© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/23 / 18. August 2023

Froschmänner und Meereskämpfer
Effektivität mit kleinem Aufwand: Die Geschichte der Kampfschwimmer als taktische Waffe mit großer operativer Schlagkraft
Thomas Schäfer

Wie die Sprengung von drei Strängen der Pipelines Nord Stream 1 und 2 zeigt, können Kampfschwimmer erhebliche Zerstörungen verursachen. Dabei ist diese Waffengattung uralt. Hiervon zeugen unter anderem assyrische Reliefs mit tauchenden Soldaten aus der Zeit um 885 v. Chr. und Berichte über die athenische Belagerung von Syrakus im Jahre 414 v. Chr. Damals sägten einige Athener die angespitzten Pfähle unter Wasser ab, mit denen die Flotte der Angreifer aufgehalten werden sollte.

Ihre ganz große Stunde erlebten die „Froschmänner“ jedoch erst im 20. Jahrhundert, wobei deutsche Kampfschwimmer vor allen anderen Erfolg hatten: Am 17. August 1915 befestigten drei Angehörige des Königlich-Preußischen Pommerschen Pionierbataillons Nr. 2 unter Vizefeldwebel Schäffer Sprengladungen am Rumpf eines russischen Wachschiffes auf der Memel bei Kaunas, deren Explosion dafür sorgte, daß das Schiff auf Grund lief. Ein noch größerer Paukenschlag war freilich die Versenkung des österreich-ungarischen Schlachtschiffes „Viribus Unitis“ am 1. November 1918 durch die italienischen Kampfschwimmer Raffaele Rossetti und Raffaele Paolucci. Das Duo verwendete einen umgebauten Torpedo vom Typ B 57 Mignatta, der dann ab 1935 zum SLC-200 Maiale weiterentwickelt wurde. Mit diesem maritimen Kleinkampfmittel eliminierten die „Torpedoreiter“ der Decima Flottiglia MAS bis zum August 1943 in den Stützpunkten von Gibraltar und Alexandria drei Einheiten der Briten und beschädigten 14 weitere schwer, darunter auch die beiden Schlachtschiffe „Valiant“ und „Queen Elizabeth“. Parallel hierzu kamen sogenannte Gamma-Männer unter Eugenio Wolk alias „Lupo“ zum Einsatz, welche ohne Maiale operierten und ab Juli 1943 weitere acht gegnerische Schiffe mit Haftminen auf Grund schickten.

Die direkten Widersacher der italienischen Kampfschwimmer waren die Angehörigen der Underwater Working Party der Royal Navy um Lionel Crabb, William Bailey und Sydney Knowles, deren Aufgabe darin bestand, den Feind von den Schiffen in Gibraltar fernzuhalten. Weil die Briten zudem schon Ende 1940 von den Zweimann-Torpedos der Decima Flottiglia MAS wußten und schließlich auch in den Besitz einiger Exemplare gelangten, bauten sie die selbigen nach. Von diesen Mark VIII Chariot wurden bis Kriegsende mindestens 80 Stück hergestellt. Im Oktober 1942 sollten zwei Chariots das deutsche Schlachtschiff „Tirpitz“ ausschalten, was aber fehlschlug. Dafür gelang später die Versenkung der italienischen Kreuzer „Ulpio Traiano“ und „Bolzano“.

Kampfschwimmer planen 1944 Sabotage-Operationen in New York

Von den Erfahrungen der Italiener beim Einsatz von Kampfschwimmern profitierte neben den Briten auch die deutsche Seite, welche jedoch weniger auf Zweimann-Torpedos als auf Kleinst-U-Boote und die sogenannten „Meereskämpfer“ setzte. Zu den letzteren gehörten unter anderem der Tauchpionier Alfred von Wurzian und etliche Angehörige der Schwimmer-Elite des Deutschen Reiches, darunter auch mehrere Olympiateilnehmer. Die deutschen Kampfschwimmer unterstanden der Kriegsmarine, der Waffen-SS und dem Amt Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht, woraus die parallele Aufstellung einer Vielzahl unterschiedlicher Einheiten ab Mitte 1941 resultierte. Zu nennen wären hier vor allem die Meeresjäger-Abteilung, die Einsatzabteilung Heiligenhafen, die Lehrkommandos 700, 701, 702 und 704, die Marine-Einsatzkommandos MAREI, MARKO, 20, 40, 60, 65, 71, 85, 90 und Puma, die SS-Jagdkommandos Ost und Donau, die Sonderkommandos Lederstrumpf und Rübezahl, die Kampfschwimmergruppe Ost sowie die einzige mit italienischen SLC ausgerüstete deutsche Einheit namens Maiale-Gruppe Lehmann. Insgesamt konnte Deutschland etwa 450 Kampfschwimmer aufbieten.

Diese waren ab Juni 1944 insbesondere an der Sprengung von Brücken an der Ost- und Westfront sowie auf dem Balkan beteiligt. Darüber hinaus gab es Planungen für Sabotage-Unternehmen im Hafen von New York und die Zerstörung der Schleusen des Panama-Kanals beziehungsweise wichtiger Pipelines im Ärmelkanal. Außerdem lief der später spurlos vor Westafrika verschwundene Kriegsfischkutter 203 mit zwölf Tauchern an Bord im Januar 1945 zu einer Geheimmission in Richtung Persischer Golf aus.

Am 24. April 1945 versammelten sich des weiteren noch 30 Angehörige der Kampfschwimmer-Verbände im mecklenburgischen Rerik, um nach Berlin zu fliegen und die nun als unzuverlässig geltende SS-Leibwache Hitlers abzulösen, was zunächst mangels einer Landemöglichkeit mißlang und schließlich nach dem Selbstmord des „Führers“ obsolet wurde. Der letzte Einsatz deutscher „Meereskämpfer“ sollte am 11. Mai 1945 gegen die Oderbrücke in Stettin erfolgen. Vor deren Sprengung erfuhren die Männer jedoch vom Ende des Krieges. 

Noch länger als die deutschen Kampfschwimmer operierten die der Sowjetunion und der USA. In den Seestreitkräften der UdSSR gab es schon ab 1938 Taucher, welche Unterwasser-Sabotageakte verüben konnten und im Zweiten Weltkrieg rund 200 derartige Missionen durchführten. Das prominenteste Mitglied dieser sogenannten RON-Gruppen war Wiktor Leonow, ein zweifacher Held der Sowjetunion. Der nahm schließlich auch an der amphibischen Landung im japanisch besetzten Korea teil. Unter seinem Kommando wurden im August 1945 in Genzan 3.700 Soldaten des Tenno festgesetzt und entwaffnet.

Eine ähnlich spektakuläre Aktion gelang dem Underwater Demolition Team (UDT) 21 der US-Navy unter Lieutenant Commander Edward Clayton. Das betrat am 28. August 1945 als erste amerikanische Militäreinheit überhaupt die japanische Hauptinsel, wonach ein Major der kaiserlichen Küstenartillerie durch die zeremonielle Übergabe seines Schwertes an Clayton kapitulierte – zwei Tage bevor der US-Oberkommandierende, General of the Army Douglas MacArthur, auf die gleiche Weise empfangen wurde.

Das UDT 21 gehörte zu einer Truppe von mehreren tausend Kampfschwimmern, welche ab Mitte 1942 entstanden war. Hierzu gehörten neben den 34 „Unterwasser-Zerstörungsteams“ auch noch 44 Naval Combat Demolition Units (NCDU). Deren Hauptaufgabe bestand jeweils darin, amphibische Landungen vorzubereiten. Dazu erkundeten die Taucher das Operationsgebiet und beseitigten natürliche oder künstliche Hindernisse. Außerdem gab es eine Special Maritime Unit des Office of Strategic Services (OSS), dem Nachrichtendienst des US-Kriegsministeriums zugeordnet, deren „Operational Swimmers“ diverse Sabotage- und Spionageaufträge unter Wasser ausführten.

Fast jede Marine der Welt hat ihren Kampfschwimmerverband

Die UDT und NCDU nahmen unter anderem an den Landungen auf Saipan, Tinian, Guam und Iwojima teil, wofür es jedes Mal Auszeichnungen regnete: So erhielten die Angehörigen der UDTs 3 bis 7 allein schon nach der Operation gegen die Marianen im Sommer 1944 mehr als 60 Silver und über 300 Bronze Stars. Allerdings verzeichneten die US-Froschmänner bei einigen Einsätzen auch Verlustraten von bis zu 50 Prozent. Das galt beispielsweise für die ebenso riskante wie aufwendige Vorbereitung der Landung in der Normandie. Die größte UDT-Operation des Zweiten Weltkrieges war aber die Teilnahme an der Invasion auf der japanischen Insel Okinawa. Hierfür bot die US-Navy im März 1945 acht UDTs mit fast tausend Mann auf. 

Durch die japanische Kapitulation im August 1945 unterblieb der geplante Masseneinsatz von Kampfschwimmern der kaiserlichen Marine. Diese sogenannten Fukuryu (Verborgenen Drachen), welche vier Verbänden mit insgesamt 6.500 Tauchern angehörten, waren dafür ausgebildet worden, Landungsschiffe der Amerikaner aus zehn bis 15 Metern Tiefe in Kamikaze-Manier mit Sprengstofflanzen zu attackieren. Etliche der potentiellen Todeskandidaten sollten dabei in strategisch plazierten Bunkern auf dem Meeresgrund auf die Ankunft der Invasionsflotte warten. Wie lange manche Fukuryu so in der Tiefe ausharren mußten, bleibt eines der vielen ungeklärten Geheimnisse des Zweiten Weltkrieges. Auf jeden Fall aber hatte sich in dessen Verlauf gezeigt, daß „Froschmänner“ bereits mit rudimentärster Ausrüstung und geringstem logistischen Aufwand erhebliche Erfolge erzielen konnten. Deshalb stellte in der Folgezeit fast jede Marine der Welt mehr oder weniger große Kampfschwimmerverbände auf.