© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/23 / 25. August 2023

Monster machen
Kino II: „The Inspection“ über einen homosexuellen US-Soldaten zeigt eindrucksvoll, daß Toleranz keine Einbahnstraße ist
Dietmar Mehrens

Ich werde dich bis zum letzten Augenblick lieben. Aber ich kann nicht lieben, was du bist.“ Es ist ein bemerkenswerter Satz, in dem die Handlung von „The Inspection“ gipfelt. Denn er läßt eine Differenzierung erkennen, die üblicherweise in der linksliberalen Filmkunstszene keinen Platz hat: die zwischen der Ablehnung von Menschen aufgrund ihrer Homosexualität („Homophobie“) und der Ablehnung einer als Unzucht gewerteten sexuellen Praxis („Misopornie“).

Daß „Homophobie“ eine linkspopulistische, semantisch unscharfe Wortschöpfung ist, sei an dieser Stelle großzügig übersehen. Unbedingt gesehen und gewürdigt werden muß dagegen, daß Autor und Regisseur Elegance Bratton zu dieser unpopulistischen Unterscheidung in der Lage ist. Grund dafür ist seine Mutter, die 2020 im Alter von 63 Jahren verstarb und der „The Inspection“ gewidmet ist. Es ist ihre filmische Verkörperung durch die Schauspielerin Gabrielle Union, von deren Lippen der eingangs zitierte Satz stammt. Bratton erzählt mit diesem authentisch gespielten Drama nämlich seine ganz persönliche Lebens- und Leidensgeschichte. Und die hat es in sich.

Schläge und Schikanen wegen sexueller Präferenz

Ellis French (Jeremy Pope), die Filmfigur, in die Bratton sich selbst umbenannt hat, ist wie sein reales Vorbild homosexuell. Und er hat beschlossen, ein Marine, also ein amerikanischer Elitesoldat, zu werden. Das bedeutet härtesten Drill. „Unser Auftrag ist nicht, Marines zu machen. Unser Auftrag ist, Monster zu machen“, lernt French in der Grundausbildung. Gleich am ersten Tag werden die Rekruten mit drei fundamentalen Fragen bombardiert: „Sind Sie homosexuell? Sind Sie Kommunist? Haben Sie in den letzten Tagen Rauschgift genommen?“  Alle Vergehen – im Falle eines Ja – gleich schlimm.

Frenchs Entscheidung für die US-Armee ist bemerkenswert. Denn alles spricht zunächst dafür, daß er denselben Weg gehen wird wie viele aus den amerikanischen Schwarzenghettos: den Weg nach unten, wo sich die Spirale aus Gewalt, Drogenmißbrauch und Promiskuität immer schneller dreht. Es ist wohl auch der religiösen Erziehung zu verdanken, auf die seine Mutter Inez, Beamtin der Polizei von New Jersey, immer Wert gelegt hat, daß French im Jahr 2005, in dem der Film spielt, die Kurve kriegt. Ostentativ macht der Regisseur die Bedeutung des christlichen Glaubens gleich in der ersten Szene, die Mutter und Sohn gemeinsam in der Wohnung der Polizistin zeigt, spürbar, indem er im Hintergrund eine Predigt des Baptistenpastors C. L. Franklin laufen läßt. Bratton wuchs mit den Ansprachen des Geistlichen und Vaters der Sängerin Aretha Franklin auf. 

Was folgt, ist zwar eindringlich gespielt, aber Cineasten leider allzu bekannt und dementsprechend gespickt mit Klischees: ein erniedrigender Drill, wie man ihn in Genreklassikern wie Clint Eastwoods „Heartbreak Ridge“ (1986), Stanley Kubricks „Full Metal Jacket“ (1987) und der Remarque-Verfilmung „Im Westen nichts Neues“ (alte Version) so eindrücklich vorgeführt bekommen hat, daß man es eigentlich nicht mehr sehen kann. Nur daß diesmal eben alles unter dem Aspekt der verborgenen Homosexualität noch mal neu erzählt wird.

Es gibt also beispielsweise eine peinliche Duschszene, in der French seine sexuelle Präferenz nicht mehr verbergen kann, und es gibt die erwartbaren Schläge und Schikanen, die daraus resultieren. Der Schleifer heißt diesmal Laws (Bokeem Woodbine) – und ist doch wenig mehr als ein Abziehbild seiner cinematographiehistorischen Vorbilder. Spannung ergibt sich einzig aus der Frage, ob French in Anbetracht der vielen Anfeindungen durchhalten wird oder nicht und ob, falls er durchhält, seine Mutter Inez sich wohl dazu herablassen wird, zu seiner Abschlußfeier zu erscheinen. Zum Kampfeinsatz im Irak kommt es, so viel sei verraten, nicht mehr.

Unterm Strich hervorzuheben bleibt allein die versöhnliche Haltung, die es ermöglicht, „The Inspection“ nicht als einen der zahllosen LGBT-Propagandafilme abzuhaken, die Regenbogenjünger und ihre Steigbügelhalter derzeit geballt auf das Publikum loslassen, sondern als Werbung für Toleranz und Verständnis in eine Richtung, in die beim Thema Homosexualität bisher wenig gedacht wurde und die im Zeitalter der gesellschaftlichen Ächtung Andersdenkender (Fall Felix Nmecha) ein wenig hoffen läßt. Zu verdanken ist dies der frommen Mutter des Regisseurs. Über die Frau, die ihn im Alter von 16 Jahren wegen Unzucht vor die Tür setzte, sagte Elegance Bratton in einem Interview für das Portal Vocalo anläßlich des Starts seiner ersten großen Kinoproduktion Ende 2022: „Meine Mutter ist die erste Person, die mich vollständig geliebt hat. Und sie ist auch die erste Person, die mich ganzheitlich abgelehnt hat. Sie war eine komplizierte Frau, aber am Ende des Tages ist sie Teil des Grundes dafür, warum ich jetzt hier stehe.“