Die Narben werden bleiben. Wenn Gie von den „Demütigungen“ spricht, die ihr widerfahren sind, dann wird ihre Stimme zittrig und sie muß immer wieder innerlich mit sich ringen, nicht in Tränen auszubrechen, wie sie sagt. Es war vor zwei Jahren geschehen. Die 24 Jahre alte Muslimin hatte den Mann ihres Lebens getroffen. „Er ist zwei Jahre älter als ich und ich wußte, daß er der Richtige für mich ist“, erinnert sie sich an jenen Moment zurück, als sie ihre große Liebe auf einer Feier in einem Dorf in der Provinz Aceh in Indonesien kennenlernt.
Eine in Aceh verbotene Liebe. Denn ihre Familie hat andere Pläne. Gie soll einen zwanzig Jahre älteren Mann heiraten. Und in Aceh gilt die Scharia, die Region gilt im bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Welt als Hochburg der Islamisten. „Was sollte ich tun? Mein Verstand sagte mir, füge dich dem Wunsch deiner Familie und du wirst gut versorgt sein. Aber mein Herz sagte mir etwas anderes.“
Etwas, das für Gie mit hohen Risiken
behaftet ist. Sie verabredet sich mit ihrer großen Liebe. Einem ersten heimlichen Treffen folgen weitere. Mehrere Monate geht das so. Bis sie sich einer Cousine anvertraute und ihr ihren innerlichen Zwiespalt beichtete. „Ein großer Fehler“, weiß sie heute. „Ich hatte ihr erzählt, daß wir uns bereits geküßt hatten.“ Für die Cousine, tiefgläubige Muslimin, ein Frevel. „Eigentlich hatte ich ein besonders vertrauensvolles Verhältnis zu ihr. Wie fanatisch ihr Eifer für den Islamismus ist, wurde mir erst da klar.“ Die Cousine redet, die heimliche Romanze fliegt auf.
Scharia-Gesetzgebung schreckt zahlreiche Touristen ab
Mit dramatischen Folgen. „Uneheliche Küsse reichen bereits unter der Scharia in Aceh, um hart bestraft zu werden“, erklärt Gie. Schon Händchen halten werde sanktioniert. „Die Scharia-Polizei fährt überall in Aceh Streife. Kommen sich
Unverheiratete nur zu nahe, weist sie die Leute an,
auseinanderzugehen und Abstand zu halten. Kommt man sich ein zweites Mal zu nah, droht bereits die Verhaftung“, erzählt die Frau.
Rückzugsmöglichkeiten gebe es nicht. Die Scharia-Polizei sei mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet. „Sie kann Hotels stürmen lassen, wenn sie glaubt, daß sich dort uneheliche Paare aufhalten. Sie zerrt Frauen aus den Restaurants, wenn sie das Gefühl hat, zu vertrauliche Gesten oder Blicke wahrgenommen zu haben.“
Auch Gie wird verhaftet. Das Urteil: 25 Stockhiebe. Für ihren Geliebten sind es zehn Hiebe. „Die Frau wird in der Regel härter bestraft als der Mann“, schildert sie. Ausgeführt werden die Hiebe von einem Scharfrichter, dessen Haupt ähnlich wie im europäischen Mittelalter vollkommen verhüllt ist. Die Bestrafung ist öffentlich. Hunderte kommen, halten die Hiebe auf ihren Handy-Kameras fest. Es ist ein Event der besonders makabren Art. Eines, das in Aceh jedoch Alltag ist.
Die Waffe: ein Bambusstock, dessen Schlagwucht die Haut aufplatzen läßt. „Es ist sehr schmerzhaft. Man wird wahnsinnig vor Schmerzen“, sagt Gie. Sie weiß nicht mehr genau, nach wie vielen Schlägen es geschehen war, daß ihr schwarz vor Augen wurde. Dann sei sie in Ohnmacht gefallen.
„Manchmal träume ich noch davon. Dann wache ich nachts schweißgebadet auf, habe Panikattacken.“ Die seelische Ohnmacht hält bei Gie an. Bis heute. Die Erinnerungen an das Martyrium wollen nicht weichen. Die sensationslüsternen Blicke der Zuschauer. Die öffentliche Demütigung, die einen Menschen seelisch zerbreche, wie sie sagt.
