Fünf Monate nach einer Vereinbarung zur Restrukturierung seiner Schulden hat der chinesische Immobilienkonzern Evergrande auch in den USA ein Konkursverfahren eingeleitet. Normalerweise ist ein derartiges „Kapitel 15“ eine Formsache, bei der es lediglich um die Anerkennung der ausländischen Verfahren geht, um zu verhindern, daß unzufriedene Gläubiger durch US-Klagen das Verfahren im Ausland torpedieren. Auch die Insolvenz von Wirecard wird von einem solchen Anerkennungsverfahren im Bundesstaat Pennsylvania begleitet, obwohl das eigentliche Verfahren in München stattfindet.
Doch im Fall von Evergrande verursacht die Formalie Schlagzeilen. Dies verdeutlicht die Angst vor dem Zusammenbruch der chinesischen Immobilienbranche einerseits und die restriktive Informationspolitik der Kommunisten auf der anderen Seite, die beispielsweise Jugendarbeitslosigkeit nicht mehr erfaßt, nachdem diese neue Rekorde erreichte. Oder die chinesischen Töchtern westlicher Konzerne verbietet, Finanzergebnisse an den Mutterkonzern zu übermitteln – weil das neuerdings Staatsgeheimnisse sind. Da ist jede Nachricht willkommen, egal, wie irrelevant.
Seit März besteht ein 201seitiger Restrukturierungsplan für die internationalen Schulden, der von den Gerichten in Hongkong, den Britischen Jungferninseln und den ebenfalls britischen Kaimaninseln abgesegnet werden muß, je nach Handelsregistereintrag der Evergrande-Töchter. Die Kaimaninseln nehmen eine Schlüsselrolle ein bei Finanzierungen chinesischer Unternehmen, vergleichbar mit Malta oder den Kanalinseln bei Finanzierungen für Deutschland und Europa. Von kleinen Firmen bis zu E-Commerce-Giganten wie Alibaba oder JD sind viele im Westen börsennotierte Vehikel dort ins Handelsregister eingetragen. Konkurs- und Spruchverfahren sind inzwischen Routine. Mit Steuerhinterziehung, was als Klischee noch weit verbreitet ist, hat das nichts zu tun. Vielmehr ist das Konstrukt notwendig, weil westliche Anleger die Töchter in China nicht direkt besitzen dürfen. Chinesische Behörden genehmigen aber die Übertragung wirtschaftlicher Interessen an eine solche Holding.
Außer dem Restrukturierungsplan Evergrandes über rund 20 Milliarden US-Dollar an internationalen Schulden werden seit 2022 auch die einheimischen chinesischen Schuldtitel im Gegenwert von mehr als 100 Milliarden Dollar restrukturiert. Auf der Aktivseite stehen dem 1.316 Bauprojekte gegenüber sowie Beteiligungen von 51,7 Prozent an einer börsennotierten Immobilienverwaltung und 58,5 Prozent an einer Elektroauto- und Gesundheitsfirma. Bei einer Liquidierung Evergrandes könnten Gläubiger nur zwischen zwei und neun Prozent der Forderungen realisieren. Eine Restrukturierung dürfte viele zu 100 Prozent abfinden.
Parallel zum Restrukturierungsplan haben Gläubiger 789 Prozesse und 43 Schiedsverfahren gegen Evergrande initiiert. Darunter fällt auch die Zwangsversteigerung einer 465 Quadratmeter Wohnung des Gründers Hui Ka Yan im Hongkonger Nobelviertel „The Peak“ für 89 Millionen Dollar, mit der er einen Kredit der China Construction Bank über weniger als die Hälfte dieses Betrags besichert hatte. Zuvor hatten Gläubiger den Firmensitz und ein Immobilienprojekt in Hongkong zwangsversteigert und damit möglicherweise andere Gläubiger geschädigt. Durch das „Kapitel 15“ können derartige Schnellschüsse außerhalb des eigentlichen Verfahrens künftig verhindert werden.