© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/23 / 25. August 2023

Grüße aus … Wien
Pures Glück in einem Glas
Robert Willacker

In Österreich braut sich ein Sturm zusammen. Es handelt sich dabei aber weder um eine sprachliche Verbildlichung innenpolitischer Verwerfungen noch um die Vorhersage etwaiger Wetterkapriolen. Auch der gleichnamige Fußball-Erstligist aus Graz hat in diesem Text keinen Platz. 

Der „Sturm“, von dem der Österreicher mit Beginn der Weinlesezeit spricht, findet buchstäblich im Glas statt! Bundesdeutsche Leser kennen ihn wohl mehrheitlich unter dem Begriff „Federweißer“, die Schweizer sagen „Sauser“ zu ihm. Da wie dort handelt es sich bei dem beliebten Getränk um einen frisch gepreßten Traubensaft, der gerade dabei ist, sich in Wein zu verwandeln.

Wer den Sturm einmal 

gekostet hat, ist für immer begeistert von der angenehm erfrischenden Süße.

Genaugenommen „braut“ sich der Sturm damit auch gar nicht zusammen, sondern er gärt. Wer das Getränk nur einmal gekostet hat, der weiß sofort: So ein Sturm gärt nicht einfach nur, sondern er sprüht und sprudelt förmlich! Vor Energie, vor Lebensfreude und jugendlichem Übermut. Prickelnde Frische, gepaart mit einer angenehmen Süße; natürlich kalt, aber nicht eiskalt. Herrlich!

Allerdings sollte der Durstige einen allzu sorglosen und euphorischen Genuß der leicht alkoholischen Köstlichkeit tunlichst vermeiden, da schon wenige Gläser des Halbvergorenen durchaus mannigfaltige Wirkungen im ungeübten Körper entfalten können. Zelebriert wird die Weinwerdung des noch jungen Traubensafts hierzulande übrigens im „Heurigen“. Dabei handelt es sich überall in Österreich um eine Sammelbezeichnung für urige Weinlokale, häufig mit angeschlossenen Terrassen oder kleinen Gärten in unmittelbarer Nähe von Weinbergen. Zumeist werden dort in idyllischer Atmosphäre neben Wein auch hausgemachte kulinarische Schmankerl aus der Region gereicht.

Eine Sonderform des Heurigen bildet dabei die „Buschenschank“. Diese darf ohne besondere gastronomische Konzession, dafür aber nur vom Besitzer eines Wein- oder Obstgartens auf dem Gelände seines landwirtschaftlichen Betriebs unterhalten werden. Auch hat solch eine Buschenschank nicht das ganze Jahr über geöffnet, sondern nur dann, wenn der Bauer gerade „ausgesteckt“ hat. Hierfür wird meist nur für wenige Wochen am Stück ein Büschel Zweige oder Reisig gut sichtbar über die Eingangstür gesteckt, das dem Einkehrwilligen bereits aus der Ferne signalisiert: „Müder Wanderer, hier kannst du Rast machen!“

Und, wer weiß, möglicherweise hat ja auch ein Heuriger einst Wolfgang von Goethe bei einem Spaziergang zu den berühmten Zeilen aus Faust I inspiriert: „Ich höre schon des Dorfs Getümmel, hier ist des Volkes wahrer Himmel, zufrieden jauchzet groß und klein: Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!“