© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/23 / 18. August 2023

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Reines Sprechtheater zählt – jenseits von Boulevardkomödien – zwar nicht zu meinen größten künstlerischen Leidenschaften, wie aufmerksame Leser dieser kleinen Kolumne wissen. Aber für Ferdinand von Schirach lohnte sich sicher eine Ausnahme. Seit seinen beiden ersten Erzählbänden, „Verbrechen“ (2009) und „Schuld“ (2010), hat der Jurist und Schriftsteller bei mir einen Stein im Brett. Später kamen mit „Terror“ (2015) und „Gott“ (2020) großartige Theaterstücke hinzu, beide kongenial fürs Fernsehen verfilmt. In der kommenden Woche nun erscheint im Luchterhand Literaturverlag unter dem Titel „Regen. Eine Liebeserklärung“ eine neue Erzählung von ihm in Form eines Theatermonologs. Der Autor selbst wird das Stück im Rahmen einer ausgedehnten Tournee auf zahlreichen deutschen Bühnen sprechen und aufführen. Er spielt darin einen Mann, der durchnäßt aus dem Regen in eine Bar – also auf die Bühne – kommt, dort über Verbrechen und Strafen nachdenkt und „über das Großartige und das Schreckliche unserer Zeit, über die Würde des Menschen, die Einsamkeit, die Liebe, den Verlust und das Scheitern“ erzählt, wie es in einer Ankündigung heißt. Die Tour beginnt am 10. Oktober in der Berliner Philharmonie, geht dann bis zunächst Ende November und setzt sich im Januar 2024 unter anderem mit Spielstätten in Zürich, Basel und Bern fort (https://schirach.de).

Glücksfund in einer alten Bücherkiste: Wenn ein Bär in der Verlags- und Medienwelt Karriere machen will ...

Zitat-Fundstück der Woche, das ich meinem Facebook-Freund Rainer G. zu verdanken habe. Es stammt von Hannah Arendt aus ihrem 1953 erschienenen Aufsatz „Ideologie und Terror“: „Je weniger die modernen Massen in dieser Welt noch wirklich zu Hause sein können, desto geneigter werden sie sich zeigen, sich in ein Narrenparadies oder eine Narrenhölle abkommandieren zu lassen, in der alles gekannt, erklärt und von übermenschlichen Gesetzen im vorhinein bestimmt ist.“ Ähnlichkeiten mit heutigen Zuständen liegen selbstverständlich rein subjektiv im Auge des Betrachters.


Glücksfund in einer alten heimischen Bücherkiste: „Ein Bär will nach oben“ des US-Autors William Kotzwinkle. Obschon vor einem Vierteljahrhundert erschienen, hat der satirische Roman nichts von seiner grandiosen Idee, seinem Geist und vor allem Witz verloren. Es geht darin um einen Bären, der sich ankleidet und mit dem gefundenen Manuskript eines Literaturprofessors unterm Arm in der Menschenwelt Karriere machen will. Seine Geschäftspartner aus der glitzernden Verlags- und Medienbranche sehen in ihm jedoch trotz seiner Wortkargheit nie den zottigen Bären, sondern einen grobschlächtigen kauzigen Naturburschen, der perfekt medientauglich ist, womöglich ein neuer Hemingway. Leseempfehlung! 

William Kotzwinkle: Ein Bär will nach oben. Roman. Rowohlt Taschenbuch, Hamburg 1998, 272 Seiten, 10 Euro