Überall in Westgalizien hängen 1943 plötzlich offizielle Plakate, die von der Aufstellung einer Schützendivision Galizien kündeten. „Galizisch-ukrainische Jugend, Du bist nunmehr aufgerufen, teilzunehmen am Kampf gegen den bolschewistischen Todfeind.“ Auch die ukrainischsprachige Zeitung Krakiviski Viti (Krakauer Tageblatt) wirbt mit Erfolg für die Division. Die Begeisterung ist groß. Mehr als 80.000 Ukrainer melden sich freiwillig. Die ab Juli aufgestellten sieben Regimenter der SS-Freiwilligen-Division Galizien umfassen je 2.000 Mann. Das ursprüngliche Symbol der Truppe, ein Hakenkreuz auf blau-gelbem Banner, wird bald durch die galizischen Symbole Dreizack und Löwe ersetzt. Das Kommando erhält am 30. Juli 1943 SS-Brigadeführer Walter Schimana.
Bis heute sind die Angehörigen jener Division von Himmlers Gnaden für ukrainische Nationalisten Vorkämpfer einer freien Ukraine, deren es zu gedenken gilt. Die Nachbarvölker – Polen, Russen, Weißrussen und auch Tschechen sehen das indes ganz anders, denn es waren ukrainische Einheiten, die während des Zweiten Weltkriegs zahlreiche Massaker an der Zivilbevölkerung der Minderheiten begangen haben, um für eine künftige Grenzziehung klare Verhältnisse zu schaffen – ein bis heute nicht endgültig aufgearbeitetes Kapitel in den zwischenstaatlichen Beziehungen. „Unser Ziel war es, Verbündete der Deutschen zu sein, aber nicht, unter deutscher Herrschaft zu stehen“, erinnert sich Myron Pryjma, der als 15jähriger Freiwilliger in die Division aufgenommen wird: „Es meldeten sich vor allem Angehörige des Bürgertums und der Intelligenzschichten, viele Schüler, Studenten und Lehrer. Die Musikhochschule Lemberg etwa ist geschlossen – alle Schüler und Lehrer – bei der Waffen-SS eingetreten.“ Rolf Michaelis zitiert in seinem Buch „Ukrainer in der Waffen-SS“ den ehemaligen Grenadier Ostap Hladkiwskji: „1943 kam auf einmal der Slogan auf, in einer SS-Freiwilligen Division für ein neues Europa zu kämpfen. Werbeplakate mit jungen SS-Angehörigen und schönen Mädchen wirkten auch auf mich.“
Während die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN-B) – also die sogenannten Bandera-Leute – zu diesem Zeitpunkt unter Roman Schuchewitsch, dem früheren Führer des Abwehr-Bataillons „Nachtigall“, mit ihrer Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) in Wolhynien gegen Juden, Polen, sowjetische Partisanen und – wenn es sich nicht vermeiden läßt – sogar gegen Deutsche kämpfen, herrscht im OUN-Flügel um Andrej Melnyk Hochstimmung. Endlich haben sie den Deutschen die Aufstellung einer eigenen Division abtrotzen können. Besonders engagiert sich Wolodymir Kubijowytsch, Leiter des Ukrainischen Zentralkomitees in Krakau. Die Auswahlkriterien auch für eine aus „fremdvölkischen“ bestehende Division sind auch 1943 noch hoch. Letztlich werden nach unterschiedlichen Angaben zwischen 40.000 und 53.000 und Ukrainer vereidigt. Die Division, zu der auch bereits existierende ukrainische Kampfgruppen und Polizeieinheiten zählen, wird ein Jahr lang gründlich ausgebildet.
Davon profitiert auch Banderas UPA, die sich zu dieser Zeit mörderische Gefechte mit polnischen Partisanen liefert. Die OUN-Führung unter Melnyk ermuntert die Kämpfer, sich zur SS-Division zu melden, damit diese ausgebildet und bewaffnet werden. Anschließend sollen die Rekruten bei sich bietender Gelegenheit mit Waffen und Ausrüstung zur UPA überlaufen. 2.000 ukrainische Partisanen werden so in die Division eingeschleust, schätzt später der deutsche Nachrichtendienst.
Vielfache Kriegsverbrechen gegen Polen und Slowaken sind belegt
Die Zehntausenden Freiwilligen – insgesamt dienten nach vorsichtigen Schätzungen 300.000 Ukrainer in Verbänden der deutschen Streitkräfte – melden sich aus unterschiedlichsten Gründen. Einige suchen schlicht das Abenteuer, andere wollen der Zwangsarbeit entgehen oder fürchten eine spätere Zwangsrekrutierung durch die vorrückende Rote Armee. „Wir wußten nicht, wie viele Jahre der Krieg noch dauern würde. Zur Roten Armee wollte ich aber auf keinen Fall, ich hoffte, gemeinsam mit den Deutschen die Kommunisten wieder aus meiner Heimat vertreiben zu können“, beschreibt der Lemberger Gymnasiast Myron Pryjma die damalige Situation. „Erstens wollten wir gegen den Kommunismus kämpfen, zweitens die Unabhängigkeit und Freiheit unseres Landes erringen. Wir wollten eine gute militärische Ausbildung erhalten und eine eigene ukrainische Armee bilden.“ Letztlich schmieden die deutschen Ausbilder eine 15.000 bis 18.000 Mann starke Division: drei Infanterieregimenter, ein Artillerieregiment, ein Ausbildungsreserveregiment und diverse Kampfunterstützungseinheiten. Allerdings besteht das gesamte technische Korps und auch alle höheren Offiziere aus deutschen SS-Angehörigen.
