Gerade ist es wieder geschehen. In der Nähe von Linz. Dort griff die österreichische Polizei am vergangenen Wochenende sechs mutmaßliche Schleuser auf. Per Kleinlaster hatten sie versucht, 53 Migranten nach Deutschland zu bringen. Die meisten von ihnen stammen aus der Türkei. Die Gruppe war von den Schleppern auf der Ladefläche des Wagens hinter einer schwarzen Plane versteckt worden. Zwei weitere mutmaßliche Menschenschmuggler nahmen die Beamten in Eugendorf bei Salzburg fest. Einen 21 Jahre alten Syrer und eine gleichaltrige Deutsche. Die beiden hatten ebenfalls versucht, mit einem Kleinlaster elf illegale Einwanderer über die Grenze zu schleusen.
Eugendorf ist ein kleiner Ort an der österreichischen Autobahn A1. Ähnlich wie in Polen und Tschechien nutzen die Schlepper Straße und Transporter, um in Südeuropa angekommene Migranten an ihr Ziel zu bringen. Jenes Ziel, das nach wie vor mit hohen Sozialleistungen lockt und seine Nachbarländer so zu reinen Durchreisestationen macht: Deutschland.
Und doch ist hier etwas anders. Denn im Gegensatz zu den Grenzregionen zu Polen und Tschechien gehen die Zahlen der aus Österreich kommenden illegalen Migranten zurück. Im Vergleich zum Sommer vorigen Jahres um satte 60 Prozent. Der Grund dafür: stationäre Grenzkontrollen. Zwischen Österreich und Deutschland gibt es sie, während sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) einer entsprechenden Einführung an Deutschlands Ostgrenzen weiter verweigert (siehe Seite 4).
„Es sind deutlich weniger geworden“, bestätigt ein Sicherheitsbediensteter der österreichischen Bahn, mit dem die JUNGE FREIHEIT am Salzburger Hauptbahnhof ins Gespräch kommt. Tatsächlich hatte sich hier noch vor einem Jahr ein komplett anderes Bild gezeigt. Zahlreiche Migrantengruppen bevölkerten den Bahnhof, versuchten per Eurocity und Regionalzug Richtung München nach Deutschland zu gelangen. Davon ist jetzt nur noch wenig zu sehen. „Die Polizei hat das hier mittlerweile im Griff, die Züge werden gut kontrolliert“, sagt der Sicherheitsmann.
Erst nach längerer Beobachtung der Bahnhofsszenerie wird klar, daß noch nicht alle Migranten den Weg über die Schiene nach Deutschland abgeschrieben haben. Besonders in den Abendstunden nimmt ihre Zahl zu, und bekannte Abläufe werden sichtbar: Ausforschen der Fahrpläne und der Gleise, Absprachen in Gruppen, danach vereinzeltes Einsteigen in den Zug Richtung München.
Fahrt in einem österreichischen Railjet-Zug: Im Gegensatz zu den Regionalbahnen ist hier laut Fahrplan kein Halt im deutschen Grenzort Freilassing vorgesehen. Der Zug fährt direkt und ohne Halt von Salzburg nach München. Ist das der Grund, warum die Einwanderer gerade diesen Zug gewählt haben?
Sollte es so gewesen sein, ist der Plan nicht aufgegangen. Unmittelbar hinter der Grenze wird der Zug langsamer. Außerplanmäßiger Halt in Freilassing. Beamte der Bundespolizei steigen zu. Paßkontrolle. Nicht bei jedem, aber doch bei Verdacht auf unerlaubte Einreise. Neugierige Blicke der Fahrgäste. „Die haben da gerade welche aus den Toiletten rausgeholt“, ruft jemand. Die Polizisten nehmen ein halbes Dutzend Leute in Gewahrsam, legen ihnen Handschellen an. Ein Bahnhof weiter der nächste außerplanmäßige Halt. Endstation für die Festgenommenen, die Beamten eskortieren sie aus dem Zug und wieder zurück nach Österreich.
