© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/23 / 18. August 2023

Konjunktur bei Kopfgeldjägern
Finanzaufsicht: Diverse US-Behörden zahlen Milliarden an zehntausende Hinweisgeber
Thomas Kirchner

Judas bekam 30 Silberlinge. Franz Raffl kassierte 1.500 Gulden für den Verrat des Freiheitskämpfers Andreas Hofer. Für Saddam Husseins Aufenthaltsort und den seiner beiden Söhne sollen je 30 Millionen Dollar geflossen sein. Aber auch der Fiskus ist nicht knausrig. Im Mai gab es eine neue Rekordbelohnung: 279 Millionen Dollar zahlte die US-Wertpapieraufsicht Securities and Exchange Commission (SEC) für „Hinweise“, die zu drei Strafzahlungen führten. Bis Oktober 2020 lag der Rekord bei 114 Millionen Dollar. Einzelheiten zu Empfängern und aufgedeckten Taten bleiben vertraulich. Angesichts dessen sind die einstelligen Euro-Millionen, die deutsche Bundesländer seit 2006 für „Steuersünder-CDs“ bezahlten, „Peanuts“.

Die erste Whistleblower-Richtlinie der EU (2019/193) wurde vor vier Jahren beschlossen. Das davon abgeleitete deutsche Hinweisgeberschutzgesetz trat im Juli in Kraft. Für Kleinbetriebe ab 50 Mitarbeitern gilt es ab Dezember. Dafür müssen „interne Meldekanäle“ eingerichtet werden. Externe „Meldestellen“ gibt es bislang bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und beim Bundeskartellamt. Künftig hat auch das Bundesamt für Justiz „Ohren“ – für „Mißstände“ jenseits von Steuer- und Wettbewerbsverstößen. Doch auf einen „Whistleblower Award“ in dreistelliger Millionenhöhe à la SEC können deutsche „Hinweisgeber“ nicht hoffen.

Privatisierung der Strafverfolgung hat eine lange Tradition in Amerika

Ihre Whistleblower-Abteilung unterhält die SEC seit 2011. Eingerichtet wurde sie, weil sich herausstellte, daß die Behörde jahrelang mehrfach Hinweise auf den Milliardenbetrug von Bernie Madoff erhalten hatte, aber niemand die Brisanz der Tips erfaßt hatte. In den ersten sieben Jahren wurden über 26.000 Tips eingereicht, 2022 waren es schon 12.000. Strafzahlungen daraus summieren sich bisher auf 6,3 Milliarden Dollar. Eine Milliarde davon wurde als Belohnung an über 100 Personen ausgezahlt. Einige wenige besonders hohe Beträge verzerren aber die Statistik, denn 75 Prozent der gezahlten Belohnungen liegen unter fünf Millionen Dollar.

Grundsätzlich betragen Belohnungen zwischen zehn und 30 Prozent der verhängten Strafen. Je höher der Betrag, desto geringer der Prozentsatz. Bei Strafen unter einer Million wird keine Belohnung ausgezahlt, was zur Folge hat, daß die SEC auch bei geringen Vergehen hohe Strafen ausstellt, um eine Belohnung vergeben zu können. Was von den Strafen nicht als Belohnung ausgezahlt wird, kommt in einen Entschädigungsfonds für geprellte Anleger. Aber die Mühlen der SEC brauchen Jahre bis zu einer Strafe, und dann nochmals Jahre bis zur Zahlung der Belohnung. Für Rohstoffmärkte und Derivate unterhält die US-Regulierungsbehörde CFTC ein ähnliches Programm, das bisher 330 Millionen Dollar ausgezahlt hat.

