© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/23 / 25. August 2023

Hauptsache unabhängig
Bosnien-Herzegowina: Milorad Dodik, Präsident der Republika Srpska, kämpft gegen den Zentralstaat
Hans-Jürgen Georgi

Sie nennen ihn „Schurken“ und „serbischen Nationalisten“. Kritiker werfen ihm vor, die Sicherheit von ganz Bosnien-Herzegowina zu gefährden und der gefährlichste Mann auf dem Balkan zu sein. Die Rede ist vom Präsidenten der Republika Srpska – Milorad Dodik.

Das war nicht immer so. Zu Beginn von Dodiks politischer Karriere gehörte er zu den Lieblingen des Westens. Milorad Dodik wurde 1959 in der Nähe von Banja Luka, der jetzigen Hauptstadt der Republika Srpska, geboren. Er studierte in Belgrad Politologie und war in den achtziger Jahren Chef der Verwaltung seiner Heimatstadt. 

Dodik dürfte einer der dienstältesten Politiker sein, nicht nur in Bosnien-Herzegowina. Schon 1998 wurde er Premierminister der Republika Srpska und galt damals als Hoffnungsträger der internationalen Gemeinschaft.

Richard Holbrooke, der Chefunterhändler des Dayton-Friedensvertrages, mit dem der Krieg in Bosnien-Herzegowina 1995 endete, hielt viel von ihm: „Wenn mehr Führer wie Dodik an die Macht kommen, dann könnte das ursprüngliche Abkommen von Dayton in die Tat umgesetzt werden“, sagte er 2007 in einem Interview.

Milorad Dodik galt als „Gemäßigter“. Noch 2004 wurde er nach dem Wahlsieg seiner Partei, der SNSD (Allianz der unabhängigen Sozialdemokraten), von der bosnischen Wochenzeitung Slobodna Bosna als „konsequentester Kritiker des nationalistischen Konzeptes der SDS“ gefeiert. Dodik selbst war früher Mitglied der SDS (Serbische Demokratische Partei), der Partei des serbischen Präsidenten Milošević, der als Kriegsverbrecher in Den Haag endete. 

Dodik droht seit Jahren mit Referenden zur Autonomie

Mit dem Kurs der SDS im Widerspruch gründete Dodik 1996 seine eigene Partei, die SNSD. Sie war Mitglied der Sozialistischen Internationalen. Weil aber im Lauf der Zeit die Sozialdemokratie zugunsten nationalistischer Politik in den Hintergrund getreten war, wurde sie 2012 ausgeschlossen. Im Jahr 2006 fanden in Bosnien-Herzegowina Wahlen statt, und einige bosniakische Politiker forderten einen starken bosnisch-herzegowinischen Zentralstaat und damit die Aufhebung der beiden Teilrepubliken, der Föderation Bosnien-Herzegowina und der Republika Srpska.

Durch den Vertrag von Dayton hatten diese beiden Entitäten einen staatsähnlichen Charakter erhalten. Dem Gesamtstaat Bosnien-Herzegowina und seiner Hauptstadt Sarajevo waren nur wenige Zuständigkeiten zugesprochen worden, darunter Außenpolitik, Zollpolitik, Geldpolitik oder die Flugsicherung. Die internationale Gemeinschaft war nach dem Friedensschluß bemüht, die Zuständigkeiten des Gesamtstaates zu vergrößern, und hatte dabei die Unterstützung des Mehrheitsvolkes, der muslimischen Bosniaken. Im gesamten Staat bilden sie eine Mehrheit von 51 Prozent, in der Föderation Bosnien-Herzegowina sogar von 70 Prozent.

Bis zum Jahr 2006 wurden die Zuständigkeiten des Gesamtstaates erheblich ausgebaut. Justiz, Militär, Grenzschutz, Steuer- und Zollverwaltung und sogar ein Geheimdienst stehen seitdem unter der Kontrolle Sarajevos. Das mißfiel vielen ethnischen Serben im Land. „Nicht ich bestreite die Notwendigkeit, daß wir in Bosnien-Herzegowina uns einigen müssen, aber wenn das nur die Übertragung der Zuständigkeiten aus Banja Luka nach Sarajevo bedeutet, haben wir nichts davon“, sagte Dodik 2008 mit Blick auf die veränderte Lage.

