Es ist eine Absage, die das BRICS-Treffen in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt hat. Rußlands Präsident wird wegen eines vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ausgestellten Haftbefehls nicht nach Südafrika reisen. Das erspart Pretoria die Peinlichkeit, als Unterzeichnerstaat Wladimir Putin bei seiner Einreise verhaften zu müssen.
Aber das ist nur eine Episode am Rande, angesichts der Dimension dessen, was sich auf dem vom 22. bis 24. August stattfindenden Gipfeltreffen anbahnen könnte. Es geht in Johannesburg nicht nur um die Aufnahme neuer Mitglieder, sondern auch um die Einführung einer eigenen Währung, mit der die Hegemonie des US-Dollars gebrochen werden soll. Die neue Währung soll nach Angaben des staatlichen russischen Senders RT durch Gold gedeckt werden.
Indien und Brasilien im Clinch mit China
Die fünf Buchstaben des Kunstwortes BRICS stehen für Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika. Der 2009 gegründete lose Zusammenschluß galt lange als ein Zweckbündnis von Staaten, die mit der von den USA dominierten Weltordnung unzufrieden waren und vom Westen kaum beachtet wurden. Zu unterschiedlich schienen geographische Lage, Größe, Staatsformen, Interessen und Wirtschaftskraft – allein China erwirtschaftet 70 Prozent des Bruttosozialprodukts der BRICS-Staaten.
Das hat sich inzwischen geändert. Nicht nur, weil mit China und Indien zwei der fünf größten Volkswirtschaften der Welt Mitglied sind, sondern weil sich afrikanische Staaten zunehmend für dieses Bündnis interessieren. Die beiden größten Volkswirtschaften Afrikas, Nigeria und Ägypten – beide mit einem BIP von jeweils fast 477 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022, – wollen ebenso dem südafrikanischen Vorbild folgen wie Algerien als wirtschaftlich stärkstes Land Nordafrikas.
Weltweit haben Staaten signalisiert, BRICS beitreten zu wollen, 23 haben bereits die Mitgliedschaft beantragt. Darunter Argentinien, Bolivien, Saudi-Arabien, Iran, Indonesien, Thailand, Senegal, Venezuela, die Vereinigten Arabischen Emirate, sogar die Türkei. Interesse zeigen auch Afghanistan, Weißrußland, Bangladesch, Kasachstan, Kuba, Mexiko und andere. Diese Länder hoffen, daß ein stärkeres BRICS-Bündnis „zu mehr Fairneß und Gerechtigkeit der internationalen Ordnung“ beitrage, so Lan Qingxin, Direktor des Zentrums für BRICS-Studien an der University of International Busineß and Economics in Peking, gegenüber der Global Times.
Allerdings bremsen nach Angaben des US-Wirtschaftsnachrichtendienstes Bloomberg Indien und Brasilien die von China gewünschte schnelle
Erweiterung. Gustavo de Carvalho vom South African Institute of International Affairs (SAIIA) in Johannesburg rechnet aktuell damit, daß, „wenn überhaupt, nur ein oder zwei neue Länder“ beitreten.
Wichtigster Tagesordnungspunkt des Treffens ist die weitere Verdrängung des US-Dollars als Weltwährung durch die Schaffung einer eigenen Handelswährung. Erreichte das US-Zahlungsmittel 1977 einen Spitzenwert von 85 Prozent als Leitwährung bei Devisenreserven, liegt sein Anteil derzeit bei etwa 58 Prozent. Das hängt auch mit den gegen 22 Länder verhängten US-Wirtschaftssanktionen zusammen, weil die betroffenen Staaten nach
alternativen Währungen suchen mußten.
Monica Hirst, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Nationalen Institut für Wissenschafts- und Technikforschung in Brasilien, und Juan Gabriel Tokatlian, Prorektor an der Universität Di Tella Buenos Aires, verweisen auf Forderungen des globalen Südens, „die Weltordnungspolitik durch Reformen inklusiver zu gestalten, die Dominanz des Dollars im internationalen Handel und Finanzwesen in Frage zu stellen und geopolitische Weltanschauungen, die den sicherheitsorientierten Methoden und der militärischen Eskalation Vorschub leisten, zu verurteilen“.
Brasiliens Präsident Lula da Silva ist es, der die Debatte über die Vorherrschaft des Westens in der Weltordnung neu entfacht hat und sich für ein vom Dollar unabhängiges Handelssystem einsetzt. Basis dafür ist die 2015 nach dem Vorbild der Weltbank in Schanghai gegründete New Development Bank (NDB), die multilaterale Bank der BRICS-Staaten.
Es bleibt fraglich, ob ein gemeinsamer Gegner ausreicht
Entscheidend für das wachsende Interesse an dem Zusammenschluß sei „der rasante wirtschaftliche Aufschwung“, konstatiert Herbert Wulf, Fellow am Bonn International Center for Conflict Studies (BICC), in einem Beitrag für das Journal für Internationale Politik und Gesellschaft: „Während der Anteil am Weltbruttosozialprodukt der G7-Länder – der „liberalen Welt“ (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und USA) – von rund 50 Prozent Anfang der 1980er Jahre auf heute 30 Prozent gesunken ist, erlebten die BRICS-Länder eine umgekehrte Entwicklung: Ihr Anteil am globalen Bruttosozialprodukt stieg in der gleichen Periode von gut zehn Prozent auf 31.5 Prozent 2022.“
Die Zukunft des Systems BRICS ist dennoch ungewiß. 40 Mitgliedsstaaten auf verschiedenen Kontinenten, die auch untereinander Konflikte haben, wären einzig in ihrer Ablehnung der westlichen Dominanz geeint.
Parallel zum Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der BRICS-Staaten werden der „BRICS-Plus-Dialog“ und der „BRICS-Africa-Outreach“ stattfinden. Bislang haben 34 Staaten ihre Teilnahme zugesagt. Auch Präsident Putin wird beim Südafrika-Gipfel dabei sein, per Videoschalte.