© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/23 / 01. September 2023

Tanz den BRICS-Step
BRICS-Treffen: Trotz Expansion sowie ambitionierter Pläne bleiben viele Probleme ungeklärt
Kuba Kruszakin

Sechs Länder durften am vergangenen Donnerstag jubeln: Nach einem dreitägigen Verhandlungsmarathon endete der 15. Gipfel der BRICS-Staaten (Brasilien, Rußland, Indien, China, Südafrika) mit der Aufnahme Saudi-Arabiens, Irans, Ägyptens, Argentiniens, der Vereinigten Arabischen Emirate und Äthiopiens in den geopolitischen Block der Schwellenländer.

„Es ist ein großartiger Moment für unser Land“, sagte der äthiopische Premierminister Abiy Ahmed. Alberto Fernández, Präsident des krisengeplagten Argentinien, zeigte sich dankbar für die Chancen, die die Gruppe bietet: „Wir eröffnen uns die Möglichkeit, neue Märkte zu erschließen, bestehende Märkte zu konsolidieren, mehr Investitionen zu tätigen, Arbeitsplätze zu schaffen und Importe zu steigern.“ 

Neumitglied Saudi-Arabien setzt auf internationale Stabilität

Der saudische Außenminister Faisal bin Farhan Al Saud betonte, daß das Königreich stolz darauf sei, der größte Handelspartner der BRICS im Nahen Osten zu sein, dessen bilaterales Handelsvolumen im Jahr 2022 160 Milliarden US-Dollar erreichen soll. „Die ausgezeichneten strategischen Beziehungen zwischen dem Königreich und der BRICS-Gruppe stärken den Rahmen gemeinsamer Grundsätze, von denen die wichtigsten der feste Glaube an den Grundsatz der Achtung der Souveränität und Unabhängigkeit der Staaten, die Nichteinmischung in ihre Angelegenheiten, die Einhaltung des Völkerrechts, der friedliche Ansatz zur Konfliktlösung, der Schutz des Weltfriedens und der internationalen Stabilität sowie die Annahme der besten multilateralen diplomatischen Rahmenbedingungen sind“, so Faisal. Cyril Ramaphosa, der Staatspräsident des gastgebenden Südafrikas, kommentierte die Ergebnisse: „BRICS hat ein neues Kapitel um den Aufbau einer fairen, gerechten, integrativen und wohlhabenden Welt aufgeschlagen“

„Insbesondere mit den großen Ölproduzenten an Bord repräsentiert BRICS einen viel bedeutenderen Anteil der Weltwirtschaft und der Weltbevölkerung“, erklärte die Expertin der Denkfabrik „Inter-American Dialogue“, Margaret Myers, gegenüber dem Guardian. Dennoch betonte sie in einem anderen Gespräch mit CNBC, dieser Block sei derzeit keine Bedrohung für den Westen. „Es gibt wesentliche Unterschiede zwischen den fünf Mitgliedstaaten. Ein Punkt, an dem nicht alle einig sind, ist die Erweiterung“, so Myers.

So berichtete die Nachrichtenagentur Reuters in der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag, daß die Verhandlungen in der letzten Sekunde zu platzen drohten. So sollte beispielsweise der indische Premierminister Modi ein Aufnahmeverbot für Länder, die mit internationalen Sanktionen belegt sind, gefordert haben. Dies beträfe unter anderem Iran und Venezuela, die zu den engen Partnern Rußlands gehören. Hinzu käme ein Mindest-BIP pro Kopf.

In der Frage, wie weit die Konfrontation mit dem Westen gehen darf, bestand ebenfalls keine volle Einigkeit, obwohl alle Teilnehmer in ihren Reden die Wichtigkeit einer multipolaren Ordnung betonten. „Wir wollen kein Gegenpol zur G7, G20 oder den Vereinigten Staaten sein“, sagte der Präsident Brasiliens, Luiz Inacio Lula da Silva, in einer Online-Videoschalte in den sozialen Medien am Dienstag. Auch Südafrikas BRICS-Botschafter Anil Sooklal betonte gegenüber Al-Jazeera, BRICS sei nicht antiwestlich: „Wir befinden uns nicht im Wettbewerb.“

„Ein gewisses Land, welches davon besessen ist, seine Vorherrschaft aufrechtzuerhalten, hat alles darangesetzt, die Schwellen- und Entwicklungsländer zu schwächen“, sprach hingegen der chinesische Handelsminister Wang Wentao in Abwesenheit des Präsidenten Xi Jinping, der die Rede geschrieben hat.

