© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/23 / 25. August 2023

Droht das Verbot?
AfD: Über ein Parteiverbot entscheiden Verfassungsrichter, nicht Leitartikler
Jörg Kürschner

Die unter Juristen gängige und manchmal flapsig gemeinte Bemerkung enthält mehr als ein Fünkchen Wahrheit: „Ein Blick in das Gesetzblatt erleichtert die Rechtsfindung.“ Im Fall der Mediendiskussion über ein AfD-Verbot ist Artikel 21 des Grundgesetzes einschlägig: „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“ Ob eine Partei verfassungswidrig ist und verboten wird, entscheidet ausschließlich das Bundesverfassungsgericht. Den Antrag stellen können nur die Bundesregierung, der Bundestag und der Bundesrat.

In der nun bald 75jährigen Geschichte der Bundesrepublik wurden erst zwei Parteien verboten: 1952 die Sozialistische Reichspartei (SRP), die in der Tradition des Nationalsozialismus stand, 1956 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), die zwischen 1949 und 1953 dem Bundestag angehörte, zum „revolutionären Sturz des Regimes Adenauer“ aufrief und wie in der DDR die „Diktatur des Proletariats“ anstrebte.

2003 und 2017 hatten die Karlsruher Richter über die Verfassungsmäßigkeit der 1964 gegründeten NPD zu entscheiden, der in den sechziger Jahren der Einzug in sieben Landtage und nach der Wiedervereinigung zeitweise auch in ostdeutsche Landesparlamente gelungen war. Das erste Verfahren scheiterte, weil V-Leute des Verfassungsschutzes auch in der Führungsebene der Partei tätig waren. Wegen dieses Verfahrenshindernisses mußte die Verfassungsmäßigkeit der NPD nicht mehr geprüft werden. Auch das zweite Verbotsverfahren blieb erfolglos. Zwar bescheinigte der Zweite Senat der NPD verfassungsfeindliche Ziele und „eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“. Die Partei sei aber zu unbedeutend, um diese Ziele durchzusetzen und die Demokratie zu gefährden. Laut Verfassungsschutzbericht 2022 gehören der NPD, die sich im Juni in „Die Heimat“ umbe-

nannt hat, nur noch rund 3.000 Mitglieder an; bei abnehmender Tendenz. 

Über ein NPD-Verbot scheint das letzte höchstrichterliche Wort gesprochen, über die Verfassungsmäßigkeit der 2013 gegründeten AfD verbreiten sich derzeit mit einigem Eifer Erfahrungsjuristen, angetrieben von dem anhaltenden Umfragen-Höhenflug auf rund 20 Prozent. Daß ein Fünftel der Wähler bei einem Verbot gehindert würde, für die Partei ihrer Wahl zu stimmen, wird kaum thematisiert. Die Verbotsdiskussion stützt sich auf die Bewertung des Verfassungsschutzes der AfD als „rechtsextremistischen Verdachtsfall“.

Eher mit Verlust der Parteienfinanzierung rechnen

Anhaltspunkte für ein mögliches Verbot liefern eher die Urteile des Verfassungsgerichts, insbesondere das letzte, einstimmig ergangene von 2017. Zumal das Gericht seine Rechtsprechung modifiziert hat. Die Hürden für ein Parteiverbot sind höher geworden. In dem Richterspruch heißt es, für ein Verbot reiche es nicht aus, wenn eine Partei lediglich verfassungsfeindliche Ziele verfolge. Es müßten vielmehr „konkrete Anhaltspunkte von Gewicht vorliegen“, daß die Partei erfolgreich sein kann. Das Gericht spricht von „Potentialität“. Als „schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Rechtsstaates“ sei ein Verbot restriktiv auszulegen. Die acht Richter stützen sich auf den in Artikel 21 enthaltenen Begriff des „darauf Ausgehens“. Nach der bisherigen Rechtsprechung war es nicht erforderlich, daß eine zu verbietende Partei ihre verfassungsfeindlichen Absichten in absehbarer Zukunft verwirklichen kann. 

Eine weitere Hürde für ein AfD-Verbot stellt auch die von Deutschland ratifizierte Europäische Menschenrechtskonvention dar. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verlangt  ebenfalls eine von einer Partei ausgehende konkrete Gefahr. Eine abstrakte Gefährdung reicht nicht. Will sich die Bundesregierung jahrelang vor europäischen Gerichten mit der AfD herumschlagen angesichts einer Stärkung konservativer und rechter Strömungen in Europa? Davon ist wohl kaum auszugehen. Eher muß die AfD befürchten, von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen zu werden. 2017 regte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle an, man könne einer verfassungsfeindlichen, aber nicht verbotenen Partei die staatlichen Gelder streichen. Das Grundgesetz wurde entsprechend geändert.  

Vielleicht sind es diese Unwägbarkeiten, die die Zurückhaltung vieler Politiker erklären. Etwa von Günther Beckstein (CSU), als bayerischer Innenminister einst ein vehementer Verfechter des ersten NPD-Verbotsverfahrens. „Bei null“ lägen die Erfolgsaussichten vor dem Bundesverfassungsgericht. „Absolute Voraussetzung eines Verbots ist der Nachweis einer aggressiv-kämpferischen Haltung“, sagte der nachmalige bayerische Ministerpräsident. Er kenne niemanden, der behaupte, daß die AfD selbst hinter gewalttätigen Angriffen stehe. 

Wie Beckstein ist auch der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle Jurist. Er hält einen Verbotsantrag für ein „falsches Signal“. Ähnlich äußerte sich CDU/CSU-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz. Die Linke hält sich in der Diskussion über Parteiverbote stets zurück, befürchtet wohl, eine entsprechende Forderung könne auf sie selbst zurückfallen. 

Verhalten fallen die Reaktionen auf die Forderung aus, nur den thüringischen Landesverband mit seinem Vorsitzenden Björn Höcke zu verbieten. Rechtlich zulässig wäre ein solches Manöver wohl. „Die Feststellung kann auf einen rechtlich oder organisatorisch selbständigen Teil einer Partei beschränkt werden“, heißt es im Bundesverfassungsgerichtsgesetz.

Und die Bundesinnenministerin Nancy Faeser? Bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts antwortete die SPD-Politikerin auf die Frage, ob sie ein Verbotsverfahren einleiten würde, sie verlasse sich dabei auf ihre Behörden: „Wenn die irgendwann zu dem Ergebnis kommen, daß es genügend Gründe zur Einordnung als verfassungswidrig gibt, dann werde ich auch entsprechend vorgehen.“