© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/23 / 01. September 2023

Oliver Anthony. Ein unbekannter US-Folksänger landet einen Hit – und erntet einen erstaunlichen Ehrentitel.
„Der Trump der Musik“
Florian Werner

GGm / Eb / Bb / F – selbst ein Anfänger hat sich schnell in diese Akkordfolge auf der Gitarre gefunden. Fehlt nur noch der Liedtext, der vom schweren Leben der arbeitenden Bevölkerung in den Vereinigten Staaten, von den abgehobenen Eliten im Land und vom nagenden Gefühl der Heimatlosigkeit handelt. Schon hat man den Song „Rich Men North of Richmond“ drauf, mit dem der Folksänger Oliver Anthony nun die Billboard-Charts in Amerika gestürmt hat. Selbst Pop-Ikonen wie Taylor Swift, Miley Cyrus und Dua Lipa hat der wild aussehende Rotschopf dabei ganz lässig hinter sich gelassen.

Der Musiker aus dem Bundesstaat Virginia ist Anfang Dreißig und sieht ein wenig aus wie der weltberühmte Songwriter Ed Sheeran – nur mit einem Bäuchlein, in verwahrlost und traurig. Er wohnt auf einem kleinen Grundstück, für das er sich hoch verschuldet hat, in einem Wohnwagen, in den es hineinregnet. Seine Lieder nimmt Oliver Anthony, der mit bürgerlichem Namen eigentlich Christopher Anthony Lunsford heißt, mit einem Handy auf. Alles ziemlich abgerockt, so als hätte der Amerikaner seine besten Jahre bereits hinter sich. Doch auch seine Vergangenheit war nicht leicht. Stichwort: Fabrikarbeit. Stichwort: Depression. Stichwort: Alkohol. 

In seinem Wohnwagen scheint Anthony einen „Do it yourself“-Konservatismus erfunden zu haben.

Und trotzdem hat der Musiker ein Angebot der Musikindustrie, seine kehlige Stimme für acht Millionen Dollar zu vermarkten, abgelehnt. „Ich will keine sechs Tourbusse, 15 Sattelschlepper und einen Jet. Ich will keine Stadionshows spielen, ich will nicht im Rampenlicht stehen“, betont er laut der amerikanischen Regionalzeitung The Tennessean. Der Folksänger versteht sich als Stimme der Armen und Abgehängten. „Die Menschen sind es verdammt leid, vernachlässigt, gegeneinander ausgespielt und manipuliert zu werden.“ Schuld an der Misere seien die falsche Politik und eine kaputte Wirtschaft. Für seine Positionen wird der Gitarrist im Internet auch als „Trump der Musik“ bezeichnet. Die grassierende Obdachlosigkeit, die Betäubungsmittelkrise und die hohe Selbstmordrate im Land zeigten, daß die Vereinigten Staaten unter „einem größeren, einem universellen Problem“ litten. Einem Problem, dem Oliver Anthony nicht zuletzt auch mit dem christlichen Glauben begegnen will. Vor seinen Auftritten liest er seinem Publikum aus der Bibel vor – mal aus den Psalmen und mal aus dem Prediger: „Es gibt nichts Neues unter der Sonne“, mahnt er seine Zuhörer. Und stellt damit eine unverkennbar konservative Haltung zur Schau. 

Mit der Partei der Republikaner will sich der Musiker trotzdem nicht gemein machen. „Als ich ein Kind war, waren die Konservativen für den Krieg. Das habe ich damals nicht verstanden“, erinnert er sich. Oliver Anthony scheint in seinem Wohnwagen vielmehr eine Weltanschauung eigener Bauart, sozusagen einen „Do it yourself“-Konservatismus erfunden zu haben, den man sich genauso einfach zu eigen machen kann wie seine Lieder. Die Akkordfolge ist wieder denkbar einfach: Gegen die Eliten und zu hohe Steuern, für die einfachen Leute und bessere Löhne. Dieser „Tune“ scheint nicht nur musikalisch, sondern auch politisch auf Platz eins der US-amerikanischen Charts zu stehen.