Schon die Aussaat war durch Kälte und Regen erschwert. Ab Mitte Mai war es dann trocken und heiß, ab Ende Juli verregnet, sonnenarm und kühl. Die Getreidebauern mußten eine wetterbedingte Pause einlegen. Wenigstens verspricht der Hundertjährige Bauernkalender für den restlichen August schönes Wetter, wenn auch mit einigen Turbulenzen, wenn Wärme und Kälte zusammenprallen. Zumindest seit vergangenem Wochenende erfüllt sich diese Vorhersage.
Für die deutschen Bauern bedeutet es, den Sonnenschein zu nutzen, um Weizen und Roggen zu dreschen. Davon wurde bisher nach Angaben des Deutschen Bauernverbandes (DBV) erst ein Fünftel gedroschen. Auch der Winterraps steht noch auf rund der Hälfte der Anbaufläche. Aktuell hält der DBV seine bisherige Ernteprognose aufrecht, in der beim Getreide mit knapp 42 Millionen Tonnen ein leicht unterdurchschnittliches und beim Raps mit 4,1 Millionen Tonnen ein Ergebnis auf Vorjahresniveau erwartet wird.
Ernteverluste gehören zum Alltag der Landwirte. Die bayerische Getreideernte gleiche einem Glücksspiel, hieß es beispielsweise im August 2014 bei Agrarheute. Einen Monat später das große Aufatmen: „Gute Ernteerträge trotz wildem Wettermix“. 2015 bremst feucht-kühles Wetter die Ernte der Wintergerste. Das Sommerwetter 2016 war „alles andere als ideal“ für die Getreideernte.
Für Mecklenburg-Vorpommern wurden in diesem Jahr wegen der „feuchten Witterung bereits Parallelen zum Regensommer 2011“ gezogen und vor einem „neuerlichen Ernte-Fiasko“ gewarnt. Die Mähdrescher wurden durch Regen 2014 wie auch 2021 „ausgebremst“. Denn auch vor zwei Jahren war der Regen anhaltend und der Sommer kühl. Ein Verbandssprecher der sächsischen Bauern sprach von einer „Katastrophe“ – 23 Prozent weniger Roggen gegenüber 2020, 14 Prozent weniger Sommergerste und sieben Prozent beim Raps.
Die letzte Jubelmeldung stammt vom 3. August 2013: „Getreideernte profitiert von idealen Wetterbedingungen“. Als Katastrophenjahr schlechthin gilt 2018, als die durch die Wetterkapriolen entstandenen Schäden bei den Ernten auf rund 2,5 Milliarden Euro geschätzt wurden. Die Situation für viele Höfe war so angespannt, daß sich der Bund genötigt sah, 340 Millionen Euro bereitzustellen, um Landwirten, die ihre Felderträge nicht gegen Dürreschäden versichert hatten, die Existenz zu sichern. Sind 72 Prozent der Ackerfläche gegen Hagel versichert, so sind es gegen Gefahren wie Auswinterung, Überschwemmung und Trockenheit lediglich 0,5 Prozent – es ist einfach zu teuer.
Öko-Fußabdrücke, planetarische Grenzen und globale Spannungen
Die Erträge bei der längst abgeernteten Wintergerste und bei Winterweizen sind höher ausgefallen als erwartet. Das bestätigt Peter Doleschel, Leiter des Instituts für Pflanzenbau an der bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL). Und der Regen, der dem Getreide schadet und beispielsweise in Teilen von Nordrhein-Westfalen zum Ausbreiten von Pilzkrankheiten geführt hat, sei dagegen für Mais, Kartoffeln, Zuckerrüben und das Grünland gut gewesen, erklärt Anton Huber vom Bayerischen Bauernverband (BBV).
Durchmischt sind die Erwartungen an die Obsternte. In der Pfalz konnten zu Beginn der Apfelernte die Früchte durch den Regen noch einmal wachsen und auch der Boden konnte sich mit Wasser vollsaugen. Ernteausfälle gab es dagegen bei Pflaumen. In der Rhein-Neckar-Region rechnen die Obstbauern vor allem bei Beeren und Steinobst mit Pilzbefall und durch den hohen Zuckergehalt aufplatzenden Früchten. Die Winzer zwischen der Pfalz und Sachsen wiederum hoffen auf eine gute Lese: Der Regen kam zur richtigen Zeit, ebenso wie Wärme und Sonnenschein.
Helfer werden nicht nur bei der anstehenden Lese gesucht, eine besondere Einladung ist an Landwirtschaftsminister Cem Özdemir gegangen. Peter Guhl, Vorstandsmitglied der Freien Bauern, hat den grünen Bundespolitiker zum Ernteeinsatz auf seinen Hof in Vorderhaben in der mecklenburgischen Elbtalaue eingeladen, um beim Dreschen von 140 Hektar Weizen zu helfen. Özdemir könne anschließend mit zwei Anhängern losfahren, um eine Mühle zu suchen, die ihm die Ladung als Brotgetreide abnimmt, so Guhl. Durch den ununterbrochenen Regen seien die Körner in ihrer Keimentwicklung vielerorts weit fortgeschritten. Das sei zwar ärgerlich, weil Futterweizen schlechter bezahlt wird als Brotweizen, aber auch nicht dramatisch, „weil wir über den Futtertrog immer noch wertvolle Lebensmittel produzieren können“.
Doch der erklärte Vegetarier Özdemir will die deutschen Tierbestände reduzieren – dann müßte dieses Getreide wohl entsorgt werden. Auch wenn ein Teil der Getreideernte mangels Backqualität als Futtergetreide vermarktet werden muß, werde es keine Engpässe bei der Versorgung mit Mehl und Backwaren geben, betont BBV-Getreide-Referent Huber: „Getreidehandel ist global.“ Und das ist künftig von Vorteil: Nicht nur die Ampel-Regierung, auch die EU will aus Klima- und Umweltgründen die Agrarfläche künstlich reduzieren.
Der 2019 vorgestellte „Green Deal“ von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihres Klima-Vizes Frans Timmermans verlangt auf eine „Renaturierung“ riesiger Flächen. „Wir müssen den ökologischen Fußabdruck unserer landwirtschaftlichen Systeme innerhalb und außerhalb der EU halbieren, um die planetarischen Grenzen nicht zu überfordern“, glaubt auch der litauische EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius. Daher sollen in der EU bis 2030 mindestens 20 Prozent ihrer Land- und Wasserflächen „renaturiert“ werden: Weideflächen sollen wieder aufgeforstet und ehemalige Moore neu vernäßt werden. Das EU-Parlament hat mit knapper Mehrheit im Juli der EU-Verordnung über die Wiederherstellung der Natur (NRL) zugestimmt (JF 30/23).
Und Özdemir hat angekündigt, vier Prozent der deutschen Agrarfläche stillzulegen. In Afrika, Amerika, Asien und Australien wird wohl nicht geschehen. Und David Laborde von der UN-Ernährungsorganisation (FAO) hofft sogar auf ein Umdenken in Brüssel: Die Ökologisierung der EU-Landwirtschaft sei zwar wichtig, aber „je weniger Europa produziert, desto weniger wird es exportieren und desto mehr wird es auf den Weltmärkten nachfragen. Das kann zu Spannungen führen“, warnt der Koordinator des SOFI-Berichts zur globalen Lebensmittelsicherheit.
SOFI-Bericht „The State of Food Security and Nutrition in the World 2023“:
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