Im Zeichen des „Klimawandels“ lieferte der bundeseigene Deutsche Wetterdienst (DWD) im Juni erwartungsgemäß die ersten Hitzewarnungen des Jahres. Und eine „gefühlte Temperatur“ von 34 Grad am Ober- und Hochrhein paßte perfekt zum neu entdeckten „Hitze-Hotspot Deutschland“ (Blätter für deutsche und internationale Politik, 7/23). Doch sechs Wochen später kam die Ernüchterung: anhaltender Dauer- und Starkregen, nächtliche Tiefstwerte von fünf bis 14 Grad und in den Alpen eine teils auf 1.700 Meter absinkende Schneefallgrenze.
Für Umweltjournalisten wie Uwe Ritzer (Süddeutsche Zeitung) sind die Hitzesommer 2018, 2019, 2020 und 2022 dennoch ein Menetekel. In diesen vier „Dürrejahren“ habe sich in Unterfranken, dessen Landschaft von jeher mit sattgrünen Hängen und prächtigen Weinbergen gesegnet sei, exemplarisch gezeigt, was demnächst überall in Bayern und in Deutschland drohe: Sonnenverbrannte Felder, vertrocknete Bäume und Weiden, Backofentemperaturen, wüstenähnliche, an Jordanien erinnernde Landstriche. Zu Kronzeugen seiner Dystopie erklärt er den bayerischen Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) und den Würzburger Geomorphologen Heiko Paeth.
Noch müsse niemand fürchten, sich nur selten waschen zu können
Während er Glauber mit der Warnung zitiert, die Bundesrepublik befinde sich auf „dem besten Weg in einen Grundwassernotstand“, läßt er Paeth mit der Prognose zu Worte kommen, daß sich im Vergleich zum Zeitraum 1970 bis 1999 zwischen 2070 und 2100 an manchen Orten die Zahl der jährlichen Hitzetage verfünffacht haben dürfte. Deshalb sei sich der Professor nicht mehr sicher, ob das an Dürren und Wassernöten ablesbare „rein physikalische Ausmaß des Klimawandels bei uns glimpflicher ablaufen wird als in der Sahelzone oder in Ostafrika“.
Wie die meisten Unheils-Propheten verknüpft Ritzer seine Botschaft mit hoffnungsfroher „Fünf-Minuten-vor-Zwölf“-Rhetorik: „Es ist spät, aber noch nicht zu spät!“ Deutschland befinde sich erst auf dem Weg in die Wasserkrise, noch müsse niemand fürchten, zu verdursten, oder sich nur sporadisch waschen zu können. Nach wie vor sei man ein Land mit verhältnismäßig viel Wasser. Aber dieses werde weniger, und das Ausmaß der Verknappung, wie es der täglich aktualisierte Dürremonitor am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Potsdam dokumentiert, nehme schneller zu, als es Experten bislang geglaubt haben. Nur wenn man sofort und konsequent reagiere, lasse sich künftig eine problemlose Wasserversorgung garantieren.
Dafür schlägt Ritzer, in Anlehnung an die seit 2018 verfolgte, für ihn leider auf Ziele im Jahr 2050 fixierte „Nationale Wasserstrategie“ der Bundesregierung, einen Zehn-Punkte-Plan mit stark ökosozialistischen Elementen vor. Dessen Kerngedanke ist der „klare Vorrang“ öffentlicher Versorgung vor privatwirtschaftlichen Interessen. Ein Skandal wie in Brandenburg, wo die Gigafactory von Tesla mitten in einer trockenen Region südöstlich von Berlin angesiedelt und mit einer Zuteilung von zig Milliarden Liter Wasser begünstigt worden sei, die benachbarten Gemeinden heute für ihre Planung von Wohngebieten fehlten, dürfe sich nicht wiederholen.
Aus den schlechten Erfahrungen bei der Liberalisierung des Strommarkts müsse bei der Wasserversorgung die richtige Lehre gezogen werden: sie sei keinesfalls dem freien Spiel der Marktkräfte zu überlassen. Wasser sei ein derart elementares Gut menschlichen Daseins, daß es nicht dem freien Spiel von Investoren und profitmaximierenden Unternehmen unterworfen werden dürfe. Um hier staatliche Schrauben anzuziehen, um Privilegien für Großverbraucher abzuschaffen, sei den „großen Schluckern“, Industriebetrieben, Mineralwasserherstellern und Landwirten, das Wasserentnahmeentgelt zu erhöhen und ihnen allzu langfristige Laufzeiten von Entnahmerechten zu verkürzen.
