© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/23 / 25. August 2023

Mehr Empathie für die Besatzer
Essen: In der Zeche Zollverein ist noch bis Sonntag eine Ausstellung zur Ruhrbesetzung vor hundert Jahren zu sehen
Claus-M. Wolfschlag

Vor hundert Jahren besetzten französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet. Am Ort des Geschehens, in der Essener Zeche Zollverein, wird des Ereignisses mit einer Sonderausstellung gedacht.

Die Besetzung war eine Folge der Bestimmungen des Versailler Vertrages von 1919. Die auf strikte Einhaltung festgelegte französische Regierung zeigte kein Verständnis gegenüber den wirtschaftlichen Problemen Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg. Bereits 1921 wurde deshalb das entmilitarisierte Rheinland mit Düsseldorf und Duisburg von französischen und belgischen Truppen besetzt, womit der für den Kohle- und Stahlexport wichtige Hafen von Duisburg-Ruhrort unter ihrer Kontrolle war. Die Alliierten forderten von Deutschland als Reparationszahlung 132 Milliarden Goldmark und drohten offen, bei Zahlungsverzögerungen auch das industrielle Herz des Landes zu besetzen.

Passiver Widerstand gegen die Besatzungsmächte

1922 wurde den Deutschen statt Geldzahlungen auch die Lieferung von Rohstoffen erlaubt, doch auch hier geriet das Reich in Rückstand. Auf den Vorwurf, die Deutschen würden absichtlich Lieferungen zurückhalten, besetzten im Januar 1923 60.000 französische und belgische Soldaten somit auch das Ruhrgebiet, um sich die Erträge der Kohleproduktion zu sichern. 

Der parteilose Reichskanzler Wilhelm Cuno rief zum „passiven Widerstand“ auf. Das hieß, daß gar keine Reparationen mehr an Frankreich und Belgien gezahlt wurden, Anweisungen der Besatzungsmächte teils ignoriert wurden, ein Generalstreik das wirtschaftliche und öffentliche Leben in den betroffenen Gebieten lahmlegte. Während Freikorpsmitglieder und teils auch Kommunisten Sabotageaktionen durchführten, bestraften Franzosen und Belgier passive Widerständler und unkooperative Beamte mit Haft oder Ausweisung. Die Eskalationsspirale führte zu vielen Toten unter den Deutschen.

Der Essener Bürgermeister Hans Luther wurde durch sein patriotisches Verhalten zur Symbolfigur des Widerstandes, der zur Abschreckung von den Franzosen hingerichtete Albert Leo Schlageter wurde gar zur deutschen Ikone. Das Reich zahlte die Löhne der etwa zwei Millionen streikenden Arbeiter, konnte das aber nur durch das Drucken von Geldnoten finanzieren. Das führte zur Hyperinflation und einer bislang nicht gekannten Wirtschaftskrise. Als Gustav Stresemann im August 1923 Cuno als Reichskanzler ablöste, wurde der „passive Widerstand“ umgehend beendet, eine Währungsreform eingeleitet und die Neuverhandlung der Reparationsfrage aufgenommen. So endete das Besatzungsregime im Sommer 1925.

Die Ausstellung in der Kohlenwäsche der Zeche Zollverein zeigt eine Fülle an Exponaten, die den Besucher sehr anschaulich und sinnlich in jene bewegte Zeit vor hundert Jahren eintauchen lassen. Man sieht Uniformen, ein französisches Maschinengewehr der Marke „Hotchkiss“, ausgegrabene französische Tonpfeifenköpfe, Ehrenplaketten, Inflationsgeld, eine Büste Schlageters und zeitgenössische Schriften über ihn. Fotografien zeigen unter anderem geplünderte Kaufhäuser, die öffentliche Verteilung von Suppe und Kohle sowie den Trauerzug für erschossene Deutsche, die nicht rechtzeitig von der Ausgangssperre erfahren hatten. Als Skurrilität ist das „Ruhr-Spiel“ zu betrachten, ein Brettspiel, bei dem es für den Spieler darauf ankam, eine Reise durch das Besatzungsgebiet ohne Komplikationen zu überstehen. 

Leider aber ist in der an sich informativen Schau eine Tendenz spürbar, den Besatzern mit deutlich mehr Empathie als dem deutschen Widerstand zu begegnen. Zahlreiche fotografische Porträts von Besatzungssoldaten werden gezeigt und präsentieren jene primär als eine Art „nette Kerle von nebenan“. Von den deutschen Widerständlern fehlen solche Fotoreihen. Über Schlageter wird nur verlautbart, daß er „von der politischen Rechten zu einem Nationalhelden stilisiert“ wurde. Besonders aber die zahlreichen rassistischen Publikationen gegen schwarze Besatzungssoldaten und Pranger-Flugblätter gegen deren weibliche Bekanntschaften dienen erkennbar dazu, ein heute medial ganz entgegengesetzt beeinflußtes Publikum in emotionale Wallung zu bringen. Von den zahlreichen von den Besatzern vergewaltigten Frauen liest man indes im Gegenzug ausgesprochen wenig bis nichts. Dazu paßt wohl, daß Heinrich Theodor Grütter, Direktor des Ruhr Museums Essen, gegenüber der Presse äußerte, daß die Reparationsforderungen der Alliierten gerechtfertigt gewesen seien. Die vereinbarten Zahlungen über Jahrzehnte gestreckt zu leisten, sei für die Deutschen durchaus „machbar“ gewesen. So betrachtet waren dann Schlageter, die anderen Toten und die Deutschen generell also wohl mal wieder selbst schuld?

Die Ausstellung „Hände weg vom Ruhrgebiet! Die Ruhrbesetzung 1923–1925“ in der Essener Zeche Zollverein, Gelsenkirchener Straße 181, endet am 27. August. Besichtigt werden kann sie bis dahin täglich von 10 bis 18 Uhr.

 www.zollverein.de