Bereits Anfang 1944 muß die Division 2.000 Mann für eine „Kampfgruppe Beyersdorf“ abgeben, die polnische und sowjetische Partisanen bekämpfen soll. Es kann davon ausgegangen werden, daß es sich größtenteils um UPA-Angehörige handelt, die sich dafür melden. Die Kampfgruppe soll in mehreren Ortschaften Massaker verübt und mehr als 1.500 Zivilisten gefoltert oder ermordet haben.
Ihre Feuertaufe erlebt die Division vom 13. bis 23. Juli 1944 an der Ostfront. In der Kesselschlacht von Brody soll sie der deutschen Infanterie den Rücken freihalten, als diese zum Durchbruch ansetzt. Der Schweizer Militärhistoriker Oberstleutnant O. Jaggi 1964 analysiert 1964 in der Sicherheit Schweiz Allgemeine schweizerische Militärzeitschrift, daß die Ukrainer eher als ein „disziplinloser Verband mit geringem Kampfwert“ aufgetreten seien, der allerdings über „vorzügliche Ausrüstung und Bewaffnung verfügte“. Unter hohen Verlusten gelingt es dem XIII. Armeekorps, die deutsche Ostfront zu erreichen. Nur 3.000 von 14.000 Galiziern können sich aus dem Kessel retten. Die Division ist zerschlagen. Die Einheit wird jedoch am 7. August 1944 neu aufgestellt. Die bisher geltenden Auswahlkriterien werden aufgehoben. Die neuen Freiwilligen müssen nicht mehr aus Galizien stammen. Auch Polizeiregimenter werden eingegliedert. Ende Dezember besteht die Division wieder aus 22.000 Soldaten. Fortan wird die Division bataillonsweise zur Partisanenbekämpfung in Frankreich, Jugoslawien und Galizien sowie zur Niederschlagung des slowakischen Volksaufstandes eingesetzt. Die Ukrainer fallen dabei durch besondere Grausamkeit gegenüber der Zivilbevölkerung auf. In Geheimberichten der SS heißt es, in deutschfeindlichen slowakischen Kreisen würden die Ukrainer als Söldner gelten, die nicht für die Ideale eines neuen Europas, sondern lediglich für persönliche Bereicherung durch Raub und Plünderung kämpfen. Selbst deutschlandfreundliche Kreise würden sich leidenschaftlich über diese Formation beschweren, so daß die Slowaken die Ablösung der Galizier durch ungarische Soldaten feiern.
Knapp zwei Monate vor der deutschen Kapitulation erfüllt die Reichsführung den ukrainischen Nationalisten noch deren Lieblingswunsch: Ein Ukrainisches Nationalkomitee, dem sich allerdings die im September aus KZ-Haft entlassenen Nationalisten Stepan Bandera und Jaroslaw Stetsko verweigern, darf gegründet werden. Das verkündet im März 1945 die Aufstellung der Ukrainischen National-Armee, deren Basis die bisherige Waffen-SS-Division bildet. Auch allen anderen ukrainischen Einheiten, die sich zu dieser Zeit im böhmisch-österreichischen Gebiet befinden, werden in diese Armee eingegliedert. Auf den Uniformen ersetzt der ukrainische Dreizack den deutschen Hoheitsadler, und am 25. April werden die Soldaten auf die Ukraine vereidigt. Befehlshaber über die rund 50.000 Soldaten wird der ehemalige zaristische Offizier, ukrainische General und polnische Oberst Pawlo Schandruk.
Der bemüht sich, mit seiner „Armee“, russische Angriffe abwehrend, britische Linien zu erreichen. Am 8. Mai 1945 ergeben sich die Einheiten, immerhin noch 10.000 Mann stark, bei Tamsweg und Radstadt in Österreich Briten und US-Amerikanern. Schandruk gelingt es, in Wladyslaw Anders, dem Oberbefehlshaber der polnischen Exilstreitkräfte im Westen, einen Fürsprecher für seine Soldaten zu finden. Anders überzeugt Briten und Amerikaner, die Ukrainer nicht an Stalin auszuliefern, da ihr Bündnis mit den Deutschen pragmatische Gründe hatte, sie ihre Heimat vom Kommunismus befreien wollten und überdies gemäß Rechtsstatus vom 1. September 1939 polnische Staatsangehörige seien. Dabei spielt keine Rolle, aus welchem Teil der Ukraine die Soldaten stammen.
Die Kriegsgefangenen bleiben zwei Jahre in Lagern in Norditalien – von den Briten von Kriegsgefangenen zu „kapituliertes feindliches Personal“ herabgestuft und werden dann entlassen. Viele wandern über Deutschland, wo etliche als „Displaced persons“ eingestuft werden, später nach Kanada, Australien und in die USA aus.