Zu den weiteren wichtigen Themen gehörte die Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, insbesondere im Rahmen der Neuen Entwicklungsbank (NDB), die sich als Gegengewicht zum Internationalen Währungsfonds versteht und sich die Abkopplung vom US-Dollar vorgenommen hat. „Unser Ziel ist es, 30 Prozent von allem, was wir leihen, in örtlicher Währung anzubieten“, erklärte die NDB-Chefin Dilma Rousseff in einem Interview mit der Financial Times. Die Bank plane auch Kredite in südafrikanischem Rand sowie brasilianischem Real: Diese Zahlungsmittel seien dabei die Alternativen zum unipolaren System. Für die sogenannte „Entdollarisierung“ plädierte auch Rußlands Staatspräsident Wladimir Putin in seiner digital übertragenen Rede: „Wir arbeiten an der Feinabstimmung wirksamer Mechanismen für die gegenseitige Verrechnung sowie Währungs- und Finanzkontrolle.“

Chris Weafer, ein Anlageanalyst mit Schwerpunkt Eurasien, hält die Pläne dagegen für unrealistisch. Sie scheitern beispielsweise an den indischen Kapitalverkehrskontrollen, die den Dollar stärken: „Es müßte auch eine Alternative zum Swift-Bankensystem geben, das das globale System geschaffen hat, um den Transfer dieser Währungen zwischen den Handelspartnern zu ermöglichen.“ Der indische Öl- und Gasminister Hardeep Singh Puri äußert sich ebenfalls mit wenig Enthusiasmus: „Ich wünsche mir, daß die indische Rupie die Leitwährung der Welt wird. Aber ich bin auch ein Realist.“

Der chinesische Yuan scheint das größte Potential zum Wettbewerb mit dem US-Dollar zu besitzen. Im April 2022 machte er jedoch nur sieben Prozent des weltweiten Zahlungsverkehrs aus, weit hinter dem US-Dollar (88 Prozent). Noch stärker fällt das Gefälle bei den Reserven aus: Der Yuan-Anteil im Jahr 2022 betrug nur drei Prozent (im Vergleich zum US-Dollar: 58 Prozent).

Argentinien könnte nach den Wahlen einen Rückzieher machen

Auch die NDB kann sich der amerikanischen Dominanz auf dem Währungsmarkt nicht entziehen. Der Ukraine-Krieg und der damit zusammenhängende Ausschluß Rußlands vom Zahlungsverkehr sorgen für Schwierigkeiten, da das Land mit 19,4 Prozent Anteil an der Bank beteiligt ist. Seitdem, wie das Wall Street Journal im Juni berichtete, müsse die Institution immer teurere Schulden aufzunehmen, um alte Anleihen zu bedienen und den eigenen Liquiditätsbedarf zu decken. „Damit muß man leben“, kommentierte Rousseff die Probleme.

Möglicherweise könnte die Innenpolitik der Mitglieder und Kandidaten die ambitionierten Pläne der BRICS beerdigen. Die Krise in Südafrika schwächt das Ansehen der regierenden ANC sowie linker Parteien. Wind in den Segeln spüren hingegen BRICS-kritische Parteien wie die oppositionelle Demokratische Alliant oder die den weißen Afrikanern nahestehende Freiheitsfront Plus, die mit der ANC-Politik hart ins Gericht geht: „Südafrika sollte sein eigenes Haus in Ordnung bringen.“ Nach den Oktoberwahlen in Argentinien kann es sogar dazu kommen, daß das Land seine BRICS-Kandidatur zurückzieht. Das will der proamerikanische und in den Umfragen führende Präsidentschaftskandidat Javier Milei. Das Weiße Haus blickt mit Entspannung auf die Entwicklungen. Schon vor dem Gipfel machte der Nationale Sicherheitsberater des US-Präsidenten, Jake Sullivan, auf der Pressekonferenz klar: „Wir sehen die BRICS nicht als eine Art geopolitischen Rivalen an.“