© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/23 / 18. August 2023

Man wird ja wohl noch warnen dürfen
Verfassungsschutz und AfD: Behördenchef Haldenwang ist im Alarm-Modus / Kritiker werfen ihm vor, er überschreite seine Kompetenzen
Christian Vollradt

Wer meint, der Chef einer Bundesoberbehörde müsse in erster Linie als akribischer Aktenfresser am Schreibtisch sitzen, den belehrt Thomas Haldenwang eines besseren. Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) war in jüngster Zeit erstaunlich oft in den Medien vertreten, um quasi in Echtzeit einzelne Wahlen und Personalentscheidungen der AfD zu kommentieren. Das auf Druck der Partei sich dann selbst auferlegte Schweigegebot galt nur für die restliche Dauer der AfD-Europaversammlung (JF 32/23).

Der Verfassungsschutz führt die Partei mittlerweile als rechtsextremen Verdachtsfall. Die AfD geht gegen diese Einstufung juristisch in mehreren Verfahren vor, Ausgang offen. Bemerkenswerter als das ist, wie offensiv der Behördenchef selbst in die Bütt steigt, um vor der Partei öffentlich zu warnen. Das unterscheidet ihn von früheren BfV-Präsidenten, die es als vorrangige Aufgabe des Amtes sahen, Informationen über einschlägig als verfassungsfeindlich verdächtige Organisationen zu sammeln und darüber einmal pro Jahr die Öffentlichkeit in einem Bericht zu informieren.

Haldenwang argumentiert anders. „Unser Auftrag ist es, Bestrebungen zu beobachten, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Und nicht nur zu beobachten, sondern auch die Öffentlichkeit darüber zu informieren“, rechtfertigte er sich kürzlich gegen Kritik im Innenausschuß des Bundestags. „Das steht so im Gesetz, das können Sie nachlesen.“ Und wenn er als Präsident über solche Bestrebungen berichte, dann gehöre am Ende die Wertung dazu, „daß er sagt: ‘Und deshalb, liebe Wählerinnen und Wähler, empfehle ich Euch bei Eurer Wahl, guckt genau hin, wen oder was Ihr da wählt!’“. Er erzähle über verfassungsfeindliche Bestrebungen nicht, „damit man sich das einrahmt und an die Wand hängt, sondern damit Wähler das bei ihrer Entscheidung berücksichtigen“.

Aus der juristischen Fachwelt kommen Zustimmung und Kritik für dieses Amtsverständnis. Vor einer Gefahr für die Demokratie zu warnen sei nun mal seine Aufgabe, zitiert die Süddeutsche Zeitung etwa den Staatsrechtler Matthias Bäcker von der Universität Mainz. Deutlicher Widerspruch kommt vom Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau: „Juristisch grober Unfug“ sei „die Rechtsmeinung, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz sei nicht nur berechtigt, sondern am Ende gar gehalten, beispielsweise laufende Parteitage zu kommentieren“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. Diese Aufgabe obliege „im demokratischen Verfassungsstaat den freien Medien, die einerseits Privatautonomie genießen und Grundrechtsträger sind, andererseits aber auch ein wirtschaftliches Risiko tragen“.

„Gebot parteipolitscher Neutralität der Behörden“

Freilich habe der Verfassungsschutz auch die Öffentlichkeit zu informieren. „Dies geschieht aber in Gestalt der jährlichen Verfassungsschutzberichte, die, sobald sie eben vorliegen, jeder Bürger lesen und die jedes Medium zitieren kann.“ Daß der Verfassungsschutz durch den Verfassungsschutzbericht spreche „und nicht durch quasi-journalistische Spontaneinwürfe seines geltungssüchtigen Präsidenten, liegt schon daran, daß seinen Inhalten eine sorgfältige Sachverhaltserforschung und fundierte Abwägung durch mehrere Mitarbeiter auf verschiedenen Verwaltungsebenen zugrundeliegen sollen“, betont der habilitierte Jurist, der die AfD in Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht vertritt. Nur so, ist Vosgerau überzeugt, könne „dem Gebot der parteipolitischen Neutralität staatlicher Behörden halbwegs genügt werden“.

Auch in der AfD-Bundestagsfraktion bewertet man das Amtsverständnis Haldenwangs aus naheliegenden Gründen äußerst kritisch. Besonders stößt den Abgeordneten auf, daß der oberste Verfassungsschützer zur Begründung seines Vorgehens stets das Scheitern der Weimarer Republik hervorhebt. In der, so Haldenwang im Bundestag, sei es „einer rechtsextremistischen Partei möglich gewesen, die Demokratie mit demokratischen Mitteln auszuhebeln“. Unverhohlen stricke er damit das Narrativ, ihre Partei stehe in der Nachfolge der NSDAP, empörten sich Innenpolitiker der AfD.

Haldenwang erfülle genau die Aufgabe, weswegen sein Amtsvorgänger Hans-Georg Maaßen gehen mußte, „nämlich im Auftrag der Altparteien die politische Konkurrenz der AfD aus dem Weg zu räumen“, meint etwa deren Innenausschuß-Mitglied Christian Wirth gegenüber der jungen freiheit. Hierbei schieße er jedoch als quasi täglicher Kommentator des politischen Geschehens über das Ziel hinaus. „Das wiederum stärkt die AfD, da die Bürger ernsthaft an der Neutralität des Bundesamts und dessen Chefs zweifeln“, resümiert der Bundestagsabgeordnete.