Die Privatisierung der Strafverfolgung hat eine lange Tradition in den USA. Kopfgeldjäger gibt es heute noch, allerdings nicht mehr als Revolverhelden, sondern als behördlich überwachte Branche. Sie jagen Straftäter, die gegen Kaution freikommen und dann untertauchen. Als Belohnung winkt ein Anteil an der Kaution. 1863 wurde dann ein Gesetz verabschiedet, (False Claims Act), das es Bürgern erlaubt, einen Betrüger im Namen des Staates zu verklagen. Das ursprüngliche Ziel war, kriminelle Machenschaften bei der Ausrüstungsbeschaffung während des Amerikanischen Bürgerkriegs aufzudecken. Das Kopfgeld ist hier eine Beteiligung am Schadensersatz.

Das Gesetz besteht bis heute, es wurde 1986 wieder verschärft und zuletzt 2010 auf die staatliche Krankenversicherung (Medicare) zugeschnitten. Datenanalysten kassieren dabei Kopfgelder von 15 bis 25 Prozent für die Aufdeckung betrügerischer Abrechnungen. Ärzte sollen bis zu 60 Milliarden Dollar jährlich betrügerisch abrechnen. Enttarnt wurden so Radiologen in Florida, die Gesunde gegen 50 Dollar bar auf die Hand röntgten und dann bei Mediacare abrechneten. Die Daten zeigten, daß verdächtig wenige Patienten über das Röntgen hinausgehende Kosten verursachten. Sogar eine Prüfung gibt es für die privaten Betrugsjäger (Certified Fraud Examiner).

Lief der Bostoner Portfolio-Manager Harry Makropoulos mit seiner 29seitigen Analyse des Madoff-Betrugs bei der SEC von 2002 bis 2008 noch gegen die Wand, gehen die „Hinweise“ heute online ein. Angesichts ihrer großen Zahl dürften wohl nur solche bearbeitet werden, die konkrete Einzelheiten enthalten. Makropoulos hat seine Erfahrungen in einem Buch zusammengefaßt, das an der SEC kein gutes Haar läßt. Zudem müssen die SEC-Hinweis-Vorschriften penibel eingehalten werden, sonst darf die Belohnung nicht ausgezahlt werden.

Die Whistleblower sind meist Insider von Banken und Firmen

Die Whistleblower sind meist Insider, die manchmal selbst in die illegalen Aktivitäten verstrickt sind. Hier kann eine Immunität ausgehandelt werden, aber ohne Anwalt ist das illusorisch. Auch wer anonym bleiben will, kann das nur, wenn ein Anwalt eingeschaltet ist. Doch erfahrene US-Anwälte verlangen 1.000 Dollar pro Stunde oder mehr. Ein Honorar auf Erfolgsbasis ist daher gängig: Ein Drittel der Summe im Erfolgsfall ist dabei üblich. Gibt es keine Belohnung, fallen keine Kosten für den Tipgeber an. Die Auszahlung der Belohnung muß separat beantragt werden. Auch zur Wahrung dieser Fristen ist juristischer Beistand unverzichtbar.

Sogar Mitarbeiter deutscher Firmen können potentielle „Whistleblower“ werden: bei Unternehmen mit US-Börsennotierung sowieso, aber auch Firmen, die Anleihen begeben haben oder aus anderen Gründen Berichtspflichten an die SEC haben. Straftaten wie Bestechung ausländischer Beamter oder Politiker und Umgehung von Sanktionen fallen unter die Zuständigkeit der SEC, weil Firmen in ihren Berichten üblicherweise bestreiten, dies zu praktizieren und damit Anleger in die Irre führen. Manipulation von Märkten (etwa der Libor-Skandal 2011 in London) ist ebenfalls betroffen, auch wenn die Aktivitäten komplett außerhalb der USA stattfanden. Zehn Prozent der Tips kamen von außerhalb der USA, zwischen 2011 und 2018 aus insgesamt 114 Ländern. 2014 ging eine Belohnung von 30 Millionen Dollar an einen Nicht-Amerikaner. Ob auch schon ein Deutscher etwas bekommen hat, ist nicht bekannt. Die meisten „Whistleblower-Tips“ erhielt die SEC aus Großbritannien, Kanada, China, Australien und Indien.

„Whistleblower Award“ der SEC:  www.sec.gov