© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/23 / 25. August 2023

Misere am Wohnungsmarkt
Steuerpolitik: Hohe Auflagen und Zinsen behindern Neubau / Wunderwaffe „degressive AfA“?
Stefan Kofner

Die Serie der Hiobsbotschaften vom Wohnungsmarkt reißt nicht ab. Die Zahl der Baugenehmigungen sinkt, die Wohnungsbauaufträge brechen weg. Die Wohnungsfertigstellungen blieben 2022 mit 295.000 um 25 Prozent hinter der 400.000er- Marke des Koalitionsvertrages zurück. Statt den angepeilten 100.000 Sozialwohnungen wurden nur 22.500 fertig. Das Förderziel wurde hier sogar um 77,5 Prozent verfehlt. Und es gibt wenig Hoffnung auf Besserung: Die extrem gestiegenen Baupreise sind nicht wieder gesunken, während die Hypothekenzinsen noch weiter ansteigen.

Obendrein könnten die Baukapazitäten schrumpfen. Darauf deutet der Rückgang der Zahl der Azubis im ersten Lehrjahr hin. Das Wohnbauland bleibt knapp und teuer. Die Immobilienpreise haben trotz des historischen Zinssprungs noch kaum nachgegeben. Gleichzeitig liegt die Zuwanderung weiter auf hohem Niveau. Die Politik ruft unverdrossen nach immer mehr Fach- und Hilfskräften und läßt Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge ohne Obergrenzen ins Land. Doch wo sollen diese Hunderttausende von Menschen alle wohnen?

Beschleunigte Abschreibung in den ersten Nutzungsjahren geplant

Am Mietwohnungsmarkt herrschen Zustände wie in den fünfziger Jahren, nur weniger reglementiert. Die Angebotsmieten steigen immer schneller, und die Leerstände in den Wachstumsregionen sinken auf immer weiter neue Tiefststände. In diesem Umfeld blühen Grau- und Schwarzmärkte in Form von möbliert vermieteten Wohnungen, fingierten und unerlaubten Untervermietungen zu Wucherpreisen und Betrügereien jeder Art. Wer kann, nutzt die Notlage seiner Mitmenschen aus und füllt sich die Taschen.

Die Prognosen für die weitere Entwicklung der Wohnungsfertigstellungen werden immer düsterer. Die Experten von Euroconstruct erwarten trotz Rekordzuwanderung und höchster Marktanspannung für Deutschland bis zum Jahr 2025 mit 32 Prozent den stärksten Rückgang der Fertigstellungen in ganz Europa auf nur noch 200.000 neue Wohnungen. Die Schätzungen anderer Institute sind ähnlich pessimistisch.

Mit einer solchen wohnungsbaupolitischen Bilanz will sich die Bundesregierung natürlich nicht den Wählern im Wahljahr 2025 präsentieren. Die „degressive AfA“ soll es jetzt richten. AfA steht für Absetzung für Abnutzung. Die degressive Variante der steuerlichen Gebäudeabschreibung ist dabei ein alter Bekannter: Die Möglichkeit, Wohnimmobilien in den ersten Jahren nach ihrer Fertigstellung steuerlich nicht linear, sondern gemäß einer vorgegebenen Staffel mit höheren Sätzen abzuschreiben, wurde erst 2006 unter Angela Merkel abgeschafft. Die beschleunigte Abschreibung in den ersten Nutzungsjahren der Immobilie wirkte wie ein zinsloser Steuerkredit und verbesserte die Nachsteuer-Renditen im Wohnungsneubau. Sie wurde als Kompensation für die intensive Regulierung der Mietverhältnisse im Preis- und Kündigungsrecht angesehen.

Die derzeit geltenden Sonderabschreibungen nach Paragraph 7b Einkommensteuergesetz (vier Jahre lang zusätzlich fünf Prozent neben der linearen Abschreibung) gelten nur für den Effizienzhausstandard EH40 mit Nachhaltigkeitssiegel. Außerdem sind Kostenobergrenzen einzuhalten, und auch die steuerliche Bemessungsgrundlage ist gekappt. Und schließlich darf der Gesamtbetrag der einem einzelnen Investor gewährten Beihilfen gemäß den EU-Regeln innerhalb von drei Jahren derzeit 200.000 Euro nicht übersteigen. Das ist also eine steuerliche Förderung, die sich nur an private Amateur-Investoren richtet.