Gie hat Aceh verlassen. Ihre Freunde. Ihre Familie. Alles. Heute lebt sie weit weg von der Provinz Aceh. In Denpasar, auf der Touristeninsel Bali, im Westen Indonesiens. Die Mehrheit der Bevölkerung sind hier Hindus. Auch viele Christen leben hier, die Muslime sind gemäßigter. „Noch jedenfalls“, meint Gie. Denn Indonesien durchläuft schon seit einigen Jahren einen religiösen Wandlungsprozess. Der Islam werde radikaler, Andersgläubige sehen sich zunehmend unter Druck gesetzt.
Gemeinsam mit Gie besucht die JUNGE FREIHEIT einen Ort auf der Insel, der wie ein Mahnmal dafür wirkt, daß der Arm des Islamismus lange schon auch bis nach Bali reicht. Es ist die Gedenkstätte für die Opfer des Bombenanschlags vom 12. Oktober 2002. Die Namen der 202 Opfer von damals sind auf einer Gedenktafel eingraviert. Auch sechs Deutsche sind darunter. Menschen, die hier, mitten auf der Partymeile von Kuta, eigentlich nur ihren Urlaub genießen wollten. „Islamisten bevorzugen solche Orte. Für sie sind das Orte der Sünde von Ungläubigen“, sagt Gie.
Sie steht vor dem Gedenkstein, hat die Augen geschlossen, betet. Ein Moment des Innehaltens, des Hoffens auf bessere Zeiten. Gegenwärtig droht jedoch eher das Gegenteil. Ein neues Gesetz soll kommen, das die gemeinsame Übernachtung unehelicher Paare unter Strafe stellt. Auch in Bali. Gie kennt das nur zu gut aus ihrer Zeit in Aceh. „Das ist der erste Einstieg in eine landesweite Scharia“, befürchtet sie. Die Folge: Nicht verheirateten Paaren könnte ein Gefängnisaufenthalt blühen, sollten sie noch nicht in den Hafen der Ehe eingelaufen sein.
Auch bei zahlreichen Touristen hat das geplante Gesetz für Verunsicherung gesorgt. „Wenn das kommt, werden wir künftig nicht mehr nach Bali reisen“, meint ein 28 Jahre alter Deutscher, den die JF am Strand von Seminyak trifft, einer beliebten Urlaubsdestination. Gerade läuft dort eine der zahlreichen Feuershows. Exotische Küche, die untergehende Abendsonne, dazu die Kunststücke der Feuerschlucker bei balinesischer Musik. Für das Paar ein Traum, auf den es aber verzichten will, sollte das neue Gesetz kommen. „Ich riskiere hier nicht, in den Knast zu kommen“, sagt seine Freundin.
Angesichts von Irritation rudert die Regierung etwas zurück
Angesichts der Irritationen unter Touristen rudert die indonesische Regierung ein wenig zurück. Das Gesetz soll jetzt erst in drei Jahren in Kraft treten. Zudem würde ein Verstoß nur im Falle einer Anzeige von Familienangehörigen verfolgt. „Damit will man die Touristen aus der Sache raushalten, weil die Wirtschaft auf deren Geld angewiesen ist. Aber was ist mit uns Einheimischen?“, fragt sich Gie.
„Als Deutscher bin ich genauso betroffen“, sagt Thorsten, ein 46 Jahre alter Versicherungsangestellter aus Essen, der schon seit Jahren seinen Urlaub regelmäßig auf Bali verbringt und mit einer muslimischen Indonesierin liiert ist. „Wenn da mal irgendwann jemand aus ihrer Familie sauer auf mich sein sollte oder unsere uneheliche Beziehung als Sünde ansieht, könnte ich ganz schnell dran sein“, gibt er zu bedenken.
Gie hingegen hat nach all der Peinigung auf Bali ihren Frieden gefunden. Im kommenden Jahr wird sie ihre große Liebe aus Aceh heiraten. Das neue Gesetz muß sie dann zumindest nicht mehr fürchten.