© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/23 / 25. August 2023

„Nieder mit dem Patriarchat!“
Kino I: Die britische Komödie „Polite Society“ spielt in einem diversen England mit weißer Minderheit
Dietmar Mehrens

Nachdem mit Rishi Sunak erstmals ein Nichtweißer das Amt des britischen Premierministers angetreten hat, kommt nun der dazu passende Spielfilm in die Kinos. Er spielt in einem London, in dem Weiße eine verschwindende Minderheit und folglich ausnahmslos in Nebenrollen zu sehen sind.

In fünf Kapiteln, beginnend mit „Eine Geschichte zweier Schwestern“ (eine Anspielung auf Charles Dickens) und endend mit „Die Hochzeit“, erzählt die Regisseurin Nida Manzoor, Tochter pakistanischer Eltern, von den Anstrengungen einer ehrgeizigen pakistanischstämmigen Feministin, die nicht tatenlos zusehen will, wie ihre Schwester ihre beruflichen Ambitionen auf dem Traualtar opfert. 

„Lena wird Künstlerin, und ich werde Stuntfrau!“, schleudert Ria (Priya Kansara) ihren Eltern im Brustton unwiderruflicher Überzeugung entgegen, als die sich hinsichtlich der Lebenswege ihrer Töchter für eher konservative Entwürfe aussprechen. Um so härter treffen die ehrgeizige junge Frau die Nackenschläge, die sie binnen kürzester Zeit einstecken muß: Erst unterliegt sie im schulinternen Kampfkunst-Duell gegen eine afro-englische Rivalin, und dann beißt ihre Schwester Lena (Ritu Arya) auch noch willig an, als ihre Eltern ihr den schnieken Salim (Akshaye Khanna) als Bräutigam zuführen wollen. Riesenvorteil: Salim stammt aus einer begüterten Familie mit Traumvilla.

Augenzwinkernde Anleihen beim Bollywood-Kino

Lena ist Feuer und Flamme für den jungen Mann mit dem Ilkay-Gündogan-Gesicht. Verliebt, verlobt und demnächst auch verheiratet – so lautet der Plan. Doch Ria leistet erbitterten Widerstand und prügelt sich dafür sogar. Ihre Schwester soll ihr Studium an einer Kunstakademie nicht einfach für einen Mann hinschmeißen. Mit ihren Geschlechtsgenossinnen Alba und Clara, die sich wie Ria zu der Parole „Nieder mit dem Patriarchat!“ bekennen, heckt sie einen Plan aus, wie die Versenkung der stolzen Fregatte Lena im Ehehafen verhindert werden kann.

Das bunt gemischte Trio, das auch für das derzeit in vielen Filmen als Erkennungssignal der Neuen Linken versteckte Regenbogensymbol sorgt, glaubt an eine Verschwörung: So perfekt, wie Salim sich präsentiert, kann kein Mann sein! Um ihn zu überführen, planen Alba und Clara, Salims Computer nach Verdächtigem zu durchforsten. Dies führt aber nur dazu, daß Ria bald noch blamierter dasteht, als sie mit ihren Querschüssen gegen die Verlobung sowieso schon ist. Es gilt jedoch zu bedenken: Wenn feministische Vielfaltsapostelinnen eine Verschwörung wittern, ist das natürlich etwas ganz anderes, als wenn eine solche Theorie von rechten „Schwurblern“ ausgebrütet wurde. Kann an Rias bösen Verdächtigungen also wirklich nichts dran sein?

Der Film von Autorin und Regisseurin Nida Manzoor propagiert recht unverfroren und undistanziert feministische Leitgedanken und dürfte somit dazu beitragen, daß sich beim eher unkritischen jugendlichen Publikum aktuelle Modevorstellungen von Weiblichkeit verfestigen. Andererseits macht der Film mit seiner unkonventionellen Machart und seinem durchtriebenen Humor durchaus Spaß. Das Ende, bei dem alles auf eine traditionelle Hochzeitszeremonie mit atemberaubenden Kostümen, Tanz und Musik zusteuert, ist ebenso opulent wie turbulent. Optisch wird dem Zuschauer hier, da sich Nida Manzoor ganz auf die Ästhetik ihrer Herkunftskultur einläßt, einiges geboten.

Albern dürften „Polite Society“ die einen finden, erfrischend unkonventionell die anderen. Dafür sorgen die augenzwinkernden Anleihen beim indischen Unterhaltungskino für die breite Masse („Bollywood“), dem die schrille Komödie neben der schablonenhaften Handlung vor allem die für Bollywood-Novizen irritierend unrealistischen Kampfsporteinlagen verdankt. Der Regisseurin bereitete es offensichtlich einen Heidenspaß, die in Indien und Pakistan (beide Länder gehörten ja mal zusammen) prävalenten Macho-Klischees auf links zu drehen. Konvention und Tradition, hier vertreten von der Elterngeneration, sagt ihr Film ebenso entschlossen den Kampf an wie Ria der Ehe ihrer Schwester.