Alternativ zur linearen Abschreibung mit drei Prozent will Bauministerin Klara Geywitz (SPD) nun ab Januar 2024 die degressive Abschreibung für den Mietwohnungsneubau – befristet bis Ende 2030 – wieder einführen. In den ersten vier Jahren sollen jeweils sieben Prozent der Baukosten abgeschrieben werden können, in den folgenden vier Jahren dann fünf Prozent und in den verbleibenden 26 Jahren jeweils weitere zwei Prozent. Das bringt rechnerisch bei konstant gehaltener Nachsteuerrendite auf das Eigenkapital einen Spielraum bei den Neubaumieten von nur rund einem Euro, also 17,50 statt 18,50 Euro.

Erst in der Kombination mit weiteren Maßnahmen wie langlaufenden Zinssubventionen und Baukostensenkungen kann man die Mieten wieder auf ein halbwegs erschwingliches Niveau senken, wobei der Hypothekenzins die stärkste Hebelwirkung hat. Anders sieht das nur bei Immobilien im Privatvermögen aus, wenn diese nach Ablauf von zehn Jahren ohne Besteuerung des Veräußerungsgewinns verkauft werden können. In diesen Fällen könnte die Neubaumiete renditeunschädlich weiter bis auf 15,75 Euro gesenkt werden. Es ist aber zweifelhaft, ob solche Privatinvestoren ihre Mieten überhaupt im Wettbewerb entsprechend absenken. Außerdem dürften bei ihnen höhere Baukosten anfallen als bei den großen Wohnungsunternehmen.

Es handelt sich bei der degressiven Abschreibung also nicht um einen „Befreiungsschlag“, sondern höchstens um einen Baustein bei der Wiedererlangung erschwinglicher Neubaumieten. Wenn es außerdem nicht gelingt, parallel das Baulandangebot wesentlich auszuweiten, dann steigen gleichzeitig die Baulandpreise noch weiter an und die Anreizwirkung fällt noch schwächer aus.

Grundsätzlich falsch gesetzte politische Prioritäten bleiben

Es kommt hinzu, daß es sich bei der degressiven AfA um ein Instrument mit geringer räumlicher und sozialer Treffsicherheit handelt: Mit solchen Abschreibungsvergünstigungen wird der Neubau auch dort gefördert, wo Wohnraum gar nicht knapp ist und auch der Bau teurer Wohnungen, die die Erschwinglichkeit von Mietwohnungen nur indirekt über Sickereffekte verbessern. Es liegt also nahe, hier mit Gebietskulissen und Kostenobergrenzen zu operieren – soweit es das EU-Beihilferecht zuläßt.

Damit gebiert man allerdings das nächste Bürokratiemonster. Wie dem auch sei, der grüne Ampelkoalitionspartner wird es kaum zulassen können, den Mietwohnungsneubau undifferenziert in der Fläche zu fördern, als ob CO2 und Bodenversiegelung für die Grünen plötzlich keine Rolle mehr spielten. Und die FDP wird nicht begeistert davon sein, daß ein Großteil der Mittel aus dem Wachstumschancengesetz für indirekte Wohnungsbausubventionen ausgegeben werden soll.

Zwar verschafft diese Initiative der geplagten Ministerin kurzfristig etwas Luft zum Atmen, aber es ist doch zu wenig und zu spät: Selbst, wenn die degressive AfA kommt, ändert das kaum etwas an den grundsätzlich falsch gesetzten politischen Prioritäten. Wenn man der Wohnungskatastrophe etwas Adäquates entgegensetzen will, dann müßte der Wohnungsneubau gegenüber allen konkurrierenden Zielen wie Klimaschutz, Bodenschutz, Haushaltsausgleich und Fachkräftezuwanderung eindeutig priorisiert werden. Dazu müßten alle wirksamen Instrumente aktiviert und die knappen staatlichen Ressourcen auf den Neubau konzentriert werden.