter dem Strich mehr zahlen.