© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/23 / 25. August 2023

Umwelt
Moorbirke verschwunden
Paul Leonhard

Deutsche Forstwissenschaftler haben Ende Juli über aktuelle Erkentnisse zum Baum des Jahres, der Moorbirke, konferiert. Bei der Auswahl des Baumes ging es aber wohl weniger um die Betula pubescens, die nicht auf der Liste der bedrohten Arten steht, sondern eher um ihren bevorzugten Lebensraum, meist feuchte bis nasse Standorte. Und diese nehmen immer mehr ab. In den vergangenen 200 Jahren um mehr als 90 Prozent. Andreas Roloff, Seniorprofessor für Wissenstransfer zur Baumbiologie an der TU Dresden, hat nun aber festgestellt, daß viele Bäume, die sie im ersten Augenschein für Moorbirken gehalten haben, Sandbirken sind. Knapp 2.000 Birken hat der Wissenschaftler im vergangenen Sommer kontrolliert, in den sächsischen Mooren, aber auch in denen anderer Bundesländer, 97 Prozent stellten sich als Sandbirken heraus, exakt 1.927 von 1.987 begutachteten Bäumen.

Der Lebensraumeroberer, der durch sein Herzwurzelsystem auch Stürmen trotzt, braucht nährstoffarme Moore.

Selbst in einem deutschlandweit bekannten Hochmoor sei die am Holzbohlen-Pfad als Moorbirke ausgeschilderte Birke eine Sandbirke gewesen. „Das ist, dezent ausgedrückt, ziemlich irritierend“, sagte Roloff der Sächsischen Zeitung. Der wegen seines weichen Flaums auch Haarbirke genannte Baum sei „dramatisch selten“ geworden und aus vielen, selbst noch intakten Moor- und nassen Standorten völlig verschwunden. Was konkret vor sich geht, ist noch unklar. Denn eigentlich ist die Moorbirke ein Lebensraumeroberer, der selbst zeitweise Überflutungen gut erträgt und durch sein Herzwurzelsystem starken Winden trotzt. Andererseits ist er auf nährstoffarme Moore mit niedrigem pH-Wert angewiesen. Doch der hat sich durch hohe Stickstoffeinträge erheblich verändert, schreibt Roloff im Fachblatt AFZ-Der Wald. Daß dagegen die Standortsamplitude der Sandbirke, ein Baum, der auch in Dachrinnen und Fugen unsanierter Häuser gedeiht, viel weiter in die Moore reicht als allgemein angenommen, erstaunt Roloff ebenso wie der Verdrängungsprozeß in den Mooren. Hierzu bestehe erheblicher Forschungbedarf.