Wenn alle gesellschaftlichen Konflikte ökonomisch bedingt sind, wäre der Klassenkampf zwecks Herstellung gerechter Lebensverhältnisse das vornehmste Gebot für soziale Bewegungen und linke Parteien. Die sich heute jedoch darauf beschränken, aus marxistischer Sicht marginale Nebenwidersprüche kapitalistischer Gesellschaften zu skandalisieren, sofern sie sich in „Diskriminierungen“ nach Geschlecht, Sexualität und Hautfarbe ausdrücken. Daher bilde deren im Klassengegensatz wurzelnder „Hauptwiderspruch“ keinen Gegenstand politischer Auseinandersetzungen mehr. Trotzdem sei die „soziale Frage“ nicht verschwunden, sondern kehre in Gestalt einer lauter werdenden Debatte zum Thema „Klassismus“ zurück. Der Begriff meint den von höheren sozialen Klassen geführten Kampf gegen untere Mittelschicht, Arbeiter und Arme. Der finde in unserer Gesellschaft weiter mit Härte statt, wie Eberhard Pausch (Evangelische Akademie Frankfurt) am Beispiel Bildung illustriert. Trotz des schon in den 1960er Jahren eingeführten Bafög würden Kinder aus Arbeiterfamilien nach wie vor benachteiligt. Von 100 Kindern aus solchen Familien beginnen nur 21 ein Studium, von denen acht Prozent mit dem Master und lediglich ein Prozent mit dem Doktor abschließen. Noch höher sind die sozialen Barrieren in der Wirtschaft, wo 80 Prozent der Vorstandsvorsitzenden aus der Oberschicht stammen. Ebenso reproduziere sich die kirchliche Elite zumeist selbst: „Menschen mit einfacher Schulbildung“ spielen in den vom alten und vom neuen „grünen“ Bürgertum dominierten Synoden der evangelischen Kirche keine Rolle (zeitzeichen, 5/2023).