© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/23 / 18. August 2023

Leute mit abweichender Meinung sind eben Extremisten
Die Sozialwissenschaftlerin Julia Ebner schwurbelt über eine stetige rechte Radikalisierung demokratischer Gesellschaften
Michael Dienstbier

Julia Ebner ist regelmäßig Gast in deutschen Talkshows, schreibt für diverse linksliberale Zeitungen und gibt Workshops an Schulen und Universitäten. Als sogenannte Extremismusexpertin hat sich die 1991 in Wien geborene Investigativ-journalistin mit ihren Büchern „Wut“ (2017) und „Radikalisierungsmaschinen“ (2019) im Mainstream einen Namen gemacht. Hier berichtete sie über ihre verdeckten Ermittlungen in den digitalen Netzwerken von Islamisten und Rechtsextremen. Diese für sie lukrative Erfolgsstrategie setzt sie auch in ihrem neuen, zuerst auf Englisch erschienenen Buch „Massenradikalisierung: Wie die Mitte Extremisten zum Opfer fällt“ fort, nur daß der Kreis der Demokratiefeinde um Klimawandelleugner, Genderkritiker, Impfgegner und auch Leser der JUNGEN FREIHEIT erheblich erweitert worden ist.

Es grenzt an Verharmlosung, Ebners argumentative Strategie nur als manipulativ zu bezeichnen. Anhand von Einzelfällen oder aus der Luft gegriffenen Behauptungen verbindet sie abweichende Meinungen mit abstrusen Verschwörungserzählungen, um so legitime Kritik pauschal zu delegitimieren. So raunt sie, daß „Anhänger von Anti-Trans-Verschwörungsmythen“, also Menschen, die glauben, daß es zwei biologische Geschlechter gibt, oft auch Antisemiten seien. Belege? Fehlanzeige. 

Das Kapitel zu den Impfkritikern beginnt sie mit der Behauptung, daß die niedrige Impfquote in vielen Ländern ursächlich für die Lockdowns gewesen sei. Angesichts der mittlerweile vorliegenden Erkenntnisse über Genese und Wirksamkeit der Impfstoffe grenzt diese Aussage an Realsatire, ist hier aber ernstgemeint. Ebner berichtet von einem Gespräch mit einem Impfkritiker, der auch glaubt, daß es sich bei allen Mitgliedern der königlichen Familie Englands um Reptiloide handele. Das Framing ist eindeutig: Impfkritiker werden hier mit Spinnern gleichgesetzt und der Lächerlichkeit preisgegeben. Ähnlich diffamiert die Autorin auch Gegner der LGBTQ-Lobby, indem sie behauptet, daß es seit langem Verbindungen zum Rußland Putins geben würde. Belege? Wieder Fehlanzeige.

Auf 350 Seiten produziert sich Ebner als Kämpferin für das Wahre und Gute, die sich in die Höhle des Löwen vorwagt, um die Feinde der Demokratie in Aktion zu erleben. Von einem Kongreß des Europäischen Instituts für Klima und Energie (EIKE), das sich kritisch mit der These vom menschengemachten Klimawandel auseinandersetzt, weiß sie zu berichten, daß eine Mehrzahl der Konferenzteilnehmer aus „alten weißen Männern“ bestehe. In den Kreisen, in denen Ebner sich bewegt, zählt so etwas wohl als Argument. Und der endgültige Beweis für die Verkommenheit dieser Veranstaltung folgt zugleich: Auf den Tischen fänden sich zahlreiche Exemplare „der sehr rechten Zeitungen Epoch Times und JUNGE FREIHEIT“.

Ebners Buch erlaubt zutiefst verstörende Einblicke in das Selbstverständnis der progressiven Eliten, die abweichende Meinungen als Extremismus und Demokratiefeindschaft bewerten. Was auffällt ist der moralische Furor, die völlige Abwesenheit von Zweifeln an eigenen Positionen und die Bereitschaft, Menschen der Lächerlichkeit preiszugeben, mit der Ebner vorgeht. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß die Extremismusexpertin Ebner, die seit Jahren eine Radikalisierung demokratischer Gesellschaften attestiert, in ihrem neuen Buch beredtes Zeugnis einer Selbstradikalisierung abliefert. Menschen außerhalb des selbstdefinierten woken Meinungskorridors sind für sie Feinde der Demokratie, die bekämpft werden müssen. Die Zeit der Diskussionen, so der unausgesprochene Tenor dieser Kampfschrift, sei vorbei, Handeln das Gebot der Stunde. Es ist genau dieses ans Fundamentalistische grenzende Denken, das die wahre Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat darstellt.

Julia Ebner: Massenradikalisierung. Wie die Mitte Extremisten zum Opfer fällt. Warum unsere Demokratie ­bedroht ist wie noch nie. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023, gebunden, 350 Seiten, 20 Euro