© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/23 / 25. August 2023

Ihr werten Deutschen, jetzt ist Zeit!
Vor 500 Jahren starb der „streitbare Geist“ und „mit Lorbeer gekrönte Dichter“ Ulrich von Hutten
Jan von Flocken

Von Wahrheit will ich nimmer lassen“, verkündete Ulrich von Hutten 1520. An dieser Maxime hielt er ein Leben lang fest – sie bescherte ihm glühende Bewunderer und erbitterte Feinde, höchsten Ruhm und ein jammervolles Ende. 

Der Mann hatte stets ein Problem mit Autoritäten. Schon als 17jähriger verließ er 1505 entgegen dem väterlichen Willen fluchtartig die Klosterschule zu Fulda, weil er kein bequemes „Pfaffenleben“ führen wollte. Statt dessen zog es Ulrich von Hutten vor, jahrelang als verarmter Poet durch die Lande zu vagabundieren. Weil Herzog Ulrich von Württemberg seinen Vetter Hans von Hutten ermorden ließ, griff der Dichter ihn mit unerhörter Energie in fünf lateinischen Reden an. In der Satire „Phalarismus“ läßt er den Württemberger, immerhin einer der mächtigsten deutschen Fürsten, bei dem berüchtigten antiken Tyrannen Phalaris von Agrigent Unterricht in Grausamkeiten nehmen. Ein großes Wagnis für den bettelarmen, vom Vater enterbten Hutten. „Was eine schwache Natur in Scherben zerbrochen hätte, stählte die seinige, schärfte seinen Blick für die Weltlage, für die Gebrechen seiner Zeit, kräftigte sein vaterländisches Gefühl“, so der Literaturhistoriker Otto von Leixner.

Erwecker des deutschen Nationalbewußtseins

Noch schrieb Hutten seine Werke in der damaligen Gelehrtensprache Latein. So 1512 die „Exhortatio et Carmina ad Maximilianum Caesarem“ (Aufruf und Gedicht an Kaiser Maximilian). Der Habsburger fühlte sich von Hutten sehr inspiriert, hatte er doch selber schon zur Feder gegriffen und sich das allegorische Versepos „Theuerdank“ ausgedacht. Also zeichnete der Kaiser Hutten mit dem Titel „Poeta laureatus“ (mit Lorbeer gekrönter Dichter) aus. Am 12. Juli 1517 empfing er in Augsburg den Dichterkranz nebst einem goldenen Ring. Erstmals hatte 1341 der italienische Verseschmied Francesco Petrarca eine ähnliche Ehrung erhalten.

Danach war der Name Ulrich von Hutten in aller Munde. Seine kraftvolle Publizistik (Reden, Streitschriften, Reimgedichte, offene Briefe, Dialoge) wurde eifrig gelesen. Sein Eintreten für die Vereinigung aller deutschen Stände fand Widerhall. Ihm schwebte als politischer Idealzustand die Wiederherstellung des mittelalterlichen Königreiches der Staufer vor, dessen Hauptstütze die unabhängige Ritterschaft werden sollte. Mit Lebhaftigkeit des Geistes, Schärfe des Witzes, Reichtum der Phantasie und Kraft der Darstellung griff Hutten in die große Politik ein. Vor allem, nachdem sich die Reformation in Deutschland ihren Weg bahnte. Bei einem Aufenthalt in Rom 1515 hatte er das schamlos-weltliche Treiben am päpstlichen Hof beobachtet und sich schon damals als konsequenter Gegner der Kurie gezeigt.

Seine ständigen Aufrufe, die Zersplitterung des Reiches zu beenden, und sein antirömischer Kampf machten ihn im besonderen Maße zum Erwecker des deutschen Nationalbewußtseins. Trotz aller Anfeindungen erhielt er sein Vertrauen in die Zukunft. „O Jahrhundert, o Wissenschaften! Es ist eine Lust zu leben!“, schrieb er im Oktober 1518 an den Nürnberger Gelehrten Willibald Pirckheimer. „Die Studien blühen auf und die Geister regen sich; du nimm den Strick, Barbarei, und mach dich auf die Verbannung gefaßt.“ Nach dem Vorbild des von ihm verehrten Martin Luther ging Hutten ab 1518/19 dazu über, seine Schriften in deutscher Sprache zu verfassen. Mit zahlreichen Veröffentlichungen, nunmehr in einem fränkischen Deutsch, wandte er sich gegen den Papst, die Kurie, die „ungeistlichen Geistlichen“ und an das normale Volk. In seiner „Klage und Vermahnung wider die unchristliche Gewalt des Papstes“ heißt es 1520: „Ihr werten Deutschen, jetzt ist Zeit, daß die Luft der Freiheit weht.“ Das Werk schließt mit den Worten: „Ich hab’s gewagt! Das ist mein Reim!“ Während einer Fehde im Württembergischen lernt Hutten 1519 den Reichsritter Franz von Sickingen kennen, zu dem er eine tiefe Freundschaft entwickelt (JF 14/23). Auf dessen Ebernburg macht er ihn mit den Gedanken Luthers vertraut. Ende August 1522 beginnt Sickingen den „Pfaffenkrieg“ gegen das Erzbistum Trier. Doch er hat sich zu viele Feinde gemacht, wird auf seiner Burg Nanstein belagert und stirb am 7. Mai 1523 im Kanonenhagel. Schon vor Sickingens Aufstand verläßt Hutten die Ebernburg und beginnt seinen ganz eigenen Krieg. Statt zum Wort wie gewohnt, greift er zum Schwert, führt mit einer bewaffneten Schar Krieg gegen Frankfurt am Main, gegen den Bischof von Straßburg, gegen Klöster, Kleriker und Äbte. Doch die Städte, welche er zum Beistand aufruft, bleiben passiv. Und auch Martin Luther verkündet: „Aber daß mit Gewalt und Mord für das Evangelium gestritten würde, möchte ich nicht.“ Vom Kaiser geächtet, verketzert und verfolgt flieht Ulrich unter tausend Mühsalen nach Basel. Hier hofft er auf Hilfe seines alten Bekannten, des Schriftstellers Erasmus von Rotterdam. Doch dieser hasenfüßige Feingeist will einen solchen Unruhestifter keinesfalls in der Stadt haben. Er weigert sich sogar, ihn zu empfangen.

Kurz darauf muß Hutten Basel wieder verlassen. In Zürich findet er endlich ein Unterkommen. Der Reformator Huldrych Zwingli bietet dem Todgeweihten hier ein Asyl. Seit Jahren leidet Hutten an der „Franzosenkrankheit“, wie damals die Syphilis genannt wurde. Sie ist erst seit einigen Jahren aus Nordamerika eingeschleppt worden und nahezu unheilbar. Am 29. August 1523 stirbt er auf der Insel Ufenau im Zürcher See. In seiner Luther-Biographie urteilt Wolfgang Landgraf: „Hutten war einer der streitbarsten Geister seiner Zeit, war Ritter und Humanist – Vertreter einer absterbenden Epoche und Anhänger einer neuen, aufstrebenden Geistesrichtung“.