Die Frage, wie viel Autonomie es sein soll, wurde fortan zur politischen Herzensangelegenheit Dodiks. Durch die Übertragung von Zuständigkeiten der Regionen auf die Zentralregierung würde die Republika Srpska immer weiter in Frage gestellt, fürchten Teile der bosnischen Serben und Milorad Dodik.

Da sich in diesen Jahren die Abtrennung Montenegros vom gemeinsamen Staat Serbien-Montenegro abzeichnete und 2006 ein Referendum über die Selbständigkeit Montenegros abgehalten wurde, kam auch Dodik auf die Idee, die Republika Srpska per Referendum in die Selbständigkeit zu führen. Immer wieder drohte er mit Volksabstimmungen, führte jedoch keine zu Ende. Die Möglichkeit eines Referendums sowie das Stoppen von Kompetenzübertragung und deren Rücknahme bestimmten dennoch fortan seine Politik. 2006 wurde er wieder Ministerpräsident und beeinflußte seitdem in verschiedenen Ämtern die Politik seiner Heimat.

Sein Ziel ist es, die Zuständigkeiten des Gesamtstaates auf „Original-Dayton“ zurückzuführen. Durch seine „nationalistische“ Politik wurde Dodik zum Gegner der internationalen Gemeinschaft, die einen funktionierenden Gesamtstaat anstrebt. Auch die Mehrheit der bosniakischen Politiker, die Bosnien-Herzegowina zu „ihrem“ Staat machen wollten, sehen ihn kritisch.

So stand Dodik ständig unter Verdacht wegen Veruntreuung, Abhören der Opposition oder immer wieder wegen Korruption. Nicht, daß all das unmöglich gewesen wäre, aber Dodik mußte trotz der Anschuldigungen niemals vor Gericht. Das vermeintlich scharfe Schwert der Sanktionen wurde von den Amerikanern sogar dreimal gegen Dodik gezückt, ohne daß es bisher Folgen gehabt hätte.

Washington begründete das nicht nur mit Dodiks mutmaßlicher Behinderung eines modernen Balkanstaates durch „weit verbreitete Korruption“, sondern auch wegen der Blockade der „vollständigen Integration in die transatlantischen Institutionen“. Dodik stimmt zwar einem EU-Beitritt zu und befürwortet eine Zusammenarbeit mit der Nato, einen Beitritt zum atlantischen Militärbündnis lehnt er aber konsequent ab. 2017 proklamierte das Parlament der Republika Srpska sogar die militärische Neutralität des Teilstaates.

Demgegenüber stehen gute Beziehungen zu Rußland. Sie gründen sich bei Dodik keineswegs auf Russophilie. Sie rühren aus einer Zeit, als vom westlich-russischen Antagonismus in der heutigen Form noch nicht die Rede war: „Mit den Russen haben wir gerade eine sehr erfolgreiche Privatisierung des Ölsektors durchgeführt, im Unterschied zu einigen westlichen Firmen, mit denen wir sehr negative und unangenehme Erfahrungen hatten“, sagte Dodik 2008. Auch nach dem Beginn des Ukraine-Krieges pflegte Dodik zu Moskau gute Kontakte und traf sich im Mai 2023 mit Putin.

All das macht Dodik im Westen und bei den Bosniaken alles andere als beliebt. Seine Ablösung wird gefordert. Der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft könnte das bewerkstelligen. 

Dieser Repräsentant ist eine Art Gouverneur mit gewaltiger Macht. Mit den Bonner Befugnissen kann er rechtsverbindliche Entscheidungen treffen, Gesetze erlassen oder die Entlassung von Politikern anordnen. Seit 2021 ist der CSU-Politiker Christian Schmidt Hoher Repräsentant in Bosnien-Herzegowina. Weil er jedoch nicht die Zustimmung Rußlands und Chinas im UN-Sicherheitsrat fand, wie es im Dayton-Vertrag vorgesehen ist, wird er von der Republik Srpska nicht anerkannt.

 Schmidt nutzte seine Befugnisse und drohte bei Nichtanerkennung seiner Beschlüsse sogar mit Haftstrafen. Dodik wiederum erließ ein Gesetz, das die Veröffentlichung von Beschlüssen des Hohen Repräsentanten im Amtsblatt der Republika Srpska untersagte.

Milorad Dodik ist ein Politiker mit 25 Jahren Erfahrung und der Unterstützung von breiten Teilen der Republika Srpska. Und Unruhen auf dem Balkan sind das letzte, was die USA und die EU jetzt gebrauchen könnten.