Wenn morgen schon das Neue Deutschland, kurz nd, komplett wegfallen würde – würde dann etwas fehlen? Keine Kolumne „Unten links“ mehr und keine Ostberichterstattung. Keine Karikaturen mehr und keine Kreuzworträtsel weit, weit hinten. Und auch keine intellektuellen Essays mehr im kulturigen „Mikroskop“-Part der Zeitung. Aber das ist ja alles links! Ja – und trotzdem fast pleite.
Das nd steht vor einem Haushaltsloch in Höhe von mehr als 600.000 Euro. Das sind acht Prozent des Gesamtumsatzes, wie die Redaktion der Zeitung im Juni in eigener Sache mitteilte. Schuld daran seien steigende Produktionskosten. Herausforderungen, welche die JUNGE FREIHEIT ebenfalls kennt. Die nd-Krise ist eine Facette des allgemeinen Zeitungssterbens. Auflagenschwund sowie gestiegene Energie- und Papierpreise betreffen auch konservative Medien. Rechnungen machen keinen Gesinnungstest, bevor sie zur Tür hereinfliegen. Ein Blick, wie andere Zeitungen damit umgehen, lohnt daher mehr als Schadenfreude. Publikationen aus der Linken arbeiten oft als Genossenschaften. Die Idee: Leser tragen „ihre“ Zeitung gemeinsam, indem sie Anteile erwerben. Bei der Jungen Welt sind es etwa 2.700. Beim nd knapp über 1.000. Diese können Rettungsanker in der Not sein. Allerdings wirkt das auf die Unternehmenskultur zurück. Eigentümer wollen mitbestimmen.
Bei den Abonnements sieht es unterdessen beim ehemaligen Neuen Deutschland derzeit nicht rosig aus. „Wir werden gelesen. Gedruckt sowieso, aber auch digital und zwar mehr als vor zwei Jahren. Doch das alles reicht nicht. Zu viele, die uns lesen, zahlen nichts, zu wenig oder zu selten. Und wir brauchen mehr Reichweite“, beklagte das Blatt in einer Stellungnahme. Seit Anfang August erscheint nun nur noch die Wochenendausgabe am Kiosk. De facto hört das nd damit auf, als Tageszeitung zu existieren. Bereits ergriffene Sparmaßnahmen werden frühestens im kommenden Jahr wirken. Deshalb sieht sich das nd zu verzweifelten Spendenaufrufen genötigt.
Seitdem erlebt die Zeitung aus Berlin-Friedrichshain zumindest verbal viel Solidarität. Die ehemalige Chefredakteurin des Jacobin-Magazins, Ines Schwerdtner, rief unlängst zum Kauf des Blattes auf. „Unterstützt die Kolleginnen und Kollegen vom nd. Es braucht mehr linken Journalismus, nicht weniger.“ Die Jungle World richtete einen ähnlich lautenden Appell an ihre Leser. „Helft den Kollegen, wenn ihr könnt!“ Vor diesem Hintergrund wirkt die Krise des nd wie ein kleiner Weckruf am linken Rand. Man rückt ein Stück weit zusammen. Doch sie spiegelt auch die Probleme, mit denen die Linkspartei derzeit kämpft. Wie noch den Anschluß an gesellschaftliche Debatten finden? Wie sich einen breiteren Publikumskreis erschließen? Und wie mit dem Höhenflug der AfD und dem Erstarken der Rechten im linken Stammland, Ostdeutschland, umgehen? nd-Redakteur Wolfgang Hübner aus der Leitung des Blattes warnt deshalb, die Lage sei dramatisch.
Die Zeitung ist ein Archiv ostdeutscher Geschichte
„Wir haben eine Verantwortung vor der langen Geschichte dieser Zeitung, vor allem aber für ihre Zukunft.“ Stichwort „Geschichte“. Da müßten auch Konservativen die Ohren klingeln. Denn das nd ist Ostdeutschlands älteste Zeitung. Den Papiermangel im zerbombten Berlin, die Jahre als eine der meistgelesenen Zeitungen der DDR und die Hakeleien mit der Treuhandanstalt nach dem Mauerfall, 15 Chefredakteure, drei Umzüge und eine einstige Millionenauflage – haben die Seiten alles miterlebt.
Das Blatt auch 2023 nur unter der Rubrik „Zentralorgan der SED“ abzuspeichern, greift deshalb zu kurz. Für viele Konservative ist das nd nach wie vor historisch belastet. Kritik an ihrer Rolle im Sozialismus und in der Mauerdiktatur hat zweifellos ihre Berechtigung, wurde aber nach 89 auch schon in der Zeitung selbst artikuliert. Und auch davor schon: Persönlichkeiten wie Rudolf Herrnstadt übten bereits in den fünfziger Jahren offene Kritik an der SED. Als Chefredakteur des Neuen Deutschland legte sich Herrnstadt 1953 mit Parteichef Walter Ulbricht an, indem er die illusorische Normerhöhungspolitik im Wohnungsbau attackierte. Der Artikel „Es wird Zeit, den Holzhammer beiseite zu legen“ erschien am 14. Juni – am 17. Juni brach der Arbeiteraufstand aus. Der historische Ballast, den das nd mit sich herumschleppt, ist auch das Gewicht der ostdeutschen Geschichte selbst.
Das nd hat die Erfahrung des neuen Wohnens in den Planstädten Halle-Neustadt oder Rostock-Lütten Klein dokumentiert. Es hat die kulturpolitischen Debatten rund um die Arbeiterliteratur des „Bitterfelder Wegs“ begleitet. Und es hat die kleinen Revolten der Jugendlichen – als Punks, Blueser und Grufties – in der DDR eingefangen. Auf diese Art und Weise ist die sozialistische Tageszeitung zu einem unschätzbaren Archiv ostdeutscher Geschichte geworden. Seitdem hat sich viel geändert. Aus dem Neuen Deutschland wurde das nd. „Weil es heute viel stärker um Europa und die Welt geht und nationale Bezüge nicht Sache der Linken sind“, so die Redaktion. Trotzdem würde das Aus der Zeitung für eine Hälfte des Landes einen schwerwiegenden Gedächtnisverlust bedeuten. Schade wär‘s.