„Die können hier einfach so durchspazieren“
Dort geht man trotz grüner Regierungsbeteiligung weitaus konsequenter gegen die Migrationskrise vor. „Wir müssen intensiv auf die Asylbremse treten“, hatte der österreichische Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) gefordert. Während die Zahl der Asylanträge in Deutschland bis Juli um fast 80 Prozent gestiegen ist, ist sie im gleichen Zeitraum in Österreich um 30 Prozent zurückgegangen. Schnelle Asylverfahren, eine „Task Force Außerlandesbringungen“ sowie Kontrollen mit modernen Nachtsichtgeräten und Wärmebildkameras an den Grenzen sind die wesentlichen Gründe dafür.
Auch in der Schweiz hat man längst aufgerüstet. Besuch am Bahnhof von St. Margrethen, nahe der Grenze zu Österreich und der Stadt Bregenz. Uniformierte haben sich mit Spürhunden am Gleis postiert, in Erwartung des nächsten Zuges aus dem Nachbarland. Immer wieder nehmen Migranten den Umweg über die Eidgenossenschaft in Kauf, um nach Deutschland zu gelangen. Der Hintergrund: Zwischen Deutschland und der Schweiz gibt es bisher keine Vereinbarung über stationäre Grenzkontrollen. Dafür funktioniert die Kooperation zwischen Österreich und der Schweiz um so besser. „Illegale Migranten werden von uns unverzüglich nach Österreich abgewiesen“, erklärt einer der Polizisten.
Doch die nicht vorhandenen Grenzkontrollen in Deutschland machen sich auch hier bemerkbar. Bis Ende Juli stieg die Zahl der illegalen Einreisen von der Schweiz aus um mehr als 200 Prozent. „Die können hier einfach so durchspazieren und unsere Regierung tut nichts“, schimpft ein Anwohner in Konstanz, der nur wenige hundert Meter vom Grenzübergang zum Schweizer Ort Kreuzlingen entfernt wohnt. Die beiden Städte liegen direkt beieinander, nur die Grenze trennt ihre Einwohner. „Die sollen uns nicht erzählen, daß sie die Grenze nicht schützen könnten. In der Corona-Zeit ging das doch auch“, sagt der Mann, ein 56 Jahre alter Lagerist.
Nicht jeder wäre darüber begeistert. Sowohl in Konstanz als auch bei den Anwohnern in Kreuzlingen gibt es Vorbehalte. „Ich arbeite in der Schweiz und pendle jeden Tag nach Zürich und zurück. Wenn ich dann ewig warten muß, wird mein Arbeitsweg zur Tortur“, gibt eine Bankkauffrau um die 30 zu bedenken. „Wir erledigen unsere Einkäufe meist in Konstanz“, erklärt eine Rentnerin aus Kreuzlingen. Weil die Preise in Deutschland deutlich günstiger seien. Grenzkontrollen würden da zu hohen Zeitverlusten führen.
Hauptroute sind jedoch auch an der deutsch-schweizerischen Grenze zunehmend die Bundesstraßen und Autobahnen. „Viele kommen mit Bussen hier an“, meint Isaad, ein 23 Jahre alter Afghane, der voriges Jahr nach Deutschland kam und jetzt in einer Asylunterkunft im Landkreis Lörrach nahe der Schweizer Grenze lebt. „Flixbusse und auch Busse im Nahverkehr, alles kein großes Problem“, sagt er überraschend offen. Ein Bekannter von ihm sei letzte Woche aufgeflogen. „Er wurde noch auf Schweizer Gebiet kontrolliert und zurückgewiesen.“ Er sei jetzt in Basel und werde es noch einmal versuchen, das sei „kein großes Problem“. Warum nicht? „Wenn er beim nächsten Versuch deutsches Gebiet erreicht, muß er nicht wieder zurück.“