Anzuregen sei auch, Entnahmerechte in Dürrezeiten unter Vorbehalt zu stellen, um sie entweder vorübergehend entziehen oder kontingentieren zu können. Eine wirklich ressourcenschonende Wasserbewirtschaftung gewähre Großabnehmern auch keine Rabatte mehr. „Überdies müssen all jene spürbarer zur Kasse gebeten werden, die eigene Brunnen oder Wasserfassungen nutzen. Der Wassercent darf daher im Sinne der Allgemeinheit gerne ein Wassereuro werden.“
Verbrauchseinschränkung und ganz neue Bewässerungsstrukturen
In der Bevölkerung stoße, da ist Ritzer sich mit Blick auf eine Allensbach-Umfrage von 2022 sicher, ein umfassendes behördliches Wasserregime heute schon auf viel Verständnis. Drei von vier Deutschen gaben an, bewußter und sparsamer mit Wasser umzugehen als früher. Ein ähnlich vorbildlicher Wille zum Verzicht wie bei Privatverbrauchern, die ihren Rasensprenger nur selten anschließen oder die sich innovative Toilettenspülungen einbauen ließen, fehle weiterhin in Städten und Kommunen. Denn kaum gezügelt würden Sümpfe, Moore und andere Feuchtgebiete entwässert, schreite die Versiegelung der Landschaft durch Wohn- und Gewerbegebiete, Straßen und andere Baumaßnahmen voran.
Die kleinsten Schritte zur Umkehr beginnen hier mit Bauverboten in Territorien mit Überschwemmungspotentialen. Davon ausgehend sollte Ziel ein verschärfter Grundwasserschutz sein, der zur Klimaanpassung diene. Eine solche Wasserschutzagenda auf der Basis optimierter Datenerfassung sollte zudem härtere Regelungen zum Schutz vor Verunreinigungen durch Nitrat und Pestizide beinhalten. Das „Herumlavieren“, mit dem Deutschland sich um die Einhaltung einschlägiger EU-Vorgaben drücke, werde dann beendet.
Da die deutsche Landwirtschaft, als Folge des Klimawandels und der avisierten Dürren, mittelfristig viermal so viele Anbauflächen zu bewässern habe wie derzeit, benötige sie „komplett neue Bewässerungsstrukturen“. Die in Israel und Kalifornien bereits existieren. Dort liegen unterirdisch auf Wurzelhöhe Leitungen, die die Pflanzen punktgenau mit Wasser versorgen, anstatt Felder, wie hierzulande üblich, mit Wasser zu besprühen, das größtenteils verdunstet oder versickert. Israel ist Weltmarktführer in Sachen moderner, digitalisierter Bewässerungstechnik – warum sich nicht daran orientieren? Und warum nicht auch wassersparende Kulturen anbauen? Und den Verbraucher entsprechend dadurch zu erziehen, daß jedes Gemüse mit einem „Wasserfußabdruck“ etikettiert wird? Chilenische Avocados, die pro Stück 400 Liter Wasser benötigen, verschwänden dann aus dem Angebot.
Dieses breite Spektrum an Einschränkungen will Ritzer noch um drei Maßnahmen zur Vorbeugung kommender Wasserkalamitäten bereichern. Unerläßlich sei erstens die forcierte Nutzung der längst nicht ausgeschöpften Wasserkraft. Das schütze zwar keine Ressourcen, helfe aber mittels CO2-freier Energiegewinnung, den Klimawandel abzufedern, der wiederum Ursache für die zunehmende Wasserknappheit sei. Zweitens gelte es, endlich die in Deutschland unterentwickelte Meerwasserentsalzung ähnlich engagiert wie in den Niederlanden zu nutzen. Und drittens seien viele veraltete Leitungsnetze auszutauschen. In EU-Europa versickert ein Viertel des Trinkwassers in maroden Leitungen, in Deutschland sind es zehn Prozent. Da der Bau von Fernwasserleitungen viel Zeit brauche, dürfe man nicht warten, sondern müsse jetzt mit ihrer Planung beginnen.
Dürremonitor Deutschland: