© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/23 / 18. August 2023

Das Böse an Bord
Kino: „Die letzte Fahrt der Demeter“ ist der x-te Versuch, der Legende von Dracula einen neuen Filmstoff abzugewinnen
Didier Desmerveilles

Ein manövrierunfähiges Schiff, die Demeter, wird an die englische Küste getrieben. Die Aufzeichnungen des Käptn’s (Liam Cunningham), die an Bord gefunden werden, lassen erahnen: An Bord muß sich Grauenhaftes zugetragen haben. 

So beginnt „Die letzte Fahrt der Demeter“, ein klassischer Gruselfilm, der geschickt Motive aus den berühmten „Dracula“-Filmen mit denen aus modernen Sciencefiction-Horrormärchen wie der „Alien“-Saga mixt. André Øvredal, der sich mit „Scary Stories to Tell in the Dark“ als Regisseur für die Schauermär qualifizierte, hat den Weltall-Horror gleichsam vom Raumschiff wieder zurückverlagert in die ganz gewöhnliche Seefahrt. Die klaustrophobische Enge an Bord, die Ferne eines rettenden Hafens und das daraus gespeiste Wissen aller Beteiligten (und des Zuschauers), daß es unmöglich ist, unter solchen Umständen einer unheimlichen Bedrohung zu entkommen, sind geblieben. Ebenso die schaurigen Spezialeffekte, die den unheimlichen Blutsauger an Bord als bizarre Kreuzung aus Friedrich Wilhelm Murnaus und Werner Herzogs „Nosferatu“, dem Horrorclown aus „Es“ nach dem gleichnamigen Roman von Stephen King und Gollum aus „Herr der Ringe“ erscheinen lassen.

Auffällig oft im Bild: ein Anhänger mit dem Kreuz Christi

Keine Weltraummission ist es also diesmal, auf der ein gefährliches Monstrum sein Unwesen treibt, sondern ein einfacher englischer Schoner, der mit kostbarer Ladung von Transsylvanien unterwegs ist nach England. Per Rückblende enthüllt der Film im Anschluß an die verstörende Eingangsszene, was vier Wochen zuvor geschah: Schon vor der Abfahrt der Demeter gab es erste mahnende Stimmen: Ein bereits angeheuerter Seemann erblickt auf einer der Kisten ein Drachensymbol und nimmt panisch Reißaus. So kommt der studierte Mediziner Clemens (Corey Hawkins), der beim Anwerben der Matrosen noch abgeblitzt war, doch noch zum Zuge. Pech für ihn. Kaum hat das Schiff nämlich abgelegt, häufen sich die Absonderlichkeiten: Sämtliche Tiere, die zur Fracht der Demeter gehören, werden eines Morgens tot aufgefunden. Wenig später gibt es keine Ratten mehr an Bord, und jeder weiß: Wenn Ratten ein Schiff verlassen, ist das kein gutes Omen. So deutet es jedenfalls Seemann Olgaren (Stefan Kapičić). Er ist sich sicher: „Böses ist an Bord, machtvolles Böses!“ Er wird bald am eigenen Leibe spüren, wie recht er damit hat. Eine erste Spur zum Urheber des Grauens, dem bald die ersten Seeleute zum Opfer fallen, ist eine total anämische blinde Passagierin (Aisling Franciosi), die in einer der Kisten an Bord geschmuggelt wurde. Sie wird zur Schlüsselfigur im Kampf der Demeter-Besatzung gegen den gierigen Blutsauger, der sie terrorisiert.

Das Logbuch des Käptn’s der Demeter ist ein Kapitel in Bram Stokers berühmter „Dracula“-Erzählung, der Mutter aller Vampirfilme. Die Autoren Bragi Schut jr. und Zak Olkewicz haben daraus das Drehbuch für diesen Streifen gewoben, der nach gängigen Marketing-Konzepten eigentlich „Dracula Rising“ hätte heißen müssen, aber der Titel ist seit 1993 bereits vergeben. Die Handlung folgt bekannten Mustern: Auf leisen Sohlen nähert sich der Tod, ehe er in immer kürzeren Abständen immer grausamer zuschlägt. Ist das Unheil eine Strafe Gottes für die Sünden der Seeleute, wie einer von ihnen in „Moby Dick“-Manier mahnt? Auffällig oft im Bild: ein Anhänger mit dem Kreuz Christi. 

Der Film, gedreht im Studio Babelsberg und auf Malta, lebt vor allem von der exquisiten Bildgestaltung, die die Höllenfahrt der Demeter auch für den Zuschauer zu einer beängstigenden Erfahrung macht. Die JF hat, da es Feuilletonisten nicht immer ganz leicht fällt, einen reinen Unterhaltungsfilm angemessen zu würdigen, zwei ausgewiesene Anhänger des Horrorgenres unter den Zuschauern zu ihrer Einschätzung befragt. Martin (56), Vater eines erwachsenen Sohnes, lobte die düstere Atmosphäre, vermißte aber so etwas wie einen Spannungsbogen und fand die Anleihen beim „Nosferatu“-Film von Murnau etwas zu „penetrant“. Trotzdem: „Sieben von zehn Sternen.“ Sohn Dominik (19) sah das ähnlich und fügte hinzu: „Die Effekte waren gut gemacht.“ Wer sich nicht gern gruselt, den dürfte allerdings gerade